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Rückblick auf den EU-Wahlkampf: Rechtsruck, Kriegsangst, Klimasorge - und Schilling

Am Sonntag findet die EU-Wahl statt.
Am Sonntag findet die EU-Wahl statt. ©APA, AFP
Der EU-Wahlkampf neigt sich dem Ende zu, am Sonntag sind die knapp 6,4 Millionen Wahlberechtigten in Österreich zur Stimmabgabe aufgerufen. Dominiert war die Wahl-Auseinandersetzung von der Warnung vor einem Rechtsruck, der Debatte um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dem Klima-Thema und seit Mai von den Vorwürfen gegen die Grüne Spitzenkandidatin Lena Schilling.
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Die Spitzenkandidatensuche gestaltete sich teils etwas langwierig.

Die lange Suche nach den Spitzenkandidaten

Die ÖVP, die 2019 mit Othmar Karas als Spitzenkandidat und Karoline Edtstadler als Listenzweiter angetreten war und damals mit einem Rekord-Ergebnis Platz 1 einfuhr (34,55 Prozent/+7,57) mühte sich lange mit der Entscheidung über ihren Spitzenkandidaten. Karas selbst erklärte Mitte Oktober, nicht mehr zu kandidieren und begründete den Schritt mit dem Zerwürfnis zwischen ihm und seiner Partei - etwa beim Thema Asyl und Migration.

Die als potenzielle türkise Kandidatin gehandelte Europaministerin Karoline Edtstadler untermauerte schon im Juli des Vorjahres, nicht bereitzustehen - ihr wurden und werden Ambitionen auf den Posten der EU-Kommissarin nachgesagt. Anfang Jänner fiel dann der Name des außenpolitischen Sprechers der ÖVP, Reinhold Lopatka, als möglicher Kandidat - und am 15. Jänner schickte der ÖVP-Parteivorstand den langjährigen Nationalratsabgeordneten als Spitzenkandidaten in die Wahl. Dass dieser Job angesichts der mageren Umfragewerte der Türkisen kein einfacher wird, ahnte wohl auch ÖVP-Chef Karl Nehammer: "Danke, dass du dir das antust", lobte dieser seinen Spitzenkandidaten bei dessen Kür.

Bei den Grünen sagte im November Umweltschutzministerin Leonore Gewessler ab, ein Nein kam auch von Justizministerin Alma Zadic - beide wurden zuvor als mögliche Kandidatinnen gehandelt. Bereits damals wurde die Klima-Aktivistin Lena Schilling als Favoritin genannt. Parteichef Werner Kogler, der die Grünen nach dem Debakel bei der Nationalratswahl 2017 dann als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl 2019 aus dem Tief wieder nach oben führte, präsentierte Schilling am 22. Jänner als seinen Vorschlag für den ersten Listenplatz. Offiziell gewählt wurde die Jungpolitikerin dann Ende Februar am Grünen Bundeskongress.

Auch die NEOS waren auf Personalsuche, denn die Spitzenkandidatin von 2019, Claudia Gamon, wechselte als NEOS-Landessprecherin nach Vorarlberg und will dort bei den Landtagswahlen im Herbst antreten. Früh galt der Ex-Journalist Helmut Brandstätter als logischer Nachfolger. 2019 war dieser über eine Wild-Card auf der NEOS-Liste als Quereinsteiger für die Nationalratswahl gelandet und seitdem im Nationalrat als pinker Abgeordneter tätig. Im Oktober trat er dann der Partei auch offiziell als Mitglied bei - und erklärte im Dezember seine Bewerbung um die Spitzenkandidatur. Nach den bei den NEOS üblichen Vorwahlen erfolgte seine Kür dann bei der Bundesmitgliederversammlung der Pinken am 27. Jänner.

Lediglich SPÖ und FPÖ legten sich früh fest und blieben bei ihren Kandidaten aus dem Jahr 2019. Andreas Schieder (SPÖ) erklärte schon im Frühjahr 2023, weitermachen zu wollen, offiziell wurde seine Kür dann im Herbst. FPÖ-Chef Herbert Kickl legte sich Anfang Oktober auf Harald Vilimsky als blauen Spitzenkandidat fest, offiziell wurde die Kandidatur Ende Jänner.

