„Die USA werden die Meinungsführerschaft im UN-Sicherheitsrat kaum mehr erringen können. Ihre Deutungshoheit über das Weltgeschehen aber scheinen sie behaupten zu wollen. In den vergangenen Monaten hat die Bush- Regierung penetrant versucht, der Völkergemeinschaft zwei Thesen aufzudrücken: 1. Es gibt kein größeres Problem als Saddam. 2. Die Vereinten Nationen werden bedeutungslos, wenn sie sich dem Feldzug gegen Bagdad verweigern. Beide Thesen beherrschen die Debatte – und beide sind falsch. Bei Saddam lässt sich das leicht begründen. Sein Reich liegt ökonomisch wie militärisch am Boden. (…) George W. Bush aber pumpt den Bösewicht in Bagdad zum Vater aller Probleme auf. Und die Welt spielt notgedrungen mit. (…) Offiziell heißt es, der Sicherheitsrat müsse seine Resolutionen durchsetzen, um glaubwürdig zu bleiben – ein Argument, das im Palästina-Konflikt übrigens nicht gelten soll. (…) Tritt nun ein, was viele befürchten: das Ende der UN samt aller multilateralen Weltordnungsambitionen? So hätten es manche in Washington gerne. Allein: Es wird nicht so kommen.“
„Frankfurter Rundschau“:
„Im Begründungsdilemma steckt der US-Präsident selbst. Die Weise, in der Bush Rechtfertigungen für den längst beschlossenen Krieg zu finden sucht, ähnelt eher dem Vorgehen windiger Hütchenspieler als der Methodik seriöser Juristen oder Politiker. Argumentativ muss etwa immer wieder das Giftgas-Verbrechen von Halabja herhalten. Dieser Massenmord an Kurden ist 1988 geschehen; es gab keinen US-Protest. Im Gegenteil. Der Ende 1988 zum Präsidenten gewählte George Bush (Vater) setzte ab Januar 1989 in den ersten 18 Monaten seiner Amtszeit alles daran, Saddam Husseins Irak zum allerengsten Nahost-Verbündeten Washingtons zu machen. Das Verbrechen von Halabja zu einer kriegsbegründenden Kernaussage zu machen ist angesichts dieser Vorgeschichte reine Heuchelei, Ausdruck argumentativen Notstands. Bushs Paladine Blair und Aznar steckten freilich schon vor dem Azoren-Kriegsrat in einer ärgeren Klemme: Sie sind von der Mehrheit ihrer Völker weiter entfernt als die Inselgruppe vom Festland. Sie haben sich mit Bush jr. zum Krieg verschworen, ohne ihn formell zu erklären, weil sich alle drei ein Einlenken nur mehr um den Preis der persönlichen Bankrotterklärung leisten könnten.“
„Berliner Zeitung“:
„Was können die Vereinten Nationen tun, wenn die USA ein Mitgliedsland unter Bruch des Völkerrechts angreifen? Laut Charta ist die UNO zum Handeln verpflichtet, wenn ein Staat das Gewaltverbot ignoriert. Ausnahmen beschränken sich auf die Abwehr einer eindeutigen Aggression. Eine Aggressionshandlung seitens Bagdads liegt jedoch nicht vor. (…) Nach einem US-Angriff ist zu erwarten, dass der amerikanische Vertreter im Sicherheitsrat jeden kritischen Beschluss mit einem Veto verhindert. Für den Fall einer Blockade in akuter Krisenlage gibt es jedoch einen Behelfsmechanismus, der bisher schon mehrfach Anwendung fand. Architekt dieses Ersatzmechanismus sind die USA selbst. Sein ursprüngliches Ziel war es, das wiederholte Veto der UdSSR zu amerikanischen Beschlussvorlagen nach Beginn des Koreakrieges 1950/53 auszuhebeln. (…) Die Vorlage, am 3. November 1950 von 52 Staaten als Resolution 377 (der Generalversammlung) verabschiedet, legt fest, dass ’in allen Fällen, in denen ein Friedensbruch oder eine Angriffshandlung vorzuliegen scheint und in denen der Sicherheitsrat seine Hauptverantwortung … nicht wahrnimmt, die Frage unverzüglich von der Generalversammlung behandelt wird, mit dem Ziel, … den Mitgliedstaaten geeignete Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen zu geben.’ (…) Ein Veto kann nicht eingelegt werden. (…) Im Fall eines US-Angriffs auf den Irak könnten diese Empfehlungen immerhin lauten: die USA verstoßen massiv gegen Völkerrecht, auch die Resolution 1441 gibt keine Erlaubnis für diesen Krieg. Zweitens: die Entsendung von Blauhelmen ist dringend erforderlich.“
„Politiken“ (Kopenhagen):
„Die USA, Großbritannien und Spanien stellten nicht nur dem Irak, sondern dem gesamten UN-System ein Ultimatum (…) Während sie sich einerseits bereit erklärten, sich über die Vereinten Nationen hinwegzusetzen, wenn diese nicht binnen eines Tages eine Irak-Resolution mit klarer Kriegsdrohung verabschieden, unterstrichen sie, dass die UNO beim Wiederaufbau nach einem Irak-Krieg eine Rolle spielen solle. Die UNO ist mit anderen Worten herzlich willkommen beim Begleichen der Rechnung für einen Krieg, für den die drei andererseits kein Mandat bekommen können. Diese Haltung ist nicht nur arrogant, sondern auch blind gegenüber den Schäden, den die drei Länder gegenüber einem internationalen System anzurichten sich anschicken, das trotz aller Mängel eine gewisse Weltordnung über viele Jahre garantiert hat.“
