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Robust mit Leichtigkeit

Der Charakter der ursprünglichen Fassade konnte erhalten werden. Durch die thermische Sanierung jedoch in neuer Interpretation mit durchgängigen Fensterbändern.
Der Charakter der ursprünglichen Fassade konnte erhalten werden. Durch die thermische Sanierung jedoch in neuer Interpretation mit durchgängigen Fensterbändern. ©Benno Hagleitner
Dornbirn. Menschen in Notlagen brauchen eine solide Unterkunft – aber auch Gemeinschaft, Austausch und freundliche Atmosphäre. Dafür wurde das „Haus der jungen Arbeiter“ 1957 errichtet. Nun wurde es saniert und erweitert. Einfach und beständig wie damals, hell und wohnlich nach den Standards von heute.
Kaplan Bonetti Haus

Das Arbeiterwohnheim unmittelbar neben dem Dornbirner Bahnhof war schon in Bau, als Kaplan Emil Bonetti 1957 dessen Leitung übernahm. Seelsorgeamtsleiter Edwin Fasching, der eben verstorben war, hatte die Einrichtung ins Leben gerufen, um jungen Gastarbeitern – damals vor allem aus Kärnten und der Steiermark – dringend benötigte Unterkunft und Verpflegung zu ermöglichen, aber auch, um ihnen sozialen Rückhalt in einer schwierigen Lebenssituation zu bieten.

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1_4_5T5V9394 ©Neubau Horizontale Fugen gliedern die Lochfassade aus Eternit. Die Terrasse vor dem Speisesaal bietet einen angenehmen Ruheplatz. Etwas rote Farbe setzt im gesamten Haus Akzente. Foto: Benno Hagleitner

Der Grundgedanke blieb über die Jahrzehnte erhalten, die Bewohnerschaft allerdings wandelte sich im Laufe der Zeit. Nach den „Innerösterreichern“ kamen vor allem Arbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien. Mit dem Ende der wirtschaftlichen Boomjahre veränderte sich in den 80er-Jahren das Aufgabengebiet. Seither finden hier Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in Not geraten und wohnungslos sind, für gewisse Zeit Unterkunft und Betreuung.

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2_1_EG_5T5V0351 ©Das Foyer ist zentrale Anlaufstelle für Gäste wie Bewohner – wie die gesamte Anlage einfach und aufs Wesentliche reduziert, dabei freundlich und hell. Foto: Benno Hagleitner

„Mit dem Tod von Kaplan Bonetti vor acht Jahren wurde ein umfassender Organisationsentwicklungsprozess auf den Weg gebracht“, erläutert Peter Mayerhofer, Leiter des heutigen „Kaplan Bonetti Hauses“, die Vorgeschichte des Projekts: „Neben der Intensivierung des sozialarbeiterischen Angebots war rasch klar, dass es einer grundlegenden baulichen Erneuerung bedurfte.“ Dies mündete 2009 in einen geladenen Wettbewerb, den die Architektengemeinschaft Hörburger-Kuëss aus Bregenz für sich entscheiden konnte.

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2_2_EG__5T5V0276 ©Die neue Gestaltung habe sich beruhigend auf die Stimmung im Haus ausgewirkt, lobt Geschäftsführer Peter Mayerhofer die Arbeit der Architekten Helmut Kuëss und Manfred Koller (von links). Foto: Benno Hagleitner

Schon vom Bahnhof aus zeigt sich eine wichtige Errungenschaft der Neugestaltung: Der Zugang, vormals zwischen den Bauteilen versteckt, ist durch den Abriss des bahnhofseitigen Trakts nach vorne gerückt und öffnet sich nun mit einladender Freitreppe und Vorplatz Richtung Stadt. Diese bewusst gewählte Geste überträgt die Haltung des Hauses erfolgreich auf den Raum: Ein Ort, der Menschen willkommen heißt, anstatt sie auszugrenzen. Durch die Positionierung des neuen Gebäudes, das mit einem schmalen Verbindungselement im rechten Winkel ans Haupthaus anschließt, ergibt sich auf der anderen Seite im Südwesten ein attraktiver Gartenhof als geschützter Rückzugsraum im Freien.

