Putschversuch in der Türkei: EU-Kommission hält an Flüchtlingsabkommen fest, Richter verzweifelt

Auch die deutsche Regierung sah zunächst keine Auswirkungen des gescheiterten Putsches in der Türkei auf das Flüchtlingsabkommen. “Wir sind der Überzeugung, dass das getrennt zu sehen ist”, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die EU werde ihre Zusagen aus dem Abkommen erfüllen. “Wir erwarten das auch von der Türkei.”
Tauschandel mit der Türkei
Die EU hat mit dem sogenannten Flüchtlingspakt einen komplizierten Tauschhandel mit der Türkei vereinbart. Die EU darf demnach alle Schutzsuchenden, die seit dem 20. März auf die griechischen Inseln übergesetzt sind, in die Türkei zurückschicken. Ausgenommen sind Asylbewerber, die nachweisen können, dass sie in der Türkei verfolgt werden. Für jeden zurückgeschickten Syrer darf seit dem 4. April ein anderer Syrer aus der Türkei legal und direkt in die EU einreisen.
Im Gegenzug sollte die Visumpflicht für türkische Staatsbürger bei der Einreise in die Türkei ursprünglich ab Juli aufgehoben werden. Dieser Termin hat sich aber verschoben, weil die Türkei noch nicht alle 72 Bedingungen erfüllt hat, darunter die Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze.
Türkische Richter sind verzweifelt
Indes bekommen österreichische Richter verzweifelte Mails von ihren Kollegen aus der Türkei. Die Richter bitten ihre europäischen Kollegen um Hilfe. Man bekomme derzeit “verzweifelte Mails” von türkischen Richtern, die bereits suspendiert worden seien, sagte der Vizepräsident der Österreichischen Richtervereinigung, Gerhard Reissner, im Ö1-Mittagsjournal.
Die Kollegen hätten nämlich Angst vor einer Verhaftung. “Ich sitze noch in meiner Wohnung und warte darauf, dass die Polizei kommt, und mich und meine Frau abholt”, gab Reissner die Darstellungen eines türkischen Richters wider. Ihnen werde vorgeworfen, “dass sie Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sind”.
3.000 Richter suspendiert
Medienberichten zufolge sind in den Stunden nach dem Putsch fast 3.000 Richter und Staatsanwälte suspendiert worden. Laut Reissner legt die Vorgangsweise “den Verdacht nahe, dass man hier eine Gelegenheit nutzt, um wieder einige Richterinnen und Richter loszuwerden, mit denen man nicht ganz einverstanden ist, was ihre Rechtsprechung betrifft”.
Schon in der Vergangenheit seien Hunderte Richter “einfach so versetzt worden”, ohne Gründe dafür anzugeben. Dies entspreche nicht internationalen Standards, weil diese “fordern, dass man immer ganz genaue Begründungen für derartige Entscheidungen liefert”, betonte der Vizepräsident der österreichischen Richtervereinigung.
“So, wie das in anderen Diktaturen der Fall ist”
Zuvor hatte bereits der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, Michael Enzinger, die jüngsten Entwicklungen scharf kritisiert. Präsident Recep Tayyip Erdogan säubere die Justiz derzeit “so, wie das in anderen Diktaturen der Fall ist”, sagte Enzinger im APA-Gespräch. Er kritisierte, dass es schon in der Vergangenheit “Schauprozesse” und auch Verhaftungen von Anwälten als “Abschreckungsmaßnahme” gegeben habe. Nun sei aber eine “rote Linie überschritten”. “Wenn zahllose Mitarbeiter der Justiz, Richter und Höchstrichter inhaftiert sind, dann hat sich das sicher nichts mit einem Militärputsch zu tun”, betonte Enzinger.
(APA)
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