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ÖVP nimmt FPÖ-Einladung zu Koalitionsverhandlungen an

ÖVP-Chef Stocker will mit Kickl verhandeln.
ÖVP-Chef Stocker will mit Kickl verhandeln. ©APA/HELMUT FOHRINGER
Die ÖVP nimmt die Einladung von FPÖ-Chef Herbert Kickl zu Koalitionsverhandlungen an, so der geschäftsführende Obmann der Volkspartei, Christian Stocker, bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
Schallenberg führt ab Freitag Regierung
FPÖ-Präsidium für Verhandlungen mit ÖVP

Noch am Mittwoch kamen FPÖ-Chef Herbert Kickl und der geschäftsführende ÖVP-Obmann Christian Stocker zu einem ersten Gespräch zusammen.

Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ: Erstes Treffen zwischen Stocker und Kickl

Über den Inhalt der Aussprache zwischen den Parteispitzen wollten sich im Anschluss weder FPÖ noch ÖVP äußern. Es sei Vertraulichkeit vereinbart worden, hieß es aus der FPÖ gegenüber der APA. Zuvor hatte Stocker am Mittwoch die FPÖ-Einladung zu Gesprächen angenommen.

Auch die ÖVP hielt sich nach dem Treffen am Mittwoch bedeckt. Auch über den Fahrplan für weitere Termine gab es zunächst keine Informationen. Dem Vernehmen nach sind erste inhaltliche Verhandlungen für Freitag anvisiert, wenn sich die Steuerungsgruppen beider Parteien treffen könnten. Mit welchem Team die ÖVP in die Verhandlungen geht, wollte sie am Mittwoch anders als die Freiheitlichen noch nicht bekannt geben. "Ein Verhandlungsteam gibt es dann, wenn es Koalitionsverhandlungen gibt", hieß es aus der Partei.

Zu erwarten ist, dass vom bisherigen Verhandlungsteam der scheidende Bundeskanzler Karl Nehammer und Karoline Edtstadler, die ihren Rückzug aus der Politik angekündigt hat, nicht mehr angehören werden. Bleiben dürften dagegen Stocker, Klubobmann August Wöginger, Claudia Plakolm und Wirtschaftskammerpräsident und Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer.

ÖVP nahm Einladung zu Koalitionsverhandlungen an

Die Volkspartei hatte zuvor am Mittwochnachmittag die Einladung der FPÖ zu Koalitionsverhandlungen angenommen. "Ich werde das Gespräch führen. Es braucht aber ehrliche Antworten", schlug Stocker bei einer Pressekonferenz gleichzeitig Pflöcke wie etwa Medienfreiheit, Unabhängigkeit von Russland und die Zusammenarbeit in Europa ein. Bereits unmittelbar nach seiner Designierung hatte Stocker erklärt, ein allfälliges Gesprächsangebot der Freiheitlichen annehmen zu wollen. Der ÖVP-Vorstand hatte sich einstimmig dafür ausgesprochen. Stocker betonte, dass der Ausgang der Gespräche offen sei. Eine Regierungszusammenarbeit mit dem FPÖ-Chef hatten der zurückgetretene ÖVP-Spitzenkandidat Karl Nehammer, aber auch Stocker und zahlreiche weitere ÖVP-Funktionäre vor der Nationalratswahl ausgeschlossen.

Mit dem Vorgehen der ÖVP Unzufriedene drückten ihren Missmut indes mit Vandalismus aus, während des Pressestatements wurde die ÖVP-Bundesparteizentrale beschmiert: "ÖVP stinkt nach brauner Scheisse" (sic!), schrieb jemand auf das ÖVP-Gebäude neben dem Wiener Rathaus. Wie "profil" berichtete, soll die deutsche Klimaaktivistin Anja Windl (zusammen mit anderen) die angeblich mit Hundekot ausgeführte Aktion verübt haben. Sie selbst bekannte sich auf Instagram dazu. Die Stellen wurden prompt überklebt. Ehrlich beantworten müsse die FPÖ, ob Österreich ein konstruktiver und verlässlicher Teil der EU sein, sich an der freien Welt oder der Diktatur orientieren und das Staatsganze über Parteiinteressen stellen solle. Aus den Antworten werde erkennbar sein, ob die FPÖ dazu bereit sei, Verantwortung für alle Menschen zu übernehmen. Das werde er in den kommenden Gesprächen ausloten, so Stocker.

