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Starkes Doppel

©Fotos: Marcel Hagen
Mit größter Sorgfalt baute das Büro Wimmer-Armellini das desolate Doppelhaus am Kolpingplatz zum betreuten Wohnprojekt um und aus. Sie ergänzten es um ein gläsernes Foyer und einen Neubau aus Sichtbeton. Sein steiles Satteldach harmoniert mit der Altstadt, auch der Vorplatz wurde mit Brunnen und Bank neu gestaltet. Nun warten hier elf höchst individuelle Kleinwohnungen, ein Gästezimmer und ein Mehrzweckraum auf Bezug.
Bilder: Leben & Wohnen am Kolpingplatz

Das Doppelhaus am Kolpingplatz drei und fünf in der Bregenzer Altstadt hat eine lange Geschichte: Als „Gugger von Staudach’scher Edelsitz“ oder „Mesnerhaus“ ging es in die Annalen ein, seine Grundfesten reichen bis in die Spätgotik. Das fast quadratische Kellerfundament mit dem Pfeiler in der Mitte konnte in das Jahr 1446 datiert werden, das kleinere, schmale Eckhaus, das sich im Nordosten an der Brandgasse dazu gesellte, dürfte aus dem Jahr 1548 stammen.

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1_2_Kolpingplatz__3_20 ©Viel Geschichte: Die ältesten Bauteile des denkmalgeschützten Doppelhauses am Kolpingplatz reichen bis in das Jahr 1446 zurück.

Im Frühbarock wurde der alte Kern nach Südwesten zum Hof hin erweitert. In Biedermeier und Barock zog man neue Wände ein, während des Historismus wurde eine barocke Stuckdecke durch eine Mauer halbiert, den Holzkassettendecken der Spätrenaissance ging es nicht besser. Viele Generationen lebten in den zwei Fachwerkhäusern, jede fügte ihnen etwas hinzu, zuletzt waren sie im Besitz der Kirche. Das Doppelhaus wurde in kleine Wohnungen im Substandard unterteilt und verkam immer mehr. Zwischen 1905 und 1908 war auf einem erhöhten Plateau direkt gegenüber die Herz-Jesu-Kirche vom Stuttgarter Architekten Joseph Cades im neugotischen Stil errichtet worden, 1916 folgte das Pfarrhaus am Kolpingplatz 1, das mit der Zeit zum Sanierungsfall wurde. Also verkaufte die Kirche die zwei Fachwerkbauten, um so die Renovierung des Pfarrhauses mitzufinanzieren. Das Architekturbüro Wimmer-Armellini tat dies vorbildlich.

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28 ©Strahlende Zukunft: Mit viel Liebe fürs Detail wurde das alte Haus vom Architekturbüro Wimmer-Armellini saniert.

2011 erwarb Kolping Bregenz, dessen Hauptsitz schräg gegenüber neben der Kirche liegt, die zwei Fachwerkshäuser, um darin ein visionäres und nachhaltiges Konzept vom „gemeinsamen Wohnen“ umzusetzen. Der Bestand sollte mit möglichst vielen kleinen, komfortablen Apartments gefüllt werden. „Wir wollten eine betreute Wohnform für ältere Menschen schaffen, die vielleicht gerade ihren Partner verloren haben“, so Bertram Bolter, Geschäftsführer von Kolping Bregenz. Studierende, Singles oder Paare mit knappem Budget sind als potenzielle Mieter ebenso willkommen, über die Vergabe entscheidet eine Dreierkommission. Wer hier einzieht, findet nicht nur leistbaren Wohnraum in bester Stadtlage, sondern auch unkompliziert Anschlussmöglichkeit an die nahe Kolpingfamilie und deren Infrastruktur. Im Kolpinghaus gibt es Mittagessen, Aussprache, Gesellschaft, Veranstaltungen, Dienstleistungen wie Friseur, Massage, Putzen und Ähnliches zum Zumieten.

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1_5_Kolpingplatz__3_46 ©Die Galerie über dem Foyer lässt sich auch per Lift erschließen und bietet viele spannende Perspektiven in das Doppelhaus und seinen Garten.

Die höchst komplexe Aufgabe, den denkmalgeschützten Bestand zum zeitgemäßen, barrierefreien Wohnumfeld mit elf Apartments, Gästezimmer und Mehrzweckraum zu verwandeln, wurde dem Architekturbüro Wimmer-Armellini anvertraut, das sich schon beim Pfarrhaus bewährt hatte. Auf der Grundlage einer sorgfältigen Befundung und Baualtersanalyse passten sie in Abstimmung mit dem Denkmalamt neun Wohneinheiten in den Bestand ein, drei weitere fanden im neuen Zubau Platz. Er schließt im Nordosten an der Brandgasse direkt an die schmale, zweite Bestandshälfte an und verbreitert sich nach Nordwesten ein wenig. Der monolithische Baukörper aus sandgestrahltem Sichtbeton nimmt mit seinen massiven Mauern, den schrägen Laibungen der tief eingeschnittenen Fenster und dem steilen, leicht asymmetrischen Satteldach, das auf den historischen Treppengiebel verweist, wesentliche Merkmale des Bestands auf und interpretiert sie neu. Auch städtebaulich fügt er sich hervorragend in die kleinteilige Struktur der Altstadt. Außerdem bildet er mit dem zweiten Bestandsflügel im Nordwesten einen schönen, geschützten Innenhof: Ein grüner Freiraum mit Baum in der Abendsonne für die neue Hausgemeinschaft.

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2_3_Kolpingplatz__3_39 ©Die alte Holzkassettendecke aus der Spätrenaissance wurde abgenommen, saniert und in einem Eckzimmer im ersten Stock wieder eingebaut.

