Vier Menschen hat ein islamistischer Attentäter am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt getötet und viele weitere verletzt, ehe er nach rund neun Minuten von der Polizei erschossen wurde. "Die Kollegen sind losgefahren, ausgestiegen und waren schon unter Beschuss", blickte der stv. Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Reinhard Schnakl, zurück. Innenminister Karl Nehammer betont vor dem Jahrestag das Selbstverständnis der Polizei als "lernende Organisation".
Einsatzkräfte bekämpften Wien-Attentäter aktiv
Die Reaktion der Einsatzkräfte habe genau den Anleitungen entsprochen, die seit 2010 trainiert werden, so Schnakl. Zuvor gingen Polizisten eher passiv in die erste Phase von "Sonderlagen", um zu stabilisieren, bis die Sondereinheiten eintrafen. Als Reaktion auf Amokläufe im Ausland erfolgte ein "Paradigmenwechsel hin zur aktiven Bekämpfung" von Tätern, die das Ziel verfolgen, in kurzer Zeit möglichst viele Menschen zu töten oder verletzen, wie es bei Amok oder Terror der Fall ist. Das taktische Vorgehen sei im gesamten polizeilichen Streifendienst darauf umgestellt worden, den Täter "anzusprechen, zu binden und die Lage möglichst rasch zu beenden", berichtete Schnakl bei einem Hintergrundgespräch. Ein Streifenpolizist, der sich dem Terroristen von Wien als erster in den Weg stellte, wurde selbst schwer verletzt, der Angreifer kurz danach von einem WEGA-Polizisten ausgeschaltet.
Parallel zur taktischen Umstellung wurde die Ausrüstung verbessert. Die Ausstattung aller Funkwagen in Wien mit zwei Langwaffen etwa soll ab Ende dieses Monats abgeschlossen sein. Das Vorhaben war vor einem Jahr bereits im Laufen, die Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten musste wegen der Coronakrise aber zwischenzeitlich unterbrochen werden.
Maßnahmen aufgrund internationaler Terror-Erfahrungen
Polizeiarbeit habe sich laufend weiterentwickelt, "gerade auch in Großeinsatzlagen und im schlimmsten Fall einem Terroranschlag. Die zahlreichen Maßnahmen, die aufgrund der internationalen Erfahrungen von Anschlägen in Boston, Stockholm, Paris, etc. gesetzt wurden, waren extrem wichtig, wie das rasche Einschreiten am 2. November gezeigt hat", so Nehammer. Durch professionelle und ständige Vorbereitungen könnten solche Einsätze "schneller bewältigt werden und damit weiterer Schaden verhindert werden".
Nach dem Anschlag beim Boston-Marathon im April 2013 wurde nach US-Vorbild eine Upload-Plattform im Bundeskriminalamt eingerichtet. In der Wiener Terrornacht gingen dort unzählige Videos von Zeugen ein. Der Anschlag vom Jänner 2015 in Paris auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" zog, mit den Erkenntnissen nach einem Amoklauf in Niederösterreich ("Wilderer von Annaberg"), ein 500 Millionen schweres Anti-Terror-Paket nach sich. Es enthielt die Erneuerung der Schutzausrüstung, so wurden ballistische Überziehschutzwesten, -gilets und -helme sowie Langwaffen angeschafft, gepanzerte Fahrzeuge, neue Entschärfungstechnik wie Fernlenkmanipulatoren, Hubschrauber (vier EC 135, zwei AS 350), Observationstechnik und Drohnen. Gleichzeitig wurde die noch laufende Errichtung von neuen Einsatztrainingszentren angegangen.
Nach einer Anschlagsserie im November 2015 in Paris ("Bataclan") wurden die Einheiten gezielt auf Szenarien mit mehreren Tatorten gleichzeitig vorbereitet. Nach dem Anschlag von Nizza im Juli 2016 mit einem Lkw wurden Regierungsviertel und öffentliche Orte sowie Veranstaltungen auf solche Gefahren hin gesichert.
Amoklauf in München lieferte wichtige Erkenntnisse
Wichtige Erkenntnisse für die heimischen Sicherheitsbehörden ergaben sich bei der Evaluierung eines Amoklaufs in München im Juli 2016. Seither wurde hierzulande für solche Großeinsätze eine ständige Bereitschaft für einen "Kommandanten vor Ort (KvO)" eingerichtet. Einfluss hatten die Erfahrungen in Bayern auch auf die Öffentlichkeitsarbeit bei Sonderlagen. In den ersten beiden Stunden der Wiener Terrornacht gingen rund 1.500 Notrufe ein, in Sozialen Medien verbreiteten sich auch Falschmeldungen und Gerüchte, genau wie zuvor in München. Die hiesigen Verantwortlichen zogen daraus den Schluss, dass eine starke Öffentlichkeitsarbeit und gezielte schnelle Information von Medien und Öffentlichkeit unabdingbar seien, sagte Schnakl.
Eine organisatorische Maßnahmen als Folge des Anschlags ist die Einrichtung der Schnelles Reaktionskräfte (SRK) in allen Landespolizeidirektionen nach dem Vorbild der Wiener WEGA. Seit 1. September steht das erste Standbein mit den Bereitschaftseinheiten (BE) bereits, mit 1. November soll das zweite mit den Schnellen Interventionsgruppen (SIG) die Arbeit aufnehmen, so der stv. Generaldirektor. Und bis Mitte 2022 sollen alle Polizistinnen und Polizisten eine Erkennungsschleife bei sich tragen, um in Zivil nicht, wie in der Terrornacht mitunter geschehen, als zusätzliche Bedrohung, sondern als Sicherheitskräfte wahrgenommen zu werden.
(APA/Red)
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