ÖVP-Gespräche mit Kickl wegen veränderter politischer Lage

Für die ÖVP sei klar, dass es eine Demokratie brauche, die Bedrohungen wie Einflussnahme aus dem Ausland, Terrorismus und Krieg standhalte. Er sprach sich zudem für Souveränität, Partnerschaft in Europa, eine "starke wenn auch bessere EU", die Wahrung des Rechtsstaates und den Kampf gegen Antisemitismus aus. Auf eine Journalistenfrage danach, ob Österreich - wie von der FPÖ gefordert - aus dem Verteidigungsprojekt "Sky Shield" austreten könnte, meinte der geschäftsführende ÖVP-Obmann, man müsse die Landesverteidigung ernst nehmen. Alles weitere werde man - "wenn es dazu kommt" - mit der FPÖ besprechen.

Stocker betonte zudem, dass sich die ÖVP eigentlich um eine Dreierkoalition mit SPÖ und NEOS bemüht hatte, diese aber gescheitert ist. Dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt hat, habe zu einer neuen politischen Lage im Land geführt, begründete er die Zusage zu einem Gespräch mit Kickl. Er sprach sich außerdem gegen Neuwahlen aus. Eine Minderheitsregierung aus ÖVP und NEOS, die der ÖVP-EU-Abgeordnete Lukas Mandl ins Spiel gebracht hatte, hätte laut Stocker keine parlamentarische Mehrheit, die sie stützt.

Chronologie von der Wahl bis zum Start der Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP

