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Städtisches Gefühl in Bregenz

Das neue Wohn- und Geschäftshaus im schönen Bregenz
Das neue Wohn- und Geschäftshaus im schönen Bregenz ©Benno Hagleitner/Bruno Klomfar
Bregenz - Städtisch? Wo das Unterschiedliche, das Individuelle und das Komplexe in organisierter Dichte an einem Ort zusammenfinden – nur dort fühlt es sich richtig städtisch an (manche sagen dann: „urban“). Ein mit dem „best architects“-Award 2015 ausgezeichnetes Projekt in Bregenz als Beispiel.
Wohn- und Geschäftshaus in Bregenz


Der „anonyme Wohnbau“, wie die Bregenzer Architekten Markus Dorner und Christian Matt
das nennen, hat sich seit den 60er Jahren in ganz Europa verbreitet: überall mehr oder weniger gleichartige Geschosswohnbauten, die nach dem Kopieren-und-Einfügen-Verfahren in die Welt gestellt werden. Sie werden präzise kalkuliert für den Durchschnittsmenschen und sein architektonisches Existenzminimum, das sich je nach Zeitgeschmack und Wirtschaftslage ein wenig ausdehnt oder schrumpft. Kaum ein Architekturbüro mittlerer Größe kommt daran vorbei, sich dann und wann an dieser unerfreulichen Art der Massenproduktion von Raum zu beteiligen. Umso erfreulicher ist, dass es dennoch Abweichungen vom Standard gibt.

„Wir wollten hier etwas anderes machen“, sagt Christian Matt und meint damit vor allem, nicht den einen immer gleichen Grundriss übereinander zu stapeln. Das macht die Planung zwar aufwendiger, weil es weniger Standardlösungen gibt, die sich angenehm von einer Wohneinheit auf die andere übertragen ließen. Dafür können aber die Besonderheiten der Bestandsbebauung, landschaftliche Qualitäten und topografische Herausforderungen und nicht zuletzt die unterschiedlichen Wohnbedürfnisse der künftigen Mietenden angemessen berücksichtigt werden. Kurz: ein organisiert-komplexes, also „städtisches“ Gebäude kann entstehen.
Einen ersten Hinweis auf eine solche Herangehensweise liefert das Fassadenbild mit den  eingeschobenen hochformatigen Fenstern: fast jede Geschäfts- und Wohneinheit enthält einen
zweigeschoßigen Luftraum von etwa sechs Metern, der jeweils ins Geschoß darüber greift. Klar, dass bei diesem Arrangement kein Grundriss dem anderen gleichen kann. Spielerei? Gar nicht: Die hohen Öffnungen ermöglichen für innen erweiterte Licht- und Sichtverhältnisse, von außen betrachtet zieht ihre vertikale Struktur den Blick nach oben. Beides wirkt dem Eindruck eines engen Tals, was diese Senke zwischen Oberstadt im Osten und Ölrain-Plateau im Westen  eigentlich ja ist, erfolgreich entgegen. Noch etwas höher als die Fenster und einige Meter tief ist der Portalbereich ins Haus geschnitten. Auch das ist eine „urbane“ Geste: der Außenraum wird als halböffentliche Zone weit hinein ins Volumen des Gebäudes gezogen – eine freundliche Einladung an die Stadt mit architektonischen Mitteln.

Während Geometrie und Position des Hauses die topografischen Herausforderungen des Bauplatzes fast vergessen machen, wird auf der Ebene des Materials der Geländebruch in seiner ästhetischen Qualität bewusst herausgearbeitet: Wo könnte Waschbeton (bekanntlich nicht von allen so geliebt) besser passen als in diesem kleinen Tälchen, das vom eiszeitlichen Schmelzwasser ins Gletschergeschiebe gegraben wurde? Außerdem wird so eine gewisse Nähe zur Gebäudefamilie der Festungsbauten deutlich und damit ein Bezug zu den Nachbarn gegenüber hergestellt, den westlichen Mauerteilen  der Oberstadt mit dem Deuringschlössle.

Auf allen Seiten tritt das Bauwerk in ein ganz spezifisches Verhältnis zur umgebenden Stadtlandschaft. Das gilt für die acht Wohnungen, die allesamt nach zwei Seiten orientiert sind und mit Loggien, Balkonen oder Dach- und Gartenterrassen je individuell ausgerichtete Außenräume bieten. Das gilt aber auch für die städtebauliche Konzeption des Gebäudes, das sich scheinbar mühelos ins bestehende Geflecht aus Blick-, Nutzungs- und Wegbeziehungen fügt, ja diese aufzuwerten weiß. Hervorzuheben ist hier die Treppenverbindung zwischen Kirchstraße und Thalbachgasse, von Projektleiter Hannes Zumtobel wohl nicht umsonst als „PiP“ bezeichnet, Büro-Jargon bei Dorner\Matt für ein hingebungsvolles „Projekt im Projekt“. Im Vorgängergebäude (Rotationsdruckerei jener Tageszeitung, deren Samstags-Beilage Sie soeben aufmerksam studieren) eine wenig einladende Passage unter dem Verbindungstrakt zum Redaktionshaus, wurde der Durchgang durch das Absetzen des Gebäudes nun zur ansprechenden, geradezu mediterran anmutenden Gasse. Aus Sicht der Stadt eine weitere kleine Errungenschaft, das hochwertige historische Erbe an spannenden Wegen, Plätzen und Aussichten für Bregenz neu wahrnehmbar und attraktivzu machen.

Daten & Fakten

Objekt: Wohn – und Geschäftshaus

Eigentümer/Bauherr: Russmedia Immobilien GmbH & Co OG

Architektur: Dorner/Matt Architekten, Bregenz

Ingenieure/ Fachplaner: Mader & Flatz, Bregenz

Planung: 2011-2012

Ausführung: 2012-2014

Grundstücksgröße: 910 m²

Wohnnutzfläche: 1070 m²

Keller: 600 m²

Bauweise: 22cm Sichtbeton (weiß, gewaschen); 16 cm Innendämmung; Gipskartonvorsatzschale;

Keller: Stahlbeton (teilweise Bestand)

Fußböden: Parkett Eiche

Heizung: Gas (Anschluss Nachbargebäude Bestand)

Innenwände: Gipskarton

Fenster: Holz-Aluminium

Ausführende Firmen: Baumeisterarbeiten: Zimmermann Bau; Bregenz: Zimmerer: Berchtold; Schwarzenberg; Fenster: Manahl, Bings; Innenausbau: Bohn; Ausbau: Böden: Fend+Eberle, Wolfurt; Heizung/Lüftung: Bechter, Bregenz/Intemann, Lauterach; Elektro: Graf, Dornbirn; Garten: Moosbrugger, Hörbranz

Energiekennwert: 30 KWh/m² im Jahr

Baukosten: 2,75 Mill euro

Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der VN.

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

 

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