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Sechs Schweizer Bischöfe sollen Missbrauch vertuscht haben

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In der Schweiz sollen sechs Bischöfe sexuelle Missbrauchsfälle vertuscht haben. Vier der sechs Bischöfe sind derzeit noch im Amt, doch die Schweizer Bischofskonferenz hat bereits Ermittlungen eingeleitet.
Ein Verbrechen "unter dem Mantel der Liebe"

Die katholische Kirche in der Schweiz gerät immer mehr unter Druck. Im Kampf gegen Missbrauchsfälle in der Kirche hat der ehemalige Generalvikar von Genf, Lausanne und Freiburg Nicolas Betticher das Schweigen gebrochen und den Papst informiert, dass Missbrauchsfälle in der Schweiz vertuscht worden seien. Er gibt zu, dass mehrere Kirchenmitarbeiter in der Vergangenheit und in der Gegenwart "Fehler" gemacht hätten. Der Vatikan hat nun eine interne Untersuchun eingeleitet.

Pilotstudie über sexuellen Missbrauch

Währendessen ist am Dienstag eine Pilotstudie des Historischen Seminars der Universität Zürich vorgestellt worden. Demnach sind mindestens 921 Personen seit Mitte des 20. Jahrhunderts im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz von sexuellem Missbrauch betroffen gewesen. Das könnte jedoch nur "die Spitze des Eisbergs" sein. Identifiziert wurden laut Kathpress 1.002 Fälle und 510 Beschuldigte.

Das Spektrum reiche von "problematischen Grenzüberschreitungen bis hin zu schwersten, systematischen Missbräuchen, die über Jahre hinweg andauerten", hieß es.

Missbrauch bei Beichten und im Religionsunterricht

In der ganzen Schweiz und im gesamten Untersuchungszeitraum habe es sexuellen Missbrauch gegeben, geht aus dem Bericht hervor. Besonders drei "soziale Räume" mit spezifischen Machtkonstellationen seien betroffen: in der Seelsorge, dabei vor allem bei Beichtgesprächen, im Ministrantendienst und im Religionsunterricht; im Bildungs- und Fürsorgebereich der katholischen Kirche, der vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zentrale gesellschaftliche Funktionen wahrnahm, sowie bei den Orden und neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen. Bei diesen habe sich die Quellensuche besonders schwierig gestaltet.

Großteil der Opfer waren minderjährig

Den Angaben zufolge waren 39 Prozent der Opfer weiblich, 56 Prozent männlich, bei 5 Prozent ließ sich das Geschlecht in den Quellen nicht eindeutig feststellen. 74 Prozent der dokumentierten Fälle von sexuellem Missbrauch betreffen Minderjährige - "von Säuglingen und vorpubertären Kindern bis hin zu postpubertären jungen Erwachsenen", so die Studienleiterinnen Monika Dommann und Marietta Meier -, sowie 14 Prozent Erwachsene und 12 Prozent Menschen in nicht eindeutig feststellbarem Alter. Die Beschuldigten seien fast ausschließlich Männer gewesen, hieß es.

Vernichtung von Akten bewiesen

Die beiden Studienleiterinnen gehen deshalb von vielen weiteren, bisher nicht erfassten Fällen aus, da zahlreiche Archive noch nicht ausgewertet werden konnten, darunter Archive von Ordensgemeinschaften, Dokumente diözesaner Gremien und die Archivbestände katholischer Schulen, Internate und Heime sowie staatliche Archive. Für zwei Schweizer Diözesen könne zudem die Vernichtung von Akten belegt werden, so die Studienleiterinnen. Auch lasse sich beweisen, dass nicht alle Meldungen konsequent schriftlich festgehalten und archiviert worden seien. "Angesichts der Erkenntnisse aus der Dunkelfeldforschung gehen wir davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Fälle überhaupt jemals gemeldet wurde", so die Historikerinnen.

Den notwendigen Zugang zu den Akten - auch wenn manche von diesen bisher geheim gehalten worden seien - habe das vierköpfige Forscherteam eigenen Angaben nach jedoch stets "bis auf einige Ausnahmen ohne größere Hürden" erhalten. Für die Studie wurden zudem zahlreiche Gespräche mit von sexuellem Missbrauch Betroffenen und weiteren Personen geführt.

Täter wurden versetzt statt bestraft

Als ein Grundproblem nannten die Forscherinnen eine einst bestehende "Kultur des Wegschauens" in der katholischen Kirche. Das bereits 1917 verschärfte kirchliche Strafrecht sei lange Zeit kaum angewandt worden, sondern es sei "verschwiegen, vertuscht oder bagatellisiert" und die Täter seien geschützt worden, so die Historikerinnen. Diözesane Verantwortungsträger hätten beschuldigte und selbst überführte und verurteilte Kleriker systematisch versetzt, mitunter auch ins Ausland, um eine weltliche Strafverfolgung zu vermeiden und einen weiteren Einsatz der Kleriker zu ermöglichen. Dabei seien die Interessen der Kirche und ihrer Würdenträger über das Wohl und den Schutz von Gemeindemitgliedern gestellt worden.

Wandel erst im 21. Jahrhundert

Ein grundsätzlicher Wandel dieses Vorgehens lasse sich erst im 21. Jahrhundert feststellen. Besonders der Druck durch Betroffenenorganisationen und die Medien habe dazu beigetragen, hieß es.

Auftraggeber der Pilotstudie waren die Schweizer Bischofskonferenz, die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) sowie die Konferenz der Ordensgemeinschaften und anderer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS). Sie hatten die Universität Zürich Ende 2021 beauftragt, sexuellen Missbrauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu erforschen.

Schweiz als Ganzes betrachtet

Einbezogen in die Untersuchung wurden nicht nur sämtliche Diözesen in allen Sprachregionen der Schweiz, sondern auch die staatskirchenrechtlichen Strukturen und die Ordensgemeinschaften. Damit wurde - anders als bei vergleichbaren Gutachten in anderen Ländern - die katholische Kirche in der Schweiz als Ganzes in den Blick genommen.

(APA/VOL.AT)

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