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„Rassismus ist kein Tabu mehr“

©Sams
Das „Black Lives Matter Movement“ schwappte im vergangenen Jahr auch ins Ländle über. Doch was ist heute noch davon übrig? Und hat der Rassismus im Land dadurch abgenommen?

von Harald Küng/Wann & Wo

„Die traurige Wahrheit gleich zu Beginn: Die Anti-Rassismus-Bewegung, die wir im vergangenen Jahr erlebt haben, war leider nur eine Art ,Hype‘. Es lag im Trend, sich gegen Rassismus einzusetzen und stark zu machen. Aber wie es mit allen Trends und Hypes ist, flachen diese auch irgendwann wieder ab“, stellt Noreen Mughal, Maturantin an der HLW Rankweil und Organisatorin der „BLM“-Demo in Bregenz im Juni vergangenen Jahres im Gespräch mit WANN & WO klar. Doch gerade dieser Umstand treibt die junge Frau aus Schruns an, weiterhin aktiv zu sein und gegen Rassismus und Diskriminierung anzukämpfen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Und das bisherige Engagement scheint sich bereits auch ausgezeichnet zu haben: „Was sich beobachten lässt, ist, dass das Thema ,Rassismus‘ auch hier in Vorarlberg endlich angekommen und enttabuisiert worden ist.“

„Erlebe Rassismus immer noch täglich“

Was aber nicht heißen soll, dass Rassismus nicht auch weiterhin ein Alltagsproblem ist. „Ich erlebe Rassismus immer noch täglich“, betont Noreen, fügt aber sogleich hinzu: „Die Akzeptanz in der Gesellschaft zu der Thematik hat sich durchaus geändert. Rassistische Äußerungen oder Handlungen werden nicht mehr so einfach hingenommen. Diesen Umschwung erlebe ich tatsächlich. Die Menschen sind empört und äußern sich auch dementsprechend. Und gerade Personen, die nicht selbst mit dem Thema konfrontiert sind, verwenden ihre Stimme im Kampf gegen Rassismus.“

„Rechte bei Coronademos bereiten mir Sorge“

Während „Black Lives Matter“ von den Straßen verschwand, bekamen Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen und die Bundesregierung Zulauf – zusehends auch von rechtsextremer Seite, die sich die Coronademos für ihre Zwecke zu nutze macht. Eine Entwicklung, die Noreen Kopfzerbrechen bereitet: „Ich verstehe absolut, dass sich die Menschen durch die Coronamaßnahmen im Leben eingeschränkt fühlen. Auch der wirtschaftliche Aspekt ist mir vollkommen klar. Aber nicht zuletzt geht es dabei auch darum, jene Menschen zu schützen, die sich selbst nicht schützen können. Solidarität eben. Dass Rechtsextreme das Wort Solidarität nicht kennen, ist nichts Neues.  Die aktuelle öffentliche Kundgebung dieser extremen und radikalen politischen Ideologie bereitet mir persönlich jedenfalls Sorge.“

Stimmen

People of Color über Black Lives Matter und persönliche Erfahrungen mit Rassismus

„Abwertende Blicke, gehässige Sager“

Nora Helen, 17 Jahre, Dornbirn, Schülerin: „Akzeptanz anderen gegenüber sollte selbstverständlich sein. Doch leider muss ich an dem Ort, den ich mein Zuhause nenne, andere Erfahrungen machen: Abwertende Blicke, gehässige Kommentare – basierend auf alten Werten ohne Blick auf die Persönlichkeit, die hinter der Hautfarbe steckt. Die Gesellschaft sollte verstehen, dass weder Geschlecht noch Ethnie, Sexualität oder Aussehen entscheidend sind über die Rechte eines Menschen.