„Tageszeitung“ (taz) (Berlin):
„Nichts ist mächtiger als Ideen – auch kein Öl und keine Religion:
Die schneidigen Neokonservativen, die heute die US-Politik dominieren und in den Irak einmarschieren wollen, sind glühende Anhänger des deutsch-jüdischen Philosophen Leo Strauss. Eine pazifizierte Welt halten sie für unrealistisch. Dass George W. Bushs Irak-Kurs vom nackten ökonomischen Interesse bestimmt ist (’Blut für Öl’), gehört ebenso zum Bestand schlichter Weltdeutung wie die Überzeugung, dass der Texaner von allem Möglichen geleitet wird, aber sicher nicht von ’Ideen’ oder ’Visionen’. Dabei haben nicht die Vertreter des Big Business oder des militärisch-industriellen Komplexes den Präsidenten auf Kriegskurs gebracht, und auch die religiösen Rechten sind im Augenblick nicht tonangebend. Vielmehr war es ein Zirkel rechter Intellektueller, der sich durchsetzte (…) Was hierzulande kaum bekannt ist: Diese intellektuelle Rechte bildet eine regelrechte philosophische Schule. Sie beruft sich auf Leo Strauss, der 1938 in die USA einwanderte (…) Pentagon-Vize (Paul) Wolfowitz gilt als das Mastermind der Straussianer (…) Die Vorstellung, dass es irgendwann einmal eine auf internationalem Recht beruhende Weltordnung geben könnte, wird von den Neokonservativen verlacht. Staaten haben Feinde. Sie müssen diese als solche behandeln und dürfen sich dabei nicht von Institutionen wie der UNO fesseln lassen. Amerika solle auf seine imperiale Macht bauen…“
„Der Tagesspiegel“ (Berlin):
„Internationale Institutionen, die 50 Jahre Frieden sicherten, haben Ansehen und Einfluss verloren: Die UNO, die NATO, und die EU, deren visionäres Projekt einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sich in Luft auflöste. Der Historiker Gwyn Prins von der London School of Economics rief das ’Ende der alten Weltordnung’ aus. ’Der Irak ist die Nebenhandlung in einem Drama, dessen eigentliches Thema das definitive Ende des Nachkriegs-Interregnum ist. Der Augenblick des amerikanischen Imperiums ist gekommen.’ Genau das wollte Tony Blair verhindern, als er mit George W. Bush einen Deal machte: Die Briten boten militärische Bündnisgenossenschaft, Bush versprach, den multilateralen Kurs zu nehmen. Blair würde die Europäer an die Seite der USA bringen. (…) Nie hätte er (Blair) sich träumen lassen, dass nun in den Augen vieler nicht Saddam (Hussein), sondern Bush als Bösewicht dasteht. (…) Vermutlich war die Halbherzigkeit der Amerikaner der Grund für die diplomatischen Fehler, mit der sie Blairs Versuche, Europa und die USA einander näher zu bringen, durchkreuzt haben, wo sie nur konnten.“
„Liberation“ (Paris):
„Eine große Koalition gegen den Irak wollte er aufbauen, doch am Ende steht Bush allein mit den beiden Regierungschefs da, die sich schon in der ersten Stunde freiwillig gemeldet hatten. Das Treffen von Bush, Blair und Aznar auf einer abgelegenen amerikanischen Basis in der Weite des Atlantik versinnbildlicht ganz gut die Isolierung eines US-Präsidenten, der dabei im übrigen das Opfer seiner eigenen Mittelmäßigkeit ist. Auch wenn sie schnell siegen, werden die USA die Schlacht doch nicht so leicht vergessen können, die sie mit einer Niederlage auf dem Feld der internationalen Meinung begonnen haben.“
„La Repubblica“ (Rom):
„Er hat seinen Fuß nur auf einen Vorposten Europas gesetzt, auf die Azoren, die 1.500 Kilometer von unserem Kontinent entfernt sind, und er hat es mit der Eile und dem Widerwillen desjenigen getan, der Angst hat, sich zu beschmutzen. (…) (US-Präsident George W.) Bush war gekommen, um ein Ultimatum zu bringen, nicht ein Zeichen der Bereitschaft. Er hatte dafür das Gesicht aufgesetzt, das bisher nur wenige Freunde und die Anwälte der Todeskandidaten in Texas kannten, die ihm die Gnadenbesuche überbrachten, die immer zurückgewiesen wurden. Es ist die harte Maske des Weltgouverneurs, der die Hinrichtung Saddam Husseins beschlossen hat.“
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