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"Schlag ins Gesicht für Überlebende" – Heftiger Protest bei Gedenken an Novemberpogrome

IKG fordert Rosenkranz-Rücktritt von NS-Opfer-Stiftung. ©APA/Eva Mannhart, Gregor Hochmuth
Am Freitag gedachte das offizielle Österreich der Novemberpogrome gegen die jüdische Gemeinde vor 86 Jahren.

Mehrere Regierungsmitglieder, Vertreter der Parlamentsparteien sowie der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) erinnerten an der Shoah-Namensmauer in Wien in der Früh an die Pogrome. Nicht dabei war Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ), der von der IKG explizit nicht zur Gedenkveranstaltung eingeladen wurde.

Distanz der IKG zur FPÖ

Grund für die Ausladung war, dass die IKG mit Verweis auf zahlreiche antisemitische Vorfälle weiterhin Distanz zur FPÖ und damit auch zum vor zwei Wochen gewählten Nationalratspräsidenten hält. Es sei "unmöglich, mit so einer Person gemeinsam der Opfer zu gedenken", begründete IKG-Präsident Oskar Deutsch die Nicht-Einladung am Rande der Gedenkveranstaltung gegenüber Medienvertretern. Erneut forderte Deutsch, dass Rosenkranz, der Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Libertas ist, den mit dem Amt als Nationalratspräsident verbundenen Vorsitz des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus sowie seine Rolle bei Friedhofsfonds und Wiesenthal-Preis zurücklegt. Einen Kontakt der IKG mit Rosenkranz und anderen FPÖ-Funktionären schloss er auch für die Zukunft weiterhin aus.

Zweite Veranstaltung am Judenplatz mit Demonstrationen gegen Rosenkranz

Da die IKG eine Beteiligung der FPÖ-Politiker ablehnte, wollte Rosenkranz beim Mahnmal am Judenplatz eine eigene Gedenkveranstaltung abhalten. Doch jüdische Demonstrantinnen und Demonstranten hinderten ihn daran, dort einen Kranz niederzulegen.

Die Jüdischen Österreichischen Hochschülerbildeten eine Menschenkette um das Denkmal und richteten Rosenkranz aus: "Wer Nazis ehrt, dessen Wort ist nichts wert!" Rosenkranz sprach von „Gewalt“, obwohl die Demonstranten betonten, dass es sich um einen friedlichen Protest handelte.

©APA/Eva Mannhart

"Sie hindern mich mit Gewalt"

Nach einigen Minuten der Diskussion gab Rosenkranz auf und verließ den Judenplatz sichtlich verärgert unverrichteter Dinge. Er warf den Demonstranten „Gewalt“ vor und erklärte: "Sie hindern mich mit Gewalt - aber ich weiche der Gewalt von Ihnen". Die Protestierenden widersprachen: „Niemand hier übt Gewalt aus.“ Die Demonstranten, die auch die israelische Hymne sangen, argumentierten, Rosenkranz würde den Opfern der Shoah durch seine Präsenz „ins Gesicht spucken“.

Teilnehmer an der Gedenkveranstaltung an der Shoah-Namensmauer

An der Gedenkveranstaltung an der Shoah-Namensmauer nahmen der Zweite Nationalratspräsident Peter Haubner (ÖVP), mehrere Ministerinnen und Minister von ÖVP und Grünen sowie Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) teil. Verhindert waren heuer Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der sich von einer Bandscheiben-Operation erholt, und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der am EU-Gipfel in Ungarn teilnimmt. Für die SPÖ war der geschäftsführende Klubobmann Philip Kucher vor Ort, für die NEOS Parteichefin Beate Meinl-Reisinger.

Gewaltsame Ausschreitungen in Amsterdam

Überschattet wurde das Gedenken an die Novemberpogrome am Freitag von gewaltsamen Ausschreitungen am Rande des Auswärtsspiels eines israelischen Fußballclubs in Amsterdam am Vorabend. Deutsch verurteilte die Gewalt scharf. Es sei noch unklar, was genau passiert sei, aber es sei etwas Unmögliches, dass Leute bei einem Auswärtsspiel „auf brutalste Weise physisch angegriffen und verfolgt“ werden. „Da frage ich mich schon, wo die Polizei da war“, kritisierte der IKG-Präsident.

Vorverlegung der Gedenkveranstaltung

Die Gedenkveranstaltung fand heuer einen Tag vor dem eigentlichen Jahrestag statt, weil dieser diesmal auf einen Samstag und damit auf den jüdischen Ruhetag Shabbat fällt. In der Nacht von 9. auf 10. November 1938 waren im gesamten "Deutschen Reich" systematisch Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte geplündert und Jüdinnen und Juden misshandelt worden. Allein in Österreich wurden damals mindestens 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert.

Erklärungen von politischen Vertretern

"Dieser Tag sollte uns stets als Mahnung in Erinnerung bleiben - Hass, Gewalt und Antisemitismus haben bei uns keinen Platz", erklärte Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) in einer Aussendung. SPÖ-Chef Andreas Babler bezeichnete den Anstieg antisemitischer Vorfälle als „höchst alarmierend und besorgniserregend“ und sah darin einen klaren Auftrag, „jeden Tag für Freiheit, für Demokratie und für Menschenrechte zu kämpfen“.

"Light of Hope"

Bereits am Donnerstagabend hatten mehrere hunderte Menschen auf Initiative von IKG und Jüdischer Jugend Wiens beim Marsch „Light of Hope“ in der Wiener Innenstadt der Novemberpogrome gedacht. Unter den Teilnehmern waren auch Regierungsmitglieder und Parteienvertreter. Am Judenplatz wurde zudem an die 101 israelischen Geiseln erinnert, die sich nach dem Anschlag der palästinensischen Hamas vom 7. Oktober 2023 noch in der Gewalt der Terrororganisation befinden. Die Initiative „Hostages and Missing Families Forum - BRING THEM HOME NOW“ stellte für sie einen Shabbat-Tisch auf.

(APA; VOL.AT)

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