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Raqqa-Blog-Gründer Eesa kritisiert Festhalten an Assad

Informationen aus dem Kriegsgebiet sind schwer zu hinterfragen
Informationen aus dem Kriegsgebiet sind schwer zu hinterfragen
Hussam Eesa ist Gründungsmitglied der syrischen Bürgerjournalistengruppe "Raqqa is Being Slaughtered Silently". Sie ist eine der wenigen Quellen für Infos aus der IS-Hochburg Raqqa. Vor Flüchtlingshelfern in Linz und mit der APA sprach er über die Situation in Raqqa und darüber, wie es mit Syrien weitergehen könnte. Er kritisiert, dass viele Länder immer noch Assad als legitimen Präsidenten sehen.


Eesa (28) stammt aus Raqqa. Er hat die Gruppe im April 2014 gegründet. “In Raqqa wurde still getötet und gestorben. Aber es gab keine Bilder. Jeder, der Fotos oder Videos gemacht hat, wurde exekutiert.” Es habe den Anschein gehabt, als würde sich die Welt deshalb gar nicht um dieses Leid kümmern. “Raqqa is Being Slaughtered Silently” richtet sich sowohl gegen den IS als auch gegen das Regime von Bashar al-Assad. In Linz sprach Eesa am Samstag vor 500 freiwilligen Flüchtlingshelfern im Rahmen der “HelferInnenkonferenz” im ehemaligen Postverteilzentrum. Ein denkwürdiger Ort – dort haben im vergangenen Jahr 50.000 bis 60.000 Transitflüchtlinge Obdach gefunden.

“Wir arbeiten im Geheimen”, schilderte er, und “wir haben schon viele Wege gefunden, im Geheimen zu bleiben und uns vor IS und dem syrischen Regime zu verstecken”. Laut Eesa umfasst die Bürgerjournalistengruppe 27 Mitglieder, von denen zehn außerhalb Syriens arbeiten. Jene, die im Land sind, liefern auch Bilder und Videos. Er selbst ist im Exil. “Ich bin jetzt ein Flüchtling in Deutschland.” Mehrere Weggefährten hatten weniger Glück: Ein Kollege etwa sei in Raqqa exekutiert, drei weitere in der Türkei vom IS ermordet worden, schilderte er. Er fürchtet auch um seine Familie, die noch in Raqqa lebt.

“In Raqqa hat die brutalste Terroristengruppen aller Zeiten am meisten gewütet. Der IS hat Raqqa in eine Hölle verwandelt.” In den Straßen würden oft Leichen von Menschen liegen, die vom IS exekutiert wurden, entsprechender Geruch hänge in der Luft. “Wenn ich auf der Straße irgendetwas sage, werde ich gleich festgenommen.” Es gebe keine Elektrizität, kein Wasser, schon gar keine Schulen und Universitäten, beschreibt er die Lebensumstände. Frauen müssten sich schwarz kleiden und verhüllen, dürften nicht alleine auf die Straße gehen, Männer müssten sich Bärte wachsen lassen, es sei nicht möglich Jeans zu tragen.

Wer Christ ist, könne in Raqqa teilweise leichter überleben, als ein Moslem “falscher” Prägung. Christen können die Dschizya (eine Art Kopfsteuer, Anm.) zahlen. Moslems müssen sich komplett dem Islamverständnis des IS anpassen, erzählt er. “Ich bin zwar Sunnit, aber ich bete nicht. Also würden sie mich töten.”

Einen der schlimmsten Eindrücke, den er schildert, betrifft die Jugend: “Viele Kinder wurden einer Gehirnwäsche unterzogen und sind Kämpfer geworden.” Viele hätten mit ansehen müssen, wie ihre Eltern umgebracht wurden. Man sehe nur Kinder, die in die Camps und Moscheen gehen würden, wo sie vom IS ausgebildet werden. Viele würden sich dem IS dann auch anschließen. “Die Kinder sind die Garantie für eine reiche Zukunft in Syrien. Aber ohne Ausbildung ist das nicht möglich.”

Den Kampf gegen den IS hält er für komplex: “IS ist keine Gruppe, IS ist eine Idee und man kann eine Idee nicht mit einer Waffe töten.” Sein Rezept lautet eher: Man muss eine Idee dagegen schaffen. “Wir müssen sichergehen, dass der IS sich nicht nach zwei oder drei Jahren erneuert und unter einem anderen Namen mit der selben Ideologie wieder auftaucht.”

Ein Vergleich zwischen Assad und dem IS kann man seiner Ansicht nach kaum anstellen: Das Problem sei, dass viele Länder zwar den IS im Visier hätten, “aber niemand kümmert sich um Assad. Jetzt hat Russland Assad sogar geholfen zu bleiben.” Assad werde von vielen Ländern immer noch als legitimer Präsident Syriens angesehen, kritisierte er. “Er hat mehr als 300.000 Menschen umgebracht, 2011 hat er in der Region Damaskus chemische Waffen eingesetzt.” Eesa: “Wenn die Welt entschieden hätte, das Assad-System vorher zu beenden, würde es IS heute nicht geben.”

Die Frage, wer denn Raqqa befreien könne, sei eine schwierige, wie er meint. Seine Hoffnungen ruhen auf der Freien Syrischen Armee (FSA). “Aber niemand hilft der FSA.” Mit den kurdischen Kämpfern habe die arabische Bevölkerung durchaus Probleme: “Wenn ein Gebiet von ihnen vom IS befreit worden ist, freuen sich zuerst alle, aber kurdische Milizen haben auch Häuser angezündet und 50.000 Menschen vertrieben”. Er habe selbst kurdische Freunde, betonte er, aber den Kämpfern stehen die Leute mit Ängsten gegenüber. Auch den Russen bringt er Misstrauen entgegen, weil sie Assad unterstützen würden.

Journalisten, die sich ein Bild aus Syrien machen wollen, rät Eesa, immer mehrere Quellen zurate zu ziehen, am besten solche mit Videos. Es gebe viele kleine Gruppen wie seine, aber man dürfe sich nie auf eine alleine verlassen, auch nicht auf die “Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte” in London, die viele westliche Medien verwenden, deren Inhalte sich aber nicht objektiv überprüfen lassen.

Eesa, der per Schiff und weiter mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen ist, hat mittlerweile dort Asyl und lernt Deutsch. Er hofft dennoch, eines Tages wieder nach Syrien zurückkehren zu können. “Ich möchte meine Familie sehen.” Sein größter Wunsch: dass der IS ebenso vertrieben wird wie Assad oder Al Kaida. “Ich wünsche mir Freiheit und Demokratie in Syrien.”

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