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"Tara heißt auf Nepali Stern"

Katastrophenhilfe als Lebensmittelpunkt: Sabine Klotz mit ihrem Partner Stephan und Töchterchen Tara in Nepal.
Katastrophenhilfe als Lebensmittelpunkt: Sabine Klotz mit ihrem Partner Stephan und Töchterchen Tara in Nepal. ©handout/Klotz
Sabine Klotz aus Bizau setzt sich in Nepal für die Ärmsten ein. Im W&W-Interview erzählt die 35-Jährige über die Erdbeben-Katastrophe (2015), pure Emotion und das Weihnachtsfest mit ihrer kleinen Familie.

Von: Joachim Mangard (WANN & WO)

WANN & WO: Wann und warum hast du dich dafür entschieden, dein Leben in den Dienst der guten Sache zu stellen?

Sabine Klotz: Als ich mit 18 Jahren für einige Wochen bei einem sozialen Projekt in Indien mitgeholfen habe, sind mir die Augen so richtig aufgegangen. Natürlich weiß man, dass es überall Armut und Leid gibt, aber als verwöhntes Gör aus dem „globalen Norden“, aus dem absolut unübertroffenen, sauberen und reichen Vorarlberg, hat man absolut keine Ahnung, was das heißt. Ich habe damals Leichen im Straßengraben gesehen, Leprakranke, die halbe Skelette waren, fast verhungerte Kinder, und Berge an Müll. Da kann man danach nicht einfach nach Europa zurückkehren und Wirtschaft studieren. Zumindest kein Wirtschaftsstudium im klassischen Sinne, wo Profit im Vordergrund steht, und Menschen und Umwelt vor die Hunde gehen. Nach weiteren Reisen mit denselben Eindrücken und privaten Hilfsprojekten habe ich mich entschlossen, in Wien „Internationale Entwicklung“ (eine Art soziales, politisches und sehr kritisches Projektmanagement) zu studieren. Während des Studiums habe ich dann unseren Verein „Chay Ya Austria“ gegründet.

WANN & WO: Erklär doch mal kurz, worum es in deinem Projekt „Chay Ya Austria“ geht?

Sabine Klotz: Es handelt sich um einen kleinen, aber professionellen, gemeinnützigen Verein, der sich mit den Hilfsprojekten vor allem auf entlegene, schwer erreichbare Gebiete konzentriert (als Beispiel unsere Nomadenkinderschule auf 4300 Höhenmetern in Dolpo). „Chay Ya“ kommt aus dem Tibetischen und bedeutet so viel wie „Let’s do it“. Wir sind hauptsächlich im nepalesischen Himalaya tätig. Die Projekttätigkeiten variieren von Schulbildung für Kinder, humanitärer Soforthilfe oder Unterstützung von Kindern mit Behinderung, Aufbau von medizinischer Grundversorgung (vor allem Geburten-Stationen), Mülltrennung und Recycling bis hin zu Bio-Garten-Projekten und Wiederaufbau nach dem tragischen Erdbeben von 2015. Das Wichtigste ist uns Augenhöhe, Respekt und Nachhaltigkeit bei unseren Projekten. Die lokale Bevölkerung und Regierung sind fest eingebunden und müssen ihren Beitrag dazu leisten.

WANN & WO: Was waren die größten Herausforderungen für das Hilfswerk?