Inhaltliche Schwerpunkte und Kontroversen im Wahlkampf

Inhaltlich geprägt war der Wahlkampf von Warnungen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS vor einem Rechtsruck der gesamten EU und vor Russland-Nähe rechter Parteien in ganz Europa, insbesondere der FPÖ. Diese wurde von der Konkurrenz an den vor Jahren geschlossenen Freundschaftsvertrags mit der Partei "Einiges Russland" von Russlands Machthaber Wladimir Putin erinnert.

Die FPÖ wiederum relativierte dies, denn der Vertrag sei "nie mit Leben erfüllt" worden, wie Ex-Parteichef Norbert Hofer auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz ausführte. Für Empörung der Konkurrenz sorgte die FPÖ mit Plakaten, auf denen ein "EU-Wahnsinn" beklagt wurde und sich Bilder einer sehr herzlichen Begrüßung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fanden - unter dem Schlagwort "Kriegstreiberei".

ÖVP-Spitzenkandidat Lopatka ortete darin einen "Wahnsinn" der FPÖ. Gleichzeitig versuchte die ÖVP, mit eher rechten Positionen zu punkten, etwa mehr Außengrenzschutz. Beim Klimathema pochte Lopatka weiterhin auf die ÖVP-Forderung, die Verbrennertechnologie im Automobilbau zu verfolgen; Klimaschutzmaßnahmen sollte es geben - das aber mit "Hausverstand". Auch für weniger "Überregulierung" trat die ÖVP ein, hob aber gleichzeitig die Bedeutung der Europäischen Union als Friedensprojekt hervor. Teils legte die Volkspartei ihren Wahlkampf auch recht regional an: "In Brüssel zählt für mich nur eines: Oberösterreich", so der lokalpatriotische Slogan der Listenzweiten Angelika Winzig.

Auch die SPÖ, die in der Vergangenheit teils für eine zu wenig klare harte Linie gegenüber Russland kritisiert wurde, ortete Russland-Nähe der Blauen. Für die Ukraine fordere Schieder "volle humanitäre Hilfe" sowie "volle politische Unterstützung" - pochte gleichzeitig aber auf die österreichische Neutralität. Aufhorchen ließ er mit dem SPÖ-Motto "Europa first, statt Made in China": Es gelte, in den Standort zu investieren, betonte er. Zudem bemühte sich die SPÖ im Finale des Wahlkampfs sichtlich um das Umwelt- und Klimathema. Der schwarz-grünen Koalition warf Schieder etwa das Fehlen des Nationalen Energie- und Klimaplans vor. In der Debatte rund um die Renaturierung forderte die Partei einen "Nationalen Aktionsplan", zuvor hatten mit Wien und Kärnten zwei der drei SP-regierten Bundesländer ihren Ausstieg aus der einheitlichen Bundesländerblockade des EU-Renaturierungsgesetzes erklärt.

Klare Solidarität mit der Ukraine forderte auch die Grüne Spitzenkandidatin Schilling ein und warnte vor nachlassender Unterstützung: "Wenn Russland aufhört zu kämpfen, ist der Krieg vorbei, wenn die Ukraine aufhört, zu kämpfen, ist die Ukraine vorbei." Natürlich war für die Grünen aber auch das Thema Klimakrise im Wahlkampf wichtig.

Die NEOS wiederum positionierten sich mit dem deutlichsten pro-europäischen Kurs, Brandstätter sprach sich für die Idee einer eigenen EU-Armee aus und warb mit dem Slogan "Vereinigte Staaten von Europa".

Kritisch gegen die Russland-Politik der EU, aber auch Österreichs trat die KPÖ auf, die sich neuerlich an einer Kandidatur versucht. Spitzenkandidat Günther Hopfgartner stellte die Themen Krieg und Frieden in den Mittelpunkt, in der EU orten die Kommunisten eine "Kriegslogik", diese müsse einer "Friedenslogik" weichen. Zum Einsatz kam etwa der Slogan "Wohnen statt Kanonen".