Ein gläsernes Foyer mit einem großzügigen Luftraum verbindet beide Haushälften. Es fungiert als Eingang und Brücke. Der Neubau bietet mit großen Fenstern und rechtwinkligen Räumen modernen Wohnkomfort, während die Kleinwohnungen im Bestand mit Individualität, historischen Holzbalken, viel Patina und sehr speziellen Grundrisslösungen punkten. Grundsätzlich wurden alle Wände mit Kalk verputzt, neue Türen und Fenster aus Lärchenholz eingesetzt, Eichenparkett verlegt und die Wohnungen mit Fußbodenheizung ausgestattet. Wimmer-Armellini planten auch die Einbauten mit, um den Platz optimal zu nutzen. „Wir haben wirklich mit dem Schuhlöffel noch alles reingezirkelt und die Möblierung bis ins Detail mitgeplant.“ Die Kooperation mit dem Denkmalamt war dabei sehr hilfreich: So konnten in den Wohnungen unter dem historischen Dachstuhl steile Innentreppen auf das Podest unterm Giebel eingebaut werden, wo runde und rautenförmige Fenster unterm First den Blick rahmen. Auch die Geländer und Handläufe im neuen Hauptstiegenhaus mit Lift – simpler Stabstahl – sind einmalig funktionell, platzsparend und schön.

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2_4_Kolpingplatz__3_54 ©Absolute Raumökonomie: Um den Platz im Bestand optimal zu nutzen, plante das Architekturbüro Wimmer-Armellini auch die Einbauten mit.

Die alte Holzkassettendecke wurde abgenommen, renoviert und kommt in einem Vortragssaal und im Gang nun bestens zur Geltung. Überall stößt man auf maßgeschneiderte Details und gewachsene Eigenheiten des Bestands, jede der Kleinwohnungen zwischen 30 und 50 m2 ist absolut einmalig. Die 80 bis 100 cm dicken Mauern blieben mitsamt ihren unorthodoxen historischen Öffnungen erhalten, wunderschön reflektiert der Kalkputz das Sonnenlicht, klar und deutlich hebt sich das Fachwerk davon ab, das im originalen dunklen Rot gestrichen wurde. Die neuen Dachgaupen, die zwischen den alten Balken Licht und Ausblick in die atmosphärischen Dachwohnungen zaubern, sind aus Kupfer: Sie werden schön altern. Von der alten Eingangstür blieb nur der Mauerbogen, man betritt das Haus am Kolpingplatz durch die schmale, puristische neue Eingangstür oder das neue Foyer. Es liegt direkt vor dem Mehrzweckraum mit Küche, der dem kleinen Bestandstrakt eine neue kommunikative Bestimmung gibt. Den Vorplatz gestalteten Wimmer-Armellini mit einem Brunnen aus Sichtbeton mit Holzbank. Ein weiterer Ort der Begegnung.

Daten und Fakten

Objekt: Gemeinsames Wohnen am Kolpingplatz, Umbau, Zubau und Renovierung der Häuser am Kolpingplatz 3, Bregenz
Eigentümer/Bauherr: Kolpingfamilie Bregenz
Architektur: Architekten Wimmer-Armellini, Bregenz, www.wimmer-armellini.at
Statik: DI Andreas Gaisberger, Dornbirn
Fachplaner: Bauphysik: DI Lothar Künz, Hard; Elektro: Ing. Jürgen Hiebeler, Hörbranz, Bauforscher: DI Raimund Rhomberg, Dornbirn
Planung: 3/2011–2/2016
Ausführung: 3/2015–5/2016
Grundstücksgröße: 579 m²
Wohnnutzfläche: 665 m²
Keller: 145 m²
Bauweise: Bestand in Fachwerksbauweise aus Gotik und Renaissance; Aufsparrendämmung mit Ziegel- dachdeckung über Sichtdachstuhl aus der Renaissance; Neubau in Sichtbeton mit Innendämmung; Holzfenster; neue Zentralheizung (Gas) über Fußbodenheizung
Besonderheiten: Der Bestand steht unter Denkmalschutz. Eine Baualteruntersuchung datiert den älteren, bergseitigen Teil des Hauses mit 1446 in das 15. Jahrhundert. Restaurierte Holzdecken aus der Spätrenaissance 16. Jhdt.; Umbau zu barrierefreien Kleinwohnungen, Ergänzung mit Neubau in Sichtbeton; Konzept „gemeinsames Wohnen“ mit Mehrzweckraum, Gästezimmer, Kulturraum und Betreuungsangebot
Ausführung: Baumeister: Gobber, Bregenz; Dachdecker/Spengler: Nagel, Höchst; Gerüst: Brunner, Höchst; Zimmerer: Martin Holzbau, Dornbirn; Sanierung historischer Holzdecken: Bartsch, Immenstadt/Allgäu; Schlosser: Rusch, Dornbirn; Außenputz: Pepic, Rankweil; Heizung, Lüftung, Sanitär: Bechter, Bregenz; Elektro: Pircher, Bregenz; Fenster: Sternath, Hard; Trockenbau: Kreativ Verputz, Hörbranz; Naturstein: Fessler, Hard; Innentüren, Einbaumöbel: Lenz-Nenning, Dornbirn; Küchen: Reichart, Bregenz; Holzboden: Vetter, Bregenz; Fliesen: Knapp, Lauterach; Pflaster: Mallisch Bludenz; Maler: Wilfried Netzer, Wolfurt; Gartenbau: Brunner, Höchst

Quelle: Leben&Wohnen – die Immobilienbeilage der “Vorarlberger Nachrichten”

Für den Inhalt verantwortlich
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