  • 29.9. Nationalratswahl: Die FPÖ wird erstmals stärkste Partei im Parlament. Sie erreicht 28,8 Prozent der Stimmen (57 Mandate), die ÖVP 26,3 (51), die SPÖ 21,1 (41), die NEOS 9,1 (18) und die Grünen 8,2 Prozent (16). Als Zweier-Koalitionen kommen nur FPÖ-ÖVP, FPÖ-SPÖ sowie - mit äußerst knapper Mehrheit - ÖVP-SPÖ in Frage.
  • 1.10. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer spricht sich dafür aus, dass FPÖ-Obmann Herbert Kickl von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Sondierungen beauftragt wird.
  • 2.10. Die türkis-grüne Regierung bietet dem Bundespräsidenten den Rücktritt an, er betraut sie mit der Fortführung der Geschäfte. Einzig Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) gibt ihren Posten auf eigenen Wunsch bereits ab.
  • 4.10. Van der Bellen beginnt mit der ersten Gesprächsrunde mit den fünf Parlamentsparteien. Als erster wird Kickl in der Präsidentschaftskanzlei empfangen. Dabei teilt er dem Bundespräsidenten seinen Willen zum Regieren mit, wie er am folgenden Tag in einer Pressekonferenz berichtet.
  • 8.10. Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler kommen zu einem ersten "atmosphärischen Austausch" zusammen.
  • 9.10. Van der Bellen erteilt nach der ersten Gesprächsrunde vorerst keinen Regierungsbildungsauftrag und fordert die Chefs der stimmenstärksten Parteien FPÖ, ÖVP und SPÖ auf, "zu klären, welche Zusammenarbeit vorstellbar wäre", um die "Pattsituation" zu lösen. FPÖ-Chef Kickl erklärt, dass er die Gespräche koordinieren will.
  • 15.10. Kickl und Nehammer kommen zu einem Gespräch zusammen. Nehammer bleibt dabei, dass er eine Koalition mit der FPÖ unter Kickl ausschließt.
  • 18.10. Kickl und Babler kommen zu einem Gespräch zusammen. Auch der SPÖ-Chef schließt erneut jede Zusammenarbeit mit der FPÖ aus.
  • 21.10. Zweite Gesprächsrunde beim Bundespräsidenten: Van der Bellen empfängt nacheinander Kickl, Nehammer und Babler.
  • 22.10. Van der Bellen erteilt Nehammer den Auftrag zur Regierungsbildung und ersucht ihn, umgehend Verhandlungen mit der SPÖ aufzunehmen und zu klären, ob es einen dritten Partner braucht. Nehammer nimmt den Auftrag an.
  • 24.10. Konstituierende Sitzung des Nationalrats mit der Wahl von Walter Rosenkranz (FPÖ) zum Nationalratspräsidenten.
  • 25.10. Start der Sondierungsgespräche zwischen ÖVP und SPÖ
  • 12.11. Nach der vierten Sondierungsrunde laden ÖVP und SPÖ die NEOS ein, als dritten Partner am Gesprächstisch Platz zu nehmen.
  • 13.11. Sondierungen zu dritt beginnen.
  • 18.11. Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger kündigen die Aufnahme offizieller Koalitionsverhandlungen an.
  • 21.11. Die Koalitionsverhandlungen in sieben Hauptclustern und 33 Untergruppen starten.
  • 26.11. Der Gehaltsabschluss der öffentlich Bediensteten sorgt für den ersten Zwist zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS. Die pinken Verhandler fordern ein klärendes Gespräch, das am folgenden Tag stattfindet.
  • 2.12. Die angespannte Budgetsituation belastet das Koalitionsklima. Die SPÖ droht mit einer Pause der Koalitionsgespräche, sollte es keinen "Kassasturz" geben.
  • 13.12. Die Untergruppen schließen ihre Arbeit ab.
  • 16.12. Von der EU-Kommission werden die vier möglichen Konsolidierungspfade vorgelegt: Innerhalb von vier oder sieben Jahren muss Österreich zwischen 18 und 24 Milliarden Euro eingespart werden.
  • 20.12. Nach Gerüchten über ein mögliches Platzen der Koalitionsverhandlungen im Dreierformat einigt man sich in neunstündigen Verhandlungen auf einen Minimalkompromiss zum Konsolidierungspfad: Die Budgetsanierung soll auf sieben Jahre angelegt werden.
  • 3.1.2025 NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger erklärt den Ausstieg ihrer Partei aus den Koalitionsverhandlungen. Sie vermisst die Bereitschaft zu grundsätzlichen Reformen seitens ÖVP und SPÖ. ÖVP und SPÖ wollen dennoch weiterverhandeln.
  • 4.1. Nehammer bricht die Gespräche mit der SPÖ ab und kündigt seinen Rücktritt als Kanzler und ÖVP-Chef an.
  • 5.1. Nehammer legt den Regierungsbildungsauftrag zurück. Bundespräsident Van der Bellen kündigt für den Dreikönigstag ein Gespräch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl über die künftige Regierungsbildung an, nachdem die Stimmen in der Volkspartei gegen eine Zusammenarbeit mit Kickl "leiser geworden" seien. Die ÖVP hat mit Christian Stocker einen neuen geschäftsführenden ÖVP-Parteichef. Er betont, ein allfälliges Gesprächsangebot der FPÖ zu Koalitionsverhandlungen annehmen zu wollen.
  • 6.1. Nach einem rund einstündigen, von Protesten begleiteten Gespräch zwischen Bundespräsident Van der Bellen und FPÖ-Chef Kickl teilt das Staatsoberhaupt mit, dem Freiheitlichen den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt zu haben. Er habe sich diesen Schritt nicht leicht gemacht, sagt Van der Bellen.
  • 7.1. FPÖ-Chef Kickl lädt die Volkspartei zu Verhandlungen ein. Das freiheitliche Parteipräsidium gibt dafür einstimmig grünes Licht. Kickl telefoniert daraufhin mit dem geschäftsführenden ÖVP-Obmann Stocker und vereinbart einen zeitnahen Gesprächstermin.
  • 8.1. Bundespräsident Alexander Van der Bellen gibt bekannt, Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ab kommendem Freitag mit der Fortführung der Regierungsgeschäfte zu betrauen. An diesem Tag wird Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) sein Amt niederlegen. Am Nachmittag erklärt der geschäftsführende Obmann der Volkspartei, das FPÖ-Angebot für Verhandlungen annehmen zu wollen. Die erste Gesprächsrunde zwischen Kickl und Stocker werde zeitnah erfolgen, heißt es.

(APA/Red)

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