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Ob Wien mehr Flüchtlinge verkraftet?

©APA/HANS PUNZ
Gastkommentar von Johannes Huber. Bürgermeister Ludwig fordert die Aufnahme gefährdeter Menschen aus Afghanistan. Das ist gut. Seine Stadtverwaltung ist aber nicht bereit dazu.

Der Michael Ludwig von heute ist nicht der Michael Ludwig des Jahres 2018. Mit der Funktion des Wiener Bürgermeisters ist der Sozialdemokrat gewachsen und hat auch Standpunkte korrigiert. Wohl aus Angst, dass es den Freiheitlichen unter ihrem damaligen Chef Heinz-Christian Strache gelingen könnte, Nummer eins in der Bundeshauptstadt zu werden, hat er zunächst beispielsweise alles andere als linke Aussagen getätigt in Ausländerfragen. Im Gegenteil, er sprach sich dafür aus, dass sich Leute die neu in die Stadt gekommen sind, bei Wohnungsvergaben und anderen Dingen hinten anstellen müssen - „wie bei einer Kassa im Supermarkt“. Das war nicht besonders integrationsfreundlich. 

Als die Bedrohung durch die Freiheitlichen nach „Ibiza“ und Rücktritt von Strache gebannt war, begann Ludwig, auf solche Signale zu verzichten. Seit der Gemeinderatswahl vor einem Jahr ist es überhaupt aus damit.

Mitte August 2021 zählte der Bürgermeister zu den ersten Politikern, die sich demonstrativ gegen türkise und blaue Botschaften stellten, unter gar keinen Umständen gefährdete Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Man sei gefordert, sofort Hilfe zu leisten, ließ Ludwig wissen und verwies auf jene, die sich in den vergangenen Jahren für die Rechte von Frauen oder die Ausbildung von Mädchen eingesetzt hätten: „Wien erklärt sich auf jeden Fall dazu bereit, solche Menschen in unserer Stadt – die nicht umsonst Menschenrechtsstadt ist – aufzunehmen.“

Das waren starke Worte. Sie machten vor allem auch klar, dass es in Österreich noch ein paar Politiker gibt, die zur Genfer Flüchtlingskonvention stehen. Die also nicht dann, wenn sie das Gefühl haben, dass die Volksmeinung kippt, anfangen, Fremde, die vor Verfolgung geschützt werden müssen, abzuweisen. Und zwar nicht einmal in dem Sinne, dass sie fordern, man sollte sie lieber in „Schutzzonen“ vor Ort unterbringen: Darüber könnte man reden, wenn absehbar ist, dass die Taliban bald wieder weg sind. Davon ist jedoch nicht auszugehen. Diese Zeltlager in wüstenähnlichen Gegenden würden also zwangsläufig zu Dauereinrichtungen werden: Verfolgte wären im schlimmsten Fall lebenslänglich eingesperrt ebendort.

Doch zurück nach Wien: Die Unterstellung, dass sich Ludwig hilfsbereit zeigt, weil er weiß, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ohnehin keine Aufnahme zulässt, ist zu böse. Ludwig hat eher ein ganz anders Glaubwürdigkeitsproblem: In den vergangenen Wochen sind die unsäglichen Verhältnisse bei der Ausländerbehörde MA 35 bekannt geworden. Antragsteller wären dort froh, sie könnten sich hinten anstellen und müssten nur so lange warten, wie man es gewöhnlicherweise an einer Supermarktkassa tut. Zu oft erhalten sie erst nach Monaten, wenn nicht Jahren eine rechtsverbindliche Antwort. Integration wird damit blockiert. Umgekehrt fühlen sich Magistratsmitarbeiter in der Stadtverwaltung behandelt wie die Letzten. Das haben sie jedenfalls Journalisten anvertraut, die denn auch darüber berichteten. 

Das ist ein Skandal: Wenn Wien wirklich Menschenrechtsstadt ist, darf Ludwig nicht nur ein großes Herz zeigen und ein Bekenntnis zur Genfer Flüchtlingskonvention abgeben. Er muss auch einen ordentlichen Umgang mit allen gewährleisten, die nach Österreich kommen. Zumal auch durch verschleppte Verfahren grundlegende Rechte verletzt werden.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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