Prozess um umstrittenem Polizeieinsatz in Wien-Floridsdorf vertagt

Dem 28-Jährigen und dessen 57-jähriger Mutter wurden versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt und Tierquälerei vorgeworfen, dem Sohn zudem schwere Körperverletzung. Die Angeklagten waren nicht geständig.
28-Jähriger blieb im Aufzug stecken und erlitt Panikattacke
Die beiden hatten an einer Geburtstagsfeier teilgenommen, nach deren Abschluss der 28-Jährige mit seiner damaligen Freundin und seiner Mutter im Aufzug stecken blieb. Der Mann erleidet seit seiner Kindheit Panikattacken, wenn er sich in beengten räumlichen Verhältnissen oder Menschenansammlungen wiederfindet. Als plötzlich der Lift zwischen dem ersten und zweiten Stock stehen blieb, sich 15 bis 20 Minuten nicht mehr bewegte und über den Notruf keine Reaktion kam, "hab' ich Todesangst gekriegt. Ich hatte Angst, dass wir abstürzen", schilderte der 28-Jährige nun Richterin Bianca Schäffert. In seiner Verzweiflung habe er mit der Hand die Glasscheibe eingeschlagen, um sich zu befreien, und geschrien: "Ich wollt' raus in meiner Panik."
Ein Nachbar hörte den Lärm und alarmierte die Polizei, weil er befürchtete, es werde im Stiegenhaus tätliche Gewalt gegen Frauen ausgeübt. Die Besetzung einer Funkstreife traf erst ein, nachdem ein Hausbewohner - Absolvent einer HTL für Maschinenbau - den Aufzug geöffnet und die drei Personen bereits befreit hatte. Der 28-Jährige lief im Stiegenhaus an den Beamten vorbei ins Freie, um frische Luft zu bekommen. Die Polizei, die von einem Fall von häuslicher Gewalt ausging, dürfte fälschlicherweise einen Fluchtversuch des Tatverdächtigen angenommen haben. Der Mann habe auch "aggressiv" gewirkt, meinte ein als Zeuge vernommener Polizist.
Polizist wirft 28-Jährigem Angriff auf Geschwister vor
Was weiter geschah, bezeichnete die mitangeklagte Mutter als "eine Eskalation, die ich mein ganzes Leben bisher nur im Fernsehen gesehen habe". Ihr Sohn habe "nur seine Ruhe" und "nach draußen gehen" wollen. Obwohl sie den Polizeibeamten mitgeteilt habe, dass ihr Sohn gerade unter der Einwirkung einer Panikattacke stünde und ihre in der Zwischenzeit dazu gekommene Tochter zusätzlich beruhigend auf ihn einwirkte, schritten die Beamten zur Tat und hatten dafür auch Verstärkung in Form von sechs weiteren Funkwagen-Besatzungen, Beamten der Bereitschaftseinheit (BE) und eines Diensthundes samt Hundeführer erhalten.
"Ich bin seit vier Jahren im Außendienst. So einen aufgebrachten Zustand habe ich noch nie gesehen. Ich habe eher auf Drogenkonsum und Alkohol getippt", gab ein Polizist als Zeuge zu Protokoll. Er behauptete, der Angeklagte habe dessen Schwester gewürgt und "zugedrückt", was die Geschwister bestreiten. "Für mich war klar, ich werde versuchen, den gefährlichen Angriff zu verhindern." Er selber sei von dem Mann wüst beschimpft und bedroht worden: "Er hat die Fäuste zusammengeballt. Für mich waren das Drohgebärden."
Mutter kam Sohn zur Hilfe
Der 28-Jährige wurde von mehreren Polizisten zu Boden gebracht und fixiert. Der Angeklagte habe sich gewehrt und mehrmals vergeblich versucht, ihm ins Gesicht zu schlagen, behauptete der Polizist: "Getroffen hat er nicht, muss ich ehrlich sagen." Am Boden habe der Mann "aktiv versucht, mich nach unten zu ziehen", und "gezielt um sich getreten". Da sei dem Diensthund nach entsprechender Ankündigung und somit unter Einhaltung der Vorschriften befohlen worden, nach dem Mann zu fassen. Der 28-Jährige wurde vom Schäfer "Riki" drei Mal gebissen - er trug noch Monate später sichtbare, tiefe Bisswunden davon. Außerdem erlitt er eine Platzwunde am Kopf und Abschürfungen.
Die Mutter hatte ihrem Sohn zu Hilfe kommen wollen. Sie soll dabei laut Anklage ebenfalls aggressiv gegen die Beamten vorgegangen sein und sich der Staatsgewalt widersetzt haben. Die 57-Jährige wurde ebenfalls zu Boden gebracht, sie verlor dabei sogar das Bewusstsein und musste von der Berufsrettung Wien versorgt werden.
Prozess für Einvernahme weiterer Zeugen geplant
Sie habe sich der Polizei nicht widersetzt, betonte die 57-Jährige: "Dazu habe ich bzw. hatte ich zu viel Respekt vor der Polizei. Ich komme aus einer Polizei-Familie. Ich hatte einen Polizisten als Vater und meine Onkeln waren Polizisten." Sie "vertrage" es allerdings nicht, wenn man sie von hinten packe. Daher habe sie womöglich den Beamten abschütteln wollen, der sie erfasst hatte, um sie von ihrem Sohn wegzubringen: "Ich wollte mich losreißen. Ich bin mit zwölf vergewaltigt worden." Beiden Angeklagten wurde auch das Vergehen der Tierquälerei angelastet, weil der Sohn "Riki" einen Schlag versetzt und die Mutter nach dem Hund getreten hatte. "Er hat mich gebissen an Hüfte und Hand. Ich wollt' ihn aufgrund der Schmerzen weghaben", erläuterte der 28-Jährige.
Für die Rechtsvertreter der Angeklagten, Bernd Moravetz und Mathias Burger, entbehren die Vorwürfe gegen Sohn und Mutter jeder Grundlage. Auf der anderen Seite gebe es kein Ermittlungsverfahren zu möglicher Polizeigewalt. Das Verteidiger-Team erhob auch schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Eine unbeteiligte Zeugin habe nämlich die Szenen mit ihrem Handy gefilmt. Das Video existierte allerdings nicht mehr. Die Frau sei wenig später von der Polizei aufgesucht und aufgefordert worden, das Video zu löschen. Angebliche Begründung: Es widerspreche "dem Datenschutz", Polizisten bei einer Amtshandlung zu filmen. Die Frau - es handelt sich um keine österreichische Staatsbürgerin - sei dadurch eingeschüchtert worden und hätte das Video tatsächlich gelöscht, behaupteten Moravetz und Burger. Diese Frau soll beim nächsten Termin neben zahlreichen weiteren Polizisten und einigen anderen Zeugen angehört werden. Die Verhandlung wurde auf den 2. Dezember vertagt.
(APA/Red)
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