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Museen rufen zur Einsendung von Corona-Alltagsgegenständen auf

Auch ein historischer Moment wegen des Coronavirus: Zu Ostern waren die Gläubigen nur als Fotos in der Kirche vertreten.
Auch ein historischer Moment wegen des Coronavirus: Zu Ostern waren die Gläubigen nur als Fotos in der Kirche vertreten. ©APA (Sujet)
Ob Fiebertabellen, Coronacomics oder Protestplakate - Um die historische Ausnahmesituation rund um das Coronavirus zu dokumentieren, rufen die Landes- und Stadtmuseen in ganz Österreich derzeit zu Einsendungen auf, die Eindrücke aus dem Alltag in Zeiten von Corona zeigen. Dass man schnell handeln muss, um den Ausnahmezustand der Bevölkerung festzuhalten, da ist man sich von Wien bis Bregenz einig.

Ein Sammelaufruf an die Bevölkerung gehört zum musealen Arbeitsalltag. Das WienMuseum etwa bat die Bürger zum 50. Geburtstag des Haerdtl-Gebäudes, dem Standort des Museums am Karlsplatz, um originale Gegenstände aus den 50er-Jahren. Der Unterschied ist diesmal, "dass wir nicht direkt mit der Bevölkerung in Kontakt treten und uns die Objekte auch nicht direkt anschauen können", erklärt Martina Nussbaumer gegenüber der APA. Da muss man "durch das Medium der Fotografie jetzt mal eine Zwischenebene einziehen".

Technisches Museum Wien merkt Kreativitätsanstieg

Für das Technische Museum Wien (TMW) sind aktive Objektaufrufe ebenfalls Routine. "Sehr persönliche Dinge, Fotografien, Videos, Musik" seien unter den Zusendungen für das "10-Megabyte-Museum", das neuesten Digitalprojekt des TMW mit Corona-Schwerpunkt, berichtet Martina Griesser-Stermscheg. "Man merkt, die Leute haben mehr Zeit, Kreativität auszuleben. Es ist bemerkenswert viel derzeit."

Bemerkenswert ist auch, dass landesweit Museen zum selben Thema sammeln. Für Griesser-Stermscheg ist es selbstverständlich, "dass Museen jetzt total viel sammeln in dieser Zeit, weil es ein historisches Ereignis ist, und wir jetzt schon wissen, dass es in keiner Sammlung fehlen darf. Das ist so wie Tschernobyl: Das darf nicht fehlen." Erstaunt sei sie über die überraschten Reaktionen von Menschen darüber, dass Museen so viel Interesse am Gegenwartsbezug zeigen. Dass durch solche Großaktionen auch die Arbeitsweise der Museen und ihre wichtige Funktion als Wissensspeicher einer Gesellschaft sichtbar werden, tut dem Image gut.

Positiv sieht das auch Monika Sommer vom Haus der Geschichte Österreich (hdgö). "Es zeigt, dass gerade die Museen gebraucht werden und hier einen Auftrag für die Gesellschaft erfüllen." Am 12. März musste das von ihr geleitete Museum wegen der Corona-Maßnahmen schließen, fünf Tage später startete man den Sammlungsaufruf. Bisher eingesendete Fotografien sind auf der Homepage veröffentlicht. Für Sommer ist die herausforderndste Frage momentan: "Was wird aufgenommen und was nicht?" So ein Aufruf sei ein sensibler Prozess. Menschen machen sich Mühe, sie reichen intime Zeugnisse aus dem Lebensalltag ein. Aber Museen können nicht alles annehmen. "Für mich hat das immer auch eine ethische Dimension." Außerdem müsse man bedenken, "was so ein breiter Sammlungsaufruf auch logistisch und arbeitstechnisch bedeutet", erklärt die Direktorin. Objekte müssen sach- und fachgerecht bearbeitet, verwaltet und katalogisiert werden.

Bereits 1.300 Einsendungen im Wien Museum gelandet

"Es ist ganz unterschiedlich", meint Martina Nussbaumer auf die Frage, was die Leute einschicken. Durchdachte Speisepläne, damit man nicht zu oft in den Supermarkt gehen muss, oder der aufgehängte Zettel von einem Musiker, auf dem sich die Nachbarn Lieder wünschen dürfen, die er dann jeden Abend am Balkon für sie spielt, zeugen von einem neuen Alltag. Andere Objekte erzählen von der Sorge um die eigene Gesundheit, etwa in Form einer Fiebertabelle. Neben selbstgenähten Masken, gehäkelten Corona-Viren oder gemalten Coronacomics aus heimischer Kreativarbeit erreichen das Museum auch Bilder vom Protest gegen getroffene Maßnahmen der Bundesregierung, wenn etwa Zettel auf den Toren vom Augarten oder Volksgarten die Öffnung der Bundesgärten fordern.

Das Museum Vorarlberg sammelt auf mehreren Ebenen. Die Schriftstellerin Daniela Egger schreibt auf der Museums-Homepage seit einem Monat täglich in ihrem Corona-Tagebuch und eröffnet damit einen intimen Blick in ihren veränderten Alltag. Dazu gebe es viel positives Feedback von Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befänden und sich dadurch angesprochen fühlten, so Kuratorin Theresia Anwander zur APA. Neben Einsendungen von Bürgern veröffentlicht das Museum auch die Fotografien von Sarah Mistura, die auf ihren Streifzügen eine Art Street-Mapping betreibt, indem sie Schilder, Hinweistafeln oder Grenzübergänge auf ihren Bildern festhält. Anwander dokumentiert Handlungsanweisungen aus dem öffentlichen Leben, "damit man später versteht, wie es zu diesen Bildern gekommen ist". Bilder wie etwa jenes von einem Schaufensterschild, auf dem in Kreide geschrieben steht: "Passt auf euch auf!!! P.S. Wer das liest ist nicht daheim..."

1.300 Einsendungen erreichten das Wien Museum seit 25. März. Im Nordico Stadtmuseum Linz sind es bisher um die hundert. In anderen Museen rollt der Sammlungsaufruf gerade erst an. "Wir würden uns freuