Tag der Menschen mit Behinderungen: Zahlreiche Organisationen betonen Notwendigkeit von Inklusion
Der Behindertenverband "KOBV Österreich" kritisierte etwa, dass der aktuelle Sparkurs in Österreich vor allem auch Menschen mit Behinderungen treffe, und das gleich auf mehreren Ebenen: Programme zur Persönlichen Assistenz liefen aus, Arbeitsmarktprojekte verlören ihre Finanzierung, und auch bei den Sozialbudgets werde der Rotstift angesetzt. "Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen steht auf dem Spiel", erklärte Präsident Franz Groschan: "Wir werden durch die geplanten Kürzungen um Jahre zurückgeworfen." Die Sparmaßnahmen stünden in krassem Widerspruch zum Prinzip der Solidarität und gefährdeten die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, die Österreich bereits im Jahr 2008 ratifiziert habe.
Rückschritte in der Barrierefreiheit
In einer Aussendung warnte auch der Österreichische Gehörlosenbund (ÖGLB) vor massiven Rückschritten bei Barrierefreiheit und gleichberechtigter Teilhabe durch die im Doppelbudget 2025/26 des Bundes angekündigten Sparmaßnahmen im Sozialbereich. "Wir sind entsetzt, wie angesichts klammer Budgets das soziale Netz demontiert wird. Für Menschen, die von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, werden die undurchdachten Sparmaßnahmen schwerwiegende Folgen haben", kritisierte auch Gerlinde Heim, Geschäftsführerin von VertretungsNetz.
Die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs sprach von einem Tag der Mahnung. Die Organisation warnt davor, dass sich in Österreich aufgrund des Spardrucks ein gefährlicher Ungleichheitsmechanismus verfestigt: Viele kleine Einsparungen - verteilt über Bund und Länder - treffen Menschen mit Behinderungen nicht einzeln, sondern gebündelt.
Behindertenanwältin Christine Steger forderte anlässlich der laufenden Reformpartnerschaftsverhandlungen von Bund, Ländern und Gemeinden "eine tiefgreifende Neuordnung der klassischen `Behindertenhilfe ́". Die derzeitige Fragmentierung der Zuständigkeiten sei für Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen unübersichtlich, belastend und führe häufig dazu, dass notwendige Leistungen verspätet gewährt oder überhaupt nicht in Anspruch genommen werden könnten, kritisierte Steger.
"Rechte, nicht Almosen"
Seitens der Volksanwaltschaft betonte die von der ÖVP nominierte Gabriela Schwarz, dass Barrierefreiheit nicht Kür, sondern Pflicht sei. Es gehe nicht um ein Extra-Service oder Luxus, sondern um ein Grundrecht. Ihr SPÖ-Kollege Bernhard Achitz kritisierte, dass weder der Bund noch die Länder den Verpflichtungen der Behindertenrechtskonvention nachkämen. "Menschen mit Behinderungen brauchen Rechte, nicht Almosen", betonte er. Ähnlich argumentierte Martina Lackner vom ÖGB, die die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen als Menschenrecht unterstrich. Ins selbe Horn blies auch Ines Stilling von der Arbeiterkammer, die insbesondere auf ein inklusiveres Schulsystem pochte. Dieselbe Forderung kam auch von Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler: "Der Ausbau inklusiver Bildungsstrukturen stagniert seit Jahren und zentrale Unterstützungen für Menschen mit Behinderungen wurden weiter gekürzt - das ist untragbar", meinte sie in einer Aussendung.
Politischerseits rechnete FPÖ-Behindertensprecher Christian Ragger mit der Bundesregierung ab. "Im Behinderten- und Pflegebereich wurde weder ein Fortschritt erzielt noch irgendeine ernsthafte Reform für mehr Teilhabe umgesetzt. Stattdessen wird brutal der soziale Rotstift geführt, und zwar ausgerechnet bei jenen Menschen, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen", so seine Kritik in einer Aussendung. "Die Kürzungen betreffen Bund und Länder und reichen von der Wiege bis zur Bahre", kritisierte auch der grüne Sprecher für Menschen mit Behinderungen, Ralph Schallmeiner. Eine sozial gerechte Budgetsanierung dürfe nicht jene Menschen mehr belasten, die ohnehin schon mit vielen gesellschaftlichen Barrieren kämpfen. Die Wiener Grünen warnten vor Einsparungen auch in der Bundeshauptstadt. SPÖ und NEOS brächten Menschen mit Behinderung dadurch noch mehr unter Druck, so die Landesparteivorsitzende Judith Pühringer.
