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Tödliche Bootskollision auf dem Bodensee – ein Unfall, der eigentlich nicht passieren dürfte

Auf dem Bodensee kollidiert ein Motorboot mit einem Segelboot, eine Frau stirbt. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel: So ein Unfall gilt als statistisch nahezu ausgeschlossen – und doch ist er passiert.

Das Unfassbare auf dem See

Es war ein schöner herbstlicher Samstag, der 11. Oktober 2025, 15.35 Uhr, als auf dem österreichischen Teil des Bodensees etwas geschah, das eigentlich nicht passieren dürfte: Ein Motorboot mit vier Personen aus Vorarlberg krachte mit hoher Geschwindigkeit in ein Segelboot – mitten auf offener Fläche, bei klarer Sicht, ohne Brems- oder Ausweichmanöver. Das Segelboot kenterte, die 57-jährige Seglerin aus Bayern starb noch am Unfallort, ihr Mann konnte sich durch einen Sprung ins Wasser retten.

©Screenshot ThurGIS

Für die Ermittler der Seepolizei ist der Fall ein Rätsel. Kein Alkohol, keine technischen Defekte sind bisher bekannt (die Ermittlungen laufen, Hinweis d. Red.), keine schlechten Sichtverhältnisse. "Es ist schon so, dass man bei solchen Verhältnissen ein anderes Boot rechtzeitig erkennen müsste", sagte Bernhard Aigner von der Wasserschutzpolizei Vorarlberg gegenüber dem ORF.

Auch erfahrene Bootsführer können es nicht fassen. "Es ist äußerst ungewöhnlich. So etwas passiert am Bodensee praktisch nie", sagt Roland Hagspiel, Präsident des Motorbootclubs Bregenz, im Gespräch mit den "Vorarlberger Nachrichten".

Und tatsächlich: Der Blick in 25 Jahre Statistik zeigt, dass diese Einschätzung keine Floskel ist – sie ist messbar richtig.

Ein Unfall gegen jede Wahrscheinlichkeit

Zwischen 2000 und 2025 registrierte die Wasserschutzpolizei am Bodensee nach offiziellen Berichten zwischen rund 130 und 180 Schiffsunfälle pro Jahr. Laut unterschiedlichen Polizeistatistiken und Medienberichten enden nur wenige davon tödlich – meist handelt es sich um Bade- oder Sturzunfälle, seltener um Zusammenstöße auf dem Wasser.
Ein direkter Vergleichsfall einer Kollision zwischen Motorboot und Segelboot bei Tageslicht ist in den öffentlich zugänglichen Aufzeichnungen bislang nicht dokumentiert.
Nach heutigem Recherchestand gibt es auch auf anderen großen mitteleuropäischen Seen wie dem Gardasee, Genfersee, Zürichsee oder Neusiedler See keine bestätigten Unfälle, die exakt diesem Muster entsprechen. Es ist jedoch möglich, dass ältere oder lokal begrenzte Fälle nicht digital erfasst wurden.

Dieses Motorboot kollidierte aus noch unbekannten Gründen mit dem Segelboot.

Ein Blick in die globale Statistik

Auch weltweit wird dieser Unfalltyp nicht gesondert statistisch ausgewiesen.
Zwar erfassen Behörden wie die US Coast Guard, die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und die deutsche Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) jährlich Tausende Bootsunfälle – eine eigene Kategorie "Motorboot-Segelboot-Kollision mit Todesfolge" existiert jedoch nicht.
Dieser Umstand erlaubt keine exakte Zählung, deutet aber darauf hin, dass solche Fälle äußerst selten sind.