Am Rande wurde auch noch die Corona-Pandemie angeschnitten: Die FPÖ trommelte das Thema in ihren hauseigenen Medienkanälen, Parteichef Kickl lud etwa den deutschen Mediziner und Covid-Maßnahmenkritiker Sucharit Bhakdi Mitte April nach Wien zu einer FPÖ-Veranstaltung (Titel: "Zurück zur Normalität"), dieser durfte dort nicht nur die Covid-Impfung diskreditieren, sondern auch Errungenschaften wie die Polio-Impfung gegen Kinderlähmung ("Es gibt keinen Beleg für die Wirksamkeit").

Auf Pferd Covid setzt auch die neue Partei DNA (Demokratisch - Neutral - Authentisch): Die coronamaßnahmenkritische Liste schaffte überraschend die für den Sprung auf den Stimmzettel nötige Hürde von mehr als 2.600 Unterstützungserklärungen. Angeführt von der als Aktivistin gegen die Corona-Maßnahmen bekannt gewordene Grazer Medizinerin Maria Hubmer-Mogg wird unter anderem eine unabhängige Untersuchung der Coronapolitik, eine Ablehnung des geplanten Pandemievertrags der WHO sowie ein Ende der Russland-Sanktionen gefordert.

Umfragewerte und Prognosen: Wer hat die Nase vorn?

Während die Grünen mit ihrer Kandidatin Schilling bis Mitte Mai laut Umfragen zunächst darauf hoffen konnten, ihrem Ergebnis von 2019 nahezukommen (14,08 Prozent), geriet die Kampagne der Öko-Partei ab dem 7. Mai gehörig ins Wanken. Grund dafür waren von der Tageszeitung "Standard" publizierten Vorwürfe, die teils den privaten Bereich Schillings betrafen. Gleichzeitig sah sie sich unter anderem auch mit der Vorhaltung konfrontiert, sie hätte überlegt, nach der Wahl zur Linksfraktion zu wechseln. Letzteres wies Schilling scharf zurück und konterte mit der Beantragung der Parteimitgliedschaft bei den Grünen. Kritisch kommentiert wurden aber nicht nur die Vorwürfe selbst, sondern auch das Krisenmanagement der Parteispitze: Berühmt-berüchtigt wurde etwas Koglers Abkanzeln der Vorwürfe als "anonymes Gemurkse" und "Gefurze" - eine Wortwahl, für die sich der Vizekanzler später entschuldigte. Ab Mitte Mai spiegelte sich die Debatte auch in den Umfragewerten wider, seitdem liegen die Grünen zwischen neun und 13 Prozent.

Die NEOS hingegen erfuhren in den Meinungsumfragen einen Aufwärtstrend auf bis zu 15 Prozent. Damit dürfen die Pinken mit einem (eventuell sogar deutlich) besseren Abschneiden als 2019 (8,44 Prozent) spekulieren.

Die Umfragen attestieren der Sozialdemokratie ein ähnliches Ergebnis wie 2019, als sie mit 23,89 Prozent ihr zweitschlechteste EU-Wahlergebnis einfuhr. Mit Umfragewerten zwischen 22 und 24 Prozent kann die SPÖ maximal auf ein Match mit der ÖVP um Platz zwei hoffen, der die Demoskopen einen Stimmenanteil von 21 bis 23 Prozent attestieren. Platz eins wird gemäß Umfragen an die FPÖ gehen, die in den Umfragen mit 26 bis 30 Prozent ausgewiesen wurde.

Die Chancen für die beiden kleinen Listen sind nicht besonders hoch: Während die Umfragen der DNA mit 1 bis 2 Prozent keine Chancen auf den Einzug geben, kratzt die KPÖ, die zuletzt bei den Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen in Salzburg und Innsbruck überraschend starke Ergebnisse eingefahren hatte, mit Umfragewerten zwischen zwei bis drei Prozent schon eher an der für den Einzug ins EU-Parlament notwendigen Vier-Prozent-Hürde.

(APA/VOL.AT)

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