Teilhabe für SPÖ weltweit unverhandelbar
Für die SPÖ erinnerte deren Sprecherin für Außen- und globale Nachhaltigkeitspolitik, Petra Bayr, daran, dass Teilhabe, Selbstbestimmung und Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen weltweit unverhandelbar seien. Ihre Parteikollegin Verena Nussbaum bezeichnete die UN-Konvention als "Kompass" für die Bundesregierung.
Fiona Fiedler, NEOS-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen, warnte vor Rückschritten im Schulbereich. Jenen, die den Anspruch auf gemeinsamen Unterricht als "Sozialromantik" bezeichnet hatten, hielt sie entgegen: "Wer so spricht, ignoriert nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch die gesellschaftliche Realität. Kinder gehören nicht an den Rand, sie gehören in die Mitte der Gesellschaft." Auch die Katholische Aktion unterstrich das. "Sonderschulen sind ein bildungspolitischer Rückschritt", betonte ihr Vizepräsident Thomas Immervoll.
"Disability History Project" im hdgö wird verlängert
Im April vergangenen Jahres startete das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) gemeinsam mit dem Sozialministerium das Disability History Project, um die Geschichte und Perspektiven von Menschen mit Behinderungen sichtbarer zu machen. Am Mittwoch gab Ministerin Korinna Schumann (SPÖ) bekannt, dass das Projekt bis 2027 verlängert wird. "Die beeindruckende Beteiligung der Community und die weit übertroffenen Projektziele zeigen, wie groß der Bedarf an Anerkennung, Aufarbeitung und Bewusstseinsbildung ist", sagte Schumann bei einer Pressekonferenz. Auf den im vergangenen Jahr veröffentlichten Sammlungsaufruf hin wurden dem Museum über 400 Objekte angeboten. Am Samstag findet im hdgö der "Disability History Aktions-Tag" statt.
Bericht: Österreich untätig beim Abbau von Heimen
Der am Mittwoch veröffentlichte "Monitor 2024 De-Institutionalisierung" des Unabhängigen Monitoringausschusses attestiert Österreich indes zu wenig für den Abbau von Heimen zu tun. Es gebe keine umfassende politische Strategie institutioneller Strukturen. Unzureichende Unterstützungsleistungen und ein Mangel an barrierefreiem Wohnraum würden die Situation verschärfen. "Die gesellschaftliche und politische Grundhaltung ist weiterhin, dass Menschen mit Behinderungen in Heimen am besten aufgehoben sind. Das steht in klarem Widerspruch zum Recht auf selbstbestimmtes Leben nach der UN-BRK", sagt Daniela Rammel vom Vorsitzteam. Neben der inklusiven Bildung war die De-Institutionalisierung einer der zentralen Kritikpunkte des UN-Fachausschusses im Rahmen der Staatenprüfung 2023. Der Monitoringausschuss empfiehlt deshalb a.A. neben einer österreichweiten de-Institutionalisierungsstrategie keine Investitionen in bestehende institutionelle Wohnformen und vorhandene Institutionen abzubauen und den systematischen Ausbau von gemeindenahen Unterstützungsdiensten sowie einheitliche Regelungen bei der Persönlichen Assistenz.
Auch Websites nicht barrierefrei
Eine Analyse von "AccessiWay" widmete sich der Barrierefreiheit österreichischer Websites, und kam zu einem ernüchternden Ergebnis: "Das Ergebnis ist erschreckend: 95 Prozent der untersuchten Websites quer durch unterschiedliche Branchen erfüllen die rechtlichen Vorgaben nicht und schließen die Österreicher:innen vom Online-Leben aus", erläutert Paul Anton Mayer, Chief Growth Officer von AccessiWay in einer Aussendung.
(APA/Red.)
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