Sabine Klotz: Definitiv das Erdbeben von 2015. Viele Orte in Nepal haben sich immer noch nicht davon erholt. Wie mussten innerhalb von wenigen Tagen eine riesige Rettungskette in die abgeschnittenen Berg­täler organisieren, Hangrutschungen hatten alle Wege zerstört, Helikopter waren irrsinnig teuer und fast nicht zu bekommen. Stolz kann ich nun sagen: Mit viel Unterstützung aus Vorarlberg konnten wir über 3000 Menschen Soforthilfe geben. Zeltplanen, um darunter zu schlafen, Essen, Medikamente etc. Und nun sind schon 14 Schulen und sechs Gesundheitsposten in den Erdbebengebieten fertig. Wenn man weiß, wie langsam in Nepal alles geht, eine enorme Leistung, die nur dank der Riesen-Motivation unserer nepalesischer Mitarbeiter möglich ist. Nach dem Erdbeben habe ich für ein Jahr meinen Job hingeschmissen und bis knapp zum Burnout versucht, Hilfsgelder aufzustellen – es ist mir auch gelungen, fast eine halbe Million Euro aus öffentlichen Geldern, Stiftungen und Spenden zu lukrieren. Es war irrsinnig toll, so viel helfen zu können. Dann ging es weiter – 4000 Schulen in Schutt und Asche, keine medizinische Versorgung in den Bergdörfern etc. Damals habe ich „Chay Ya“ seit der Gründung 2011 (und auch schon Jahre zuvor bei den privaten Projekten) ehrenamtlich betrieben, auch Flüge und Reisekosten privat bezahlt. Alle Spenden flossen direkt in die Projekte, aber diese Summen waren eine riesige Verantwortung. Ich stand also vor der Entscheidung, mir selber ein kleines Gehalt auszuzahlen, oder alles hinzuschmeißen. Heute stehe ich zwar mit der Arbeit immer voll am Limit, vor allem als Mama, aber bin mir sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. So viele tolle Projekte konnten umgesetzt werden. Mittlerweile wird mein Gehalt sogar von einer Stiftung aus der Schweiz bezahlt. Außerdem sind wir sehr stolz darauf, dass unsere Verwaltungskosten seit jeher nur zwischen 3,6 und 4,2 Prozent liegen.

WANN & WO: Was steht aktuell gerade auf der Agenda von „Chay Ya Austria“?

Sabine Klotz: Ganz oben: Gesundheitsposten inklusive Geburten-Stationen – es sterben immer noch zu viele Mütter und Neugeborene an Hygiene-Mangel oder fehlenden Hebammen. Geburten sind bei uns in Österreich schon eine Leistung – in der Kälte und dem Dreck in den Bergen ist es richtig gefährlich. Ein sauberes, warmes Zimmer und professionelle Geburtenbetreuung retten Leben. Wir haben noch kein einziges Baby oder die Mutter in einem unserer Geburtenposten verloren. Außerdem im Fokus steht Bildung – vor allem Kinder mit Behinderung werden gefördert. 96 Prozent der beeinträchtigten Kinder in Nepal be­­kommen keine Schulbildung. Derzeit bauen wir gerade eine inklusive Schule für blinde Kinder, und die nächste dann für Gehörlose. Kinder mit körperlicher Behinderung bekommen eine handwerkliche Ausbildung z.B. als Gärtner. Mülltrennung und Recycling sind auch ein Riesen-Thema, wir haben schon unser erstes Pilot-Projekt gestartet.

©handout/Klotz

WANN & WO: In Nepal hast du auch die Liebe deines Lebens kennengelernt. Wie lebt es sich an der Seite des bekannten Extrembergsteigers Stephan Keck?

Sabine Klotz: Stephan und ich haben uns aufgrund des Erdbebens 2015 kennen gelernt, da wir beide Katastrophenhilfe in der gleichen Region geleistet haben. Wir konnten uns damals nicht ausstehen, zwei Alphatiere, aber die Projekte liefen gut und es ging ja um die Leute vor Ort. Stephan ist ein extremer Sportler, aber auch als Mensch extrem. Entweder man hasst oder man liebt ihn. Und manchmal beides (schmunzelt). Nein, ganz im Ernst, wir passen hervorragend zusammen, sind fast immer unterwegs – er auf Expeditionen, ich auf den Projekten in Nepal, und wenn wir dann einmal Zeit haben, gemeinsam zu leben, ist es umwerfend. Das Leben mit unserer Tochter Tara ist natürlich sehr anstrengend, aber ich habe ein tolles Netzwerk, für das ich sehr dankbar bin. Tara heißt übrigens auf Nepali Stern.

WANN & WO: Als Mutter lebst du mit deinem Partner und eurer Tochter auch in Kathmandu. Hegt ihr Gedanken an eine Rückkehr, gerade in Bezug auf das heranwachsende Kind?

Sabine Klotz: Wir sind einen Teil des Jahres in Nepal, den Rest in Österreich oder irgendwo auf Reisen (wir können überall arbeiten, wo es Internet gibt). Also haben wir zwei Homebases. Was daraus wird, wenn Tara in die Schule kommt, werden wir sehen. Eventuell selbst unterrichten! Das Nomadentum liegt uns im Blut.

WANN & WO: Wie würdest du dich beschreiben: Was sind deine guten, was deine schlechten Eigenschaften?

