Nach Grubenunglück: Mit Tränengas gegen Massenproteste - Erdogan in der Kritik

Drei Tage nach der Bergwerkskatastrophe in der Türkei ist die Polizei in Soma mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Tausende Demonstranten vorgegangen. Die Sicherheitskräfte hätten auch Gummigeschosse auf die Protestierer gefeuert, die einen Rücktritt der Regierung forderten, berichteten Augenzeugen.
284 Tote – 18 Männer werden noch vermisst
Unterdessen stieg die Zahl der gefundenen toten Bergleute auf 284. Energieminister Taner Yildiz sagte, in den Stollen der westtürkischen Stadt würden noch 18 Männer vermisst.
Es wäre eine Chance gewesen, ein gespaltenes Land mit versöhnlichen Gesten zu einen. Doch auch nach dem Grubenunglück von Soma pflegt Erdogan seinen rauen Führungsstil. Zwar bekundete er sein Bedauern, doch auf Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen reagiert der islamisch-konservative Regierungschef mit dem Hinweis, dass es derartige Unglücke auf der ganzen Welt gebe.
Erdogan wird handgreiflich
Nachdem Erdogan bereits damit eine Welle der Empörung hervorgerufen hatte, geriet er am Freitag erneut in die Kritik. Ihm wurde vorgeworfen, er habe einen jungen Mann im Unglücksort Soma geohrfeigt.
Türkische Oppositionspolitiker und Internetaktivisten empörten sich. Die Szene soll auf einem Video festgehalten sein – allerdings ist die Sequenz verwackelt, so dass Erdogans Verhalten nur undeutlich zu erkennen ist.
Türkischer Premier von Menschenmenge ausgebuht
Erdogan war bei seinem Besuch am Mittwoch von einer Menschenmenge ausgebuht und ausgepfiffen worden. Sicherheitskräfte bahnten ihm den Weg durch Demonstranten in ein Geschäft.
Dort kam es zur Konfrontation mit einem jungen Mann. Der sagte, Erdogan habe ihn unbeabsichtigt geschlagen, weil er wütend auf die Demonstranten gewesen sei und die Kontrolle verloren habe. “Ich werde den Herrn Ministerpräsidenten nicht anzeigen. Ich erwarte nur eine Entschuldigung”, sagte Taner Kuruca.
28 Ankläger untersuchen Grubenunglück
Nach dem größten Bergwerksunglück in der Geschichte der Türkei soll ein Großaufgebot von Staatsanwälten nach Schuldigen suchen. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) setzte als oberstes Aufsichtsgremium 28 Ankläger auf den Fall an.
Minenbetreiber: “Es gab keine Fahrlässigkeit”
Die Betreibergesellschaft Soma Holding wies am Freitag erneut Vorwürfe zurück, es habe Unregelmäßigkeiten gegeben. Die Unfallursache werde noch untersucht. Es habe sich aber gezeigt, dass die Explosion – anders als zunächst vermutet – nicht von einem defekten Trafo ausgelöst worden sei.
Vorwürfe gegen AKP werden laut
Die türkische Regierungspartei AKP wolle das Unglück vom Parlament untersuchen lassen, berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu. Die Regierung wird kritisiert, weil sie schärfere Sicherheitskontrollen verhindert haben soll. Der Ärger gegen Erdogan und seine Delegation entlud sich in Demonstrationen.
Berater entschuldigt sich für Tritt-Attacke
Ein Berater Erdogans entschuldigte sich inzwischen für Tritte auf einen am Boden liegenden Demonstranten. “Der Zwischenfall am Mittwoch in Soma tut mir sehr leid”, erklärte er. Wegen “Provokationen, Beleidigungen und Angriffen” habe er die Selbstbeherrschung verloren.
Nach Angaben der Soma Holding vom Donnerstag wurden 450 Kumpel lebend gerettet. Zusammen mit den Toten und den am Freitag genannten 18 Vermissten hätten sich demnach maximal 752 Arbeiter in dem Bergwerk aufgehalten. Zunächst hatte der Energieminister von 787 Bergleuten gesprochen.
Kritik aus Deutschland
In Deutschland kritisierte Grünen-Chef Cem Özdemir das Verhalten von Erdogan nach dem Unglück. “Der Auftritt, den er dort vorgelegt hat, ist einer, den auch viele seiner Anhänger nicht gutheißen können, denn nach so vielen Toten trauert man und findet die richtigen Worte und gießt nicht Öl ins Feuer, wie er es gemacht hat”, sagte Özdemir im ZDF-“Morgenmagazin”. Erdogan hatte die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in der Türkei heruntergespielt und gesagt: “Solche Unfälle passieren ständig.”
(dpa/ APA/ red)
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