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Novemberpogrome jähren sich zum 75. Mal - 130 Veranstaltungen in Österreich

"Reichskristallnacht": Von den Pogromen vor 75 Jahren war der Weg zum Holocaust nicht weit.
"Reichskristallnacht": Von den Pogromen vor 75 Jahren war der Weg zum Holocaust nicht weit. ©AP (Archivbild 10. November 1938)
Zum 75. Mal jähren sich heuer die Novemberpogrome von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung. Heute oft immer noch mit dem Nazi-Ausdruck "Reichskristallnacht" bezeichnet, bedeuteten die Pogrome für viele Historiker den Beginn der Shoa, der gezielten Auslöschung der jüdischen Bevölkerung.

In Österreich wurden in der Nacht auf den 10. November 1938 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Im gesamten “Deutschen Reich” wurden tausende Synagogen und Geschäfte niedergebrannt, 91 Personen getötet, 20.000 verhaftet.

Die Instrumentalisierung eines Attentats

Der Begriff “Pogrom” kommt laut Duden aus dem Russischen und bedeutet “Verwüstung” und “Unwetter”. Die NS-Propaganda versuchte, die Aktion das als spontane Antwort der Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst vom Rath auszugeben.

“Zorn der kochenden Volksseele” als Vorwand

Dieser war am 7. November 1938 in Paris von einem 17-jährigen Juden namens Herschel Grynszpan niedergeschossen worden und starb später. Grynszpan hatte ursprünglich ein Attentat auf den deutschen Botschafter in Paris geplant, mit dem er gegen die Abschiebung tausender polnischstämmiger Juden protestieren wollte. Statt des Botschafters trafen seine Schüsse jedoch den jungen Botschaftssekretär Rath. Für die NS-Führung ein willkommener Anlass, die Vorgangsweise gegen die jüdische Bevölkerung unter dem Vorwand des “Zorns der kochenden Volksseele” zu verschärfen.

Organisierte Ausschreitungen

Die gezielten Ausschreitungen nach der Aktivierung der SS-Ortsgruppen beschränkten sich allerdings nicht auf eine Nacht, sondern dauerten mehrere Tage an. Allein im “Kreis Wien I” wurden 1.950 Wohnungen zwangsgeräumt und 42 Synagogen in Brand gesteckt und verwüstet. Hunderte Juden begingen Selbstmord.

Zahlreiche Übergriffe in den Bundesländern

Auch in den Bundesländern kam es zu zahlreichen Übergriffen. Die Synagogen in Eisenstadt, Berndorf, Vöslau, Baden, Klagenfurt, Linz und Graz fielen dem Pogrom zum Opfer. In Baden wurden alle Juden verhaftet, in St. Pölten 137, in ganz Salzburg 70, in Klagenfurt 40. Ein Zehntel der rund 650 bis dahin in Oberösterreich lebenden Juden wurde bereits am 8. November festgenommen.

Juden müssen für Schäden bezahlen

Hermann Göring, Verantwortlicher für den Vierjahresplan des “Deutschen Reiches”, erlegte den Juden nach dem Pogrom eine “Sühneabgabe” von einer Milliarde Reichsmark auf. Sie wurde später noch um 25 Prozent erhöht und war binnen eines Jahres zu zahlen. Für die angerichteten Schäden musste die jüdische Bevölkerung ebenfalls aufkommen.

130 Veranstaltungen in Österreich

Anlässlich des Gedenktages finden in Österreich mehr als 130 Veranstaltungen von über 100 Organisationen statt. Zusammengefasst sind diese in einer Broschüre des Parlaments. Die Veranstaltungen zeichnen sich durch sehr unterschiedlichen Charakter aus. Der Bogen reicht von Ausstellungen über Lesungen, Vorträge oder Filmpräsentationen bis hin zu neuen Ansätzen.

Das Parlament wird der Ereignisse des Jahres 1938 mit einem Konzert des Folksängers und Schauspielers Theodore Bikel am 7. November gedenken, bei dem Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg die Gedenkrede halten wird. Neben der Broschüre informiert auch die Website des Parlaments über die Veranstaltungen.

Veranstaltungen in Vorarlberg:

8. November 2013: “Dass wir in Bregenz waren, darüber haben wir geschwiegen…” – ZwangsarbeiterInnen 1939 – 1945 im Raum Bregenz.

Veranstaltungsort: Theater KOSMOS, Mariahilferstraße 29, Bregenz
Beginn: 19:30 Uhr

Zwangsarbeit wurde während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in fast allen Bereichen der heimischen Wirtschaft geleistet, in den zu Rüstungsbetrieben umfunktionierten Textilbetrieben, auf den Baustellen der Illwerke AG, in Gewerbebetrieben, in der Landwirtschaft, im Fremdenverkehr oder auch in Haushalten. Erst im Jahre 2000 trat das Bundesgesetz über den „Fonds für freiwillige Leistungen der Republik Österreich an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes (Versöhnungsfonds-Gesetz)” in Kraft.