Nach Angaben der US-Küstenwache kam es 2024 zu 3887 Bootsunfällen mit 556 Todesopfern, darunter 747 Zusammenstöße zwischen Freizeitbooten aller Art.
Wie viele davon Segelboote betrafen, ist nicht bekannt – entsprechende Detaildaten werden nicht separat erfasst. Fachleute gehen aufgrund dieser Verteilung davon aus, dass der Anteil tödlicher Motorboot-Segelboot-Kollisionen im sehr niedrigen einstelligen Bereich pro Jahr liegen dürfte. Diese Einschätzung beruht auf statistischer Plausibilität, nicht auf einer offiziellen Zahl.

Die wenigen Parallelen

Vier dokumentierte Fälle weltweit zeigen ähnliche Muster – allerdings mit teilweise unterschiedlichen Rahmenbedingungen:

  • Buzzards Bay (USA, 2008): Ein 63-Fuß-Motorboot (rund 19 Meter) rammt bei klarer Sicht ein Segelboot. Der Skipper war mit seinem GPS beschäftigt. Ein Segler stirbt.
  • Hingham Bay (USA, 2024): Ein 38-Fuß-Motorboot übersieht mittags ein 21-Fuß-Segelboot. Die Skipperin stirbt später an den Folgen.
  • Newport (USA, 2019): Motorboot kollidiert während einer Regatta mit einem Katamaran – ein tragischer Navigationsfehler ohne äußere Einflüsse.
  • Amalfiküste (Italien, 2023): Motorboot kracht bei Tag in ein großes Segelschiff. Die US-Verlegerin Adrienne Vaughan kommt ums Leben; der italienische Skipper stand unter Alkoholeinfluss.

Diese Fälle beruhen auf Ermittlungs- und Medienberichten aus den jeweiligen Ländern.
In mehreren davon sind keine Ausweichmanöver dokumentiert, was auf menschliches Versagen oder Ablenkung schließen lässt.

Warum es fast nie passiert

Mehrere Faktoren machen einen solchen Zusammenstoß auf offenen Seen nahezu ausgeschlossen:

  • Sichtbarkeit: Segelboote sind durch ihre hohen Masten und Segel meist schon aus großer Entfernung deutlich erkennbar.
  • Klare Regeln: Nach internationalem Seerecht (COLREG Regel 18) gilt: Motorboote müssen Segelbooten ausweichen.
  • Geschwindigkeit und Reaktionszeit: Selbst bei 30 bis 40 km/h bleibt in der Regel ausreichend Zeit, um Kurs oder Geschwindigkeit anzupassen, wenn der Fahrer aufmerksam ist.
  • Ausbildungspflicht: Auf Binnengewässern wie dem Bodensee ist ein Schiffsführerschein erforderlich; die Verkehrsregeln sind Teil der Ausbildung.
  • Weitläufigkeit: Die Wasserfläche ist groß, Boote sind weit verteilt – die Wahrscheinlichkeit einer direkten Kollision ist dadurch ohnehin gering.

Damit eine schwere Kollision wie am Bodensee überhaupt möglich ist, müssen mehrere dieser Schutzmechanismen gleichzeitig versagen – etwa durch Ablenkung, zu hohe Geschwindigkeit, Fehleinschätzung oder mangelnde Aufmerksamkeit.
Die Ermittler prüfen derzeit, ob genau diese Faktoren eine Rolle gespielt haben.
Die Untersuchungen laufen auf Hochtouren – es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Feuerwehr transportierte einen Teil des Bootes in den Hafen. ©VOL.AT
Bergung des Segelbootes, das von den Ermittlern kriminaltechnisch untersucht wird. ©VOL.AT

Ein Unfall gegen jede Logik

In einem Vierteljahrhundert Freizeit- und Berufsschifffahrt auf mitteleuropäischen Seen gab es nach derzeitigem Recherchestand keinen einzigen ähnlichen Fall. Weltweit nur eine Handvoll.

Der tödliche Zusammenstoß am Bodensee ist damit tatsächlich das, was Experten sagen: "äußerst ungewöhnlich".
Statistisch betrachtet: ein Ereignis, das nicht vorkommen dürfte – und doch geschehen ist.

(VOL.AT)

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