„Alltagsrassismus ist leider noch immer gang und gäbe“

Samira, 21 Jahre, WU Wien, Feldkirch: „Unbewusster Alltagsrassismus ist heute leider noch immer gang und gäbe. Daher wünsche ich mir, dass man „BIPOCs“ („Black, Indigenous and People of Color“) mehr zuhört und sensibler mit dieser Thematik umgeht. Nur so ­können wir gesamtgesellschaftlich einen Schritt vorwärts machen und eine entsprechende  Bewusstseinsveränderung ­herbeiführen.“

„Vorarlberg wird multikultureller“

Benjamin, 18 Jahre, Dornbirn, Schüler an der HTL-Rankweil: „In den vergangenen Monaten ist Rassismus sehr stark thematisiert worden. Doch wie jede ,Bewegung‘ bleibt auch diese langsam stehen. Wir müssen uns weiter dafür einsetzen, dass von der medialen Berichterstattung mehr übrig bleibt, als ein paar Hashtags und Bilder. Die Vorarlberger Bevölkerung wird multikultureller. Es ist wichtig, dass für Chancengleichheit gesorgt wird, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich jeder wohl fühlt.“

„Wir müssen über Rassismus sprechen“

Vanessa, 20 Jahre, Uni Wien, Dornbirn: „Rassismus ist ein schwieriges Thema, doch genau deshalb muss darüber gesprochen werden. Das ,BLM-Movement‘ möchte den Nährboden für respektvolle Diskurse schaffen. Auch im Ländle ist struktureller Rassismus ein Thema. Da müssen wird nicht in die USA schauen – ein Blick vor die eigene Haustür reicht. Ich wünsche mir, dass diese Themen mehr beleuchtet werden und Verbesserungsvorschläge annehmen, anstatt Verantwortung von uns wegzuweisen.

Drei Fragen an Dr. Mike Chukwuma

Herr Chukwuma, Sie sind vor rund 40 Jahren von Nigeria nach Österreich gezogen, haben hier studiert und leben seit Jahrzehnten  in Gaißau. Ist Vorarlberg ein rassistisches Land?

Ja und nein zugleich. Oftmals ist es ein niederschwelliger Rassismus, das erlebe ich selbst täglich. Ich kann noch so gut Deutsch sprechen, einen gewissen Akzent behalte ich  trotzdem. Auch mein Nachname ist nicht typisch Vorarlbergerisch, das hat man mich schon auch immer wieder spüren lassen. Ich musste leider auch erleben, wie meine Töchter, heute 28 und 31, in der Schule angepöbelt oder sogar geschlagen wurden. Aber gleichzeitig muss ich auch klar betonen, dass es hier sehr, sehr viele gute Menschen gibt und wir über all die Jahre auch viele Freunde gefunden haben. Und mit unserem Freundeskreis zur Förderung von Entwicklungsprojekten in Nigeria arbeiten wir stetig an einem freundschaftlichen Miteinander.

Wie nehmen Sie die gesellschaftliche ­Debatte zum Thema Rassismus wahr?

Ich finde es gut, dass vermehrt öffentlich darüber gesprochen wird, denn nur dadurch können sich die Dinge verbessern. Initiativen wie das aktuelle „Black Voices Volksbegehren“ tragen zu einer weiteren Bewusstseinsbildung bei.

Wie nehmen Sie die gesellschaftliche ­Debatte zum Thema Rassismus wahr?

Wichtig wäre es, wenn die Menschen in ihren Statements und Vorurteilen reflektierter wären, gerade auch zuhause, wenn Kinder anwesend sind. Egal ob schwarz, weiß, asiatisch, Muslime, Juden oder Christen – wir sind alle nur Menschen.

„Black Voices“-Volksbegehren – noch bis Ende 2021 unterschreiben

Die Initiative „Black Voices“ hat im vergangenen Sommer ein Volksbegehren ins Leben gerufen, das noch bis Ende 2021 in jedem Bezirks- bzw. Gemeindeamt oder per Handy-Signatur unterzeichnet werden kann. Die Forderungen der Initiative umfassen Anti-Rassismus-Programme am Arbeitsmarkt, Bildungsarbeit, Gesundheitsthemen, Wahlrecht, die Errichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle bei Fehlverhalten durch die Polizei sowie Anpassungen des Asylsytems in Europa. Mehr Infos unter blackvoices.at und www.bmi.gv.at/411/.

Die gesamte Ausgabe der Wann & Wo lesen Sie hier.

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