Bewohner wie Gäste gelangen vom Vorbereich mit überdachtem Podest in einen freundlichen Empfangsraum. Von diesem Schnittpunkt der Erschließungswege von Alt- und Neubau geht es entweder über die bestehende Treppe nach oben in die Wohnetagen, nach links zu den Büros im neuen Trakt, oder gerade-aus in den Speisesaal im Bestandsgebäude, der sich mit großzügiger Terrasse Richtung Garten öffnet. Als „Drehgelenk“ der beiden Bauteile dient der Bereich neben dem Stiegenaufgang auch in den oberen Geschoßen jeweils mit einer kleinen Teeküche als Treffpunkt und Aufenthaltsort. Straßenseitig wurde im Erdgeschoß eine moderne Küche untergebracht. Im natürlich belichteten Untergeschoß des Neubaus finden Gemeinschafts- und Beschäftigungsräume Platz: Bibliothek, Fernsehzimmer, Tischtennis- und Werkraum. Kostengünstigkeit, Robustheit und gesetzliche Anforderungen bestimmen weitgehend das Erscheinungsbild einer solchen Einrichtung. Dass es nicht nur praktisch und pragmatisch, sondern auch freundlich und angenehm geworden ist, liegt an der guten Organisation des Raumprogramms, das mehrere Aufenthaltsbereiche mit unterschiedlichen Qualitäten im ganzen Haus verteilt anbietet. Darüber hinaus lebt die Architektur von vielen kleinen Details, die den „Mindeststandard“ nicht unbedingt auf den ersten Blick so wirken lassen.

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2_4_OG_5T5V0319 ©Wie viel Komfort wird Menschen in Not zugestanden? Das ändert sich mit der Zeit und je nach gesellschaftlicher Stimmung. Die Betten wurden im Rahmen eines Arbeits-projekts selbst gefertigt. Foto: Benno Hagleitner

Mit dem Umbau ist auch ein bemerkenswertes Beispiel moderner Vorarlberger Sakralarchitektur in den Vordergrund gerückt und saniert worden. Die Kapelle wurde 1960 wie das etwas ältere Haupthaus nach Plänen von Hans Burtscher errichtet, nur wenige Jahre vor der Kolumbankirche für Bregenz, die er nicht unähnlich mit zeltartigem Betondach konzipierte. Im Innenraum ist ein beeindruckendes Wandrelief von Herbert Albrecht zu bestaunen, das kurz vor dessen bekannter Portalplastik an der Klosterkirche Mehrerau entstanden ist.

Daten & Fakten

Objekt: Kaplan Bonetti Haus, Dornbirn
Eigentümer: VOGEWOSI, Dornbirn
Betreiber: Gemeinnützige Verwaltungsvereinigung, Kaplan Bonetti Wohnungsprojekte
Architekten: Arbeitsgemeinschaft der Architekten Hörburger und Kuëss, Bregenz; Projektleiter: Manfred Koller
Statik: gbd, Dornbirn
Ingenieure/Fachplaner: Elektro: EK-Plan, Nenzing; Heizung, Lüftung Sanitär; Werner Cukrowicz, Lauterach

Planung: 2009 (Wettbewerb) – 2012
Ausführung: 3/2012–11/2014
Grundstücksfläche: 3474 m²
Nutzfläche: 2400 m²

Bauweise: Bestand: Massivbau, Rückführung auf Rohbau; Außenfassade neu: Wärmedämmverbundsystem; Neubautrakt: Massivbau, hinterlüftete Eternitfassade; Böden: Kautschuk

Heizung: Erdwärme mit Fußbodenheizung, kontrollierte Be- und Entlüftung, Solarkollektoren (Passivhausstandard)

Ausführung: Baumeisterarbeiten: Dietmar Schuchter, Göfis; A. Gobber Bau, Bregenz; Zimmerer: Brugger, Bozen; Heizung/Lüftung/Sanitär: Markus Strolz, Lauterach; Elektro: Rist, Wolfurt; Spengler: Peter, Götzis; Garten: Landrise, Egg

Heizwärmebedarf: Neubau: 8,4 kWh/m²a
Bestand: 11,8 kWh/m²a
Baukosten: 5,8 Mill. Euro

Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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