Rund 135.000 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden „entschädigt”, ca. 4.000 davon waren in Vorarlberg eingesetzt.

Seit den 1990er-Jahren beschäftigen sich Margarethe Ruff und Werner Bundschuh mit dem Thema „Zwangsarbeit in Vorarlberg”. In der Ukraine suchten sie auch ehemalige ZwangsarbeiterInnen aus dem Raum Bregenz auf.

Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit von Theater KOSMOS, Renner-Institut, Grüne Bildungswerkstatt, Carl-Lampert-Forum, Ökumenisches Bildungswerk Bregenz, erinnern.at, Malin-Gesellschaft, ACUS, Gedenkgruppe Bregenz.

Weitere Informationen: erinnern.at

9. November 2013: Gedenkstättenenthüllung – Opfer von Gewalt und Diktatur

Veranstaltungsort: Vor dem Rathaus Lustenau; Bei Schlechtwetter finden die Ansprachen in der Kirche St. Peter und Paul statt.
Beginn: 20:00 Uhr

75 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen der Reichspogromnacht findet in Lustenau die feierliche Einweihung einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Die Marktgemeinde Lustenau möchte damit ein sichtbares Zeichen setzen und posthum die Opfer von Gewalt und Diktatur ehren.

Im Zuge der Errichtung der Erinnerungsstätte wird vom Team des Historischen Archivs der Marktgemeinde Lustenau eine Datenbank, die die Schicksale der Opfer dokumentiert, erarbeitet. Ein über das ganze Jahr 2013 gestreutes, umfangreiches Programm mit vielen Veranstaltungen, die die verschiedenen Aspekte des Themenkomplexes Nationalsozialismus behandeln, begleitet den Entstehungsprozess des Denkmals. Die Gedenkstätte wird zwischen dem Rathaus und der Kirche und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zum bestehenden Kriegerdenkmal errichtet.

Weitere Informationen: lustenau.at, erinnern.at, Eintritt frei

10. November 2013: Konzert

Veranstaltungsort: ORF Landesstudio, Rundfunkplatz 1, Dornbirn
Beginn: 11:00 Uhr

Bert Breit – Concerto funebre für Bratsche und Streicher (1997) – gewidmet “Den Innsbrucker Opfern der Kristallnacht 1938”.
Michael F.P. Huber – Konzert für Viola d’amore (2012)

Orchester Akademie St. Blasius; Karlheinz Siessl, Dirigent; Andreas Ticozzi, Bratschist.
Orchester Akademie St. Blasius mit Ensemble Plus und ORF Vorarlberg.

Weitere Informationen und Kartenverkauf: akademie-st-blasius.at, novemberpogrom1938.at

12. November 2013: Wie aus Nachbarn Feinde werden

Veranstaltungsort: Evangelischer Gemeindesaal Bregenz
Beginn: 19:30 Uhr, Bregenz

Im Rahmen der Ökumenischen Gespräche 2013, Bregenz spricht der Historiker Meinrad Pichler im Gedenken an die Novemberpogrome 1938 darüber, „Wie aus Nachbarn Feinde werden”. Dabei wird er auf die Ursachen eingehen, die damals dazu geführt haben. Er wird ferner der Frage nachgehen, wie es dazu kommen konnte, dass so viele ÖsterreicherInnen TäterInnen wurden. Aber auch auf Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit wird er Bezug nehmen.

Weitere Informationen: evang-kirche-bregenz.at, Eintritt frei(willige Spende)

29. November 2013: Polyphonie der Sprachen

Veranstaltungsort: Jura-Soyfer-Ausstellung am Bundesgymnasium Bludenz, Unterfeldstraße 11
Eröffnung: 29. November 2013, 16:00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 30. November bis 21. Dezember 2013

75 Jahre nach dem Novemberpogrom und fast ebenso lange nach Jura Soyfers missglücktem Fluchtversuch über die Montafoner Berge Richtung Schweiz werden am Bundesgymnasium Bludenz die Person und das Werk des politischen Schriftstellers, der 1939 im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben kam, ins Zentrum gerückt.

Die Eröffnung wird im Rahmen des Zeitgeschichte-Tages am BG Bludenz erfolgen, der sich dem Thema „Flucht über die Grenze” widmet.

Entsprechend dem regionalen Schwerpunkt richtet die Ausstellung einen speziellen Fokus auf die regionalen Gegebenheiten nach dem „Anschluss” 1938 – den Novemberpogrom bzw. den Kontext des Fluchtversuchs Jura Soyfers in Richtung der rettenden Schweiz.

Weitere Informationen: soyfer.at

(APA/red)

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