Sabine Klotz: Ich bin gut im Netzwerken, habe überall auf der ganzen Welt Freunde und stecke Leute mit meiner Begeisterung für Hilfsbereitschaft an! Ich bin extrem geradlinig und ehrlich, ob das nun gut oder schlecht ist, hängt davon ab, ob ich die betreffende Person mag oder nicht. Diplomatie ist ein Fremdwort, es gibt Schwarz oder Weiß für mich, egal ob in der Politik oder bei meinen Projekten. Kompromisse sind was ganz Schweres! Auch Kontrolle und Aufgaben abgeben, aber seit ich Mama bin, werde ich dazu gezwungen. Die Buddhisten sagen: Dein Kind ist genau der Lehrer, den du benötigst. Ich bin zwar nicht religiös, aber das stimmt!

WANN & WO: In zwei Tagen feiern wir Weihnachten. Was ist dein größter Wunsch an das Christkind?

Sabine Klotz: Wenn ich nun Weltfrieden sage, klingt das wie von einer „Miss World“ oder so. Aber ganz im Ernst: Ist eine Welt, wo alle Menschen an Bildung, medizinischer Versorgung, Nahrung und sozialer Gerechtigkeit teilhaben können, wirklich eine Utopie? Warum besitzen einige wenige so immens viel, und warum verhungern Hunderttausende oder ertrinken im Mittelmeer? Ich wünsche mir die Rückkehr von Zivilcourage und Menschlichkeit, und eine Umkehr des weltweiten Rechtsrucks. Ich wünsche mir, dass alle Menschen verstehen, dass wir im Grunde alle ganz genau gleich sind: Wir lachen, weinen, lieben und versuchen, diese Welt für unsere Kinder besser zu machen.

Sabine mit einigen ihrer Patenkinder. ©handout/Klotz

Zur Person: Sabine Klotz

  • Wohnort, Alter: Bizau, Kathmandu (35)
  • Familienstand: Lebensgemeinschaft mit Stephan, Tochter Tara
  • Beruf, Laufbahn: Studium Internationale Entwicklung, Fachfrau für Entwicklungshilfe, Gründerin „Cha Ya Austria (Hilfsorganisation Nepal)“
  • Hobbys: Snowboard, Paragleiten, Kitesurfen, Garten, Literatur

Kurz gefragt...

Deine liebste Kindheitserinnerung? Das Meer – ich konnte und kann immer noch stundenlang im Wasser liegen und mich frei fühlen.

Wieso Nepal? Weil es nicht nur so wunderschön, aber trotz der immensen Armut (Human Development Index Platz 149) auch menschlich so warm ist. Man lernt dort Zufriedenheit, Demut und Dankbarkeit aus erster Hand.

Dein emotionalster Moment als Helferin? Ein fast erstickender, drei Monate alter Säugling auf meinem Schoß (mit Lungenentzündung, blau im Gesicht), zwei Stunden im Jeep über holprige Bergstraßen bei einem Gesundheitscamp. Die Mutter war nicht auffindbar bei der Feldarbeit und sonst wollte es niemand machen. Ankunft im nächsten Gesundheitsposten, Sauerstoffgabe, und plötzlich wurde das blaue Gesicht wieder rosa. Das Baby hat seine Augen geöffnet und nach 20 Minuten wieder gelächelt. Heute ist sie vier Jahre alt und ihr Name ist Kushi (was auf Nepali „Freude“ heißt).

Wie feierst du Weihnachten? Mit Familie, jeder Menge Kekse und einem Baum für Tara (die Geschenke stammen aus Secondhand-Shops oder werden selbst gemacht).

Nepalesische oder österreichische Küche? Japanisch und Italienisch. Aber bei Schwarzbrot werde ich schwach. Das bekommt man mittlerweile – Göttin sei Dank – auch in Nepal.

Dein Vorsatz fürs neue Jahr? Ich möchte mehr Zeit mit meiner Tochter verbringen. Eine Full-TimeSelbstständigkeit bedeutet sieben bis acht Stunden am Tag Betreuung. Es ist dann fast etwas unfair, so viel für Kinder in Nepal zu machen, und die Kleine weniger zu sehen deswegen.

Deine größte Schwäche? Alles mit Schokolade.

Dein liebster Platz in Vorarlberg bzw. Kathmandu? Diedamskopf mit einem Meter Pulverschnee bzw. der lokale Markt in Gongabu, Ganeshstan, wo die alten Frauen mit ein paar Tomaten auf einem Leinensack die Ernte aus ihrem Garten verkaufen, es nach Chai (Tee mit Zimt) riecht und weit und breit kein Tourist ist.

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(WANN & WO)

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