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Regierungsprogramm gibt Grünen einiges zu kauen

Kurz und Kogler haben das neue Regierungsprogramm präsentiert.
Kurz und Kogler haben das neue Regierungsprogramm präsentiert. ©APA/AFP
Nach der Grundsatzeinigung auf Türkis-Grün vom Neujahrsabend haben die Chefs der potenziellen Koalitionspartner ÖVP und Grünen am Donnerstag auch ihr Regierungsprogramm sowie die Ministerliste präsentiert.
Kurz und Kogler präsentieren Regierungsprogramm

Vor allem für die Grünen gibt es im Papier einiges zu schlucken, von der Sicherungshaft bis zum Kopftuchverbot.

Bundessprecher Werner Kogler muss das Programm am Freitag noch durch den Erweiterten Bundesvorstand bringen, am Samstag entscheidet in Salzburg ein Bundeskongress dann endgültig. Schon am Donnerstag lobte er seine Partei für das "Wagnis" dieser Koalition, sah eine mögliche "Vorbildwirkung für Europa" und warnte bei der gemeinsamen Präsentation des Pakets vor einer "Denunziation des Kompromisses". Der designierte Kanzler Sebastian Kurz betonte, dass es beiden Parteien gelungen sei, ihre zentralen Wahlversprechen einzuhalten. Das stimmt Kogler durchaus zuversichtlich: "Wenn alles gut geht, hat Österreich gewonnen."

Koalitionsfreier Raum

Was den Integrations- und Migrationsbereich angeht, hat in den Verhandlungen die ÖVP offenkundig das Steuer in der Hand gehabt. Umgesetzt werden zahlreiche Vorhaben, die schon in der Koalition mit der FPÖ geplant waren, an vorderster Front ein Kopftuchverbot an Schulen bis 14 sowie eine Sicherungshaft für Gefährder, die Kogler als mit dem Europarecht vereinbar verteidigte. Interessant ist, dass im Asylbereich ein koalitionsfreier Raum eingezogen wurde, nämlich für den Fall einer neuen Flüchtlingswelle. Da könnte sich eine der beiden Parteien für Maßnahmen auch andere Partner suchen. Allzu viel Kulanz dürfte Kurz nicht zeigen: "Migration bleibt Herzstück meiner Politik", stellte er unmissverständlich klar.

Die Grünen feiern sich vor allem wegen des Klima- und des Transparenzkapitels. Freilich, bei ersterem muss die Ökologisierung des Steuersystems erst erarbeitet werden, während die von ÖVP und FPÖ erarbeitete Tarif-Entlastung bereits fix dargestellt ist. Im Verkehrsbereich soll ein Österreich-Ticket etabliert werden, zwei Milliarden sollen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs gesteckt werden, eine einheitliche Flugticketabgabe eingeführt werden. Abgeschafft, freilich mit Ausnahmen, wird das Amtsgeheimnis, Unternehmen sollen schon ab 25 Prozent Staatsanteil vom Rechnungshof geprüft werden dürfen, es sei denn, es handelt sich um börsenotierte Staatsfirmen.

Finanzierung des ORF

Auffällig ist, dass im Regierungsprogramm einiges fehlt, etwa wie es mit der Mindestsicherung nach Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof weitergeht. Ebenfalls keine klaren Worte finden sich in dem 326 Seiten starken "Aus Verantwortung für Österreich" genannten Papier zur Flieger-Nachbeschaffung. Nichts wird es wohl auch mit der unter Türkis-Blau geplanten Abschaffung der Notstandshilfe. Eine Steuerfinanzierung des ORF ist ebenfalls vom Tisch.

Informiert wurde mittlerweile auch der Bundespräsident. Alexander Van der Bellen widmete Kurz und Kogler heute Mittag jeweils eine Dreiviertelstunde, wobei man eine halbe davon zu dritt verbrachte. Auch mit den künftigen Ministern wird sich das Staatsoberhaupt unterhalten bzw. hat es schon getan.

Frauenagenden im Integrationsbereich

Hier wurden die letzten offenen Fragen am Donnerstag geklärt. Kogler holt sich Ulrike Lunacek als Staatssekretärin ins Vizekanzleramt, wo sie sich unter anderem um Kultur kümmern wird, während ihr Chef sich wie Vorvorgänger Heinz-Christian Strache (FPÖ) mit öffentlichem Dienst und Sport beschäftigt. Bei der ÖVP rückt Gernot Blümel ins Finanzressort auf, Elisabeth Köstinger wird ebenso wieder Landwirtschaftsministerin wie Margarete Schramböck Wirtschaftsministerin und Heinz Faßmann Bildungsminister. Die Frauenagenden nimmt Susanne Raab zum Integrationsbereich dazu.

Insgesamt steht fest, dass es noch nie so eine weibliche Regierung gab wie diese. Erstmals sind in einem Kabinett mehr Frauen als Männer, konkret lautet das Verhältnis acht Ministerinnen zu sieben Ministern.

"Ungewohnt und schmerzhaft"

Während die ÖVP morgen im Bundesvorstand Ministerliste und Programm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit sehr großer Mehrheit - wenn nicht einstimmig - abnicken wird, könnte es bei den Grünen schon spannender werden. "Es werden auch Punkte sein, die natürlich für die grüne Basis neu, ungewohnt und auch schmerzhaft sein werden. Es ist aber auch für die ÖVP sehr vieles schmerzhaft", argumentierte Klubvize Sigrid Maurer am Donnerstag. Auch einige Landesorganisationen stellten sich grundsätzlich hinter den Pakt. Kogler selbst erwartet zwar keine 95- bis 99-prozentige Mehrheit, "aber es sollte sich gut ausgehen".

Dann müssten die Delegierten des Bundeskongresses eine andere Einschätzung haben als SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. "Auf den ersten Blick scheint Österreich eine türkise Regierung zu bekommen, denn die grünen Ziele muss man im Regierungsprogramm lange suchen", meinte sie nach einer ersten Durchsicht. Schon jetzt sei erkennbar, dass die soziale Handschrift fehle. FPÖ-Obmann Norbert Hofer wandte sich bereits an den Bundespräsidenten, dass dieser eine Konzentration aller Nachrichtendienste in den ÖVP-Ministerien verhindern möge. NEOS-Vize Nikolaus Scherak zeigte sich mit Verweis auf die Präventivhaft über eine Fortsetzung eines rechtspopulistischen Kurses entsetzt.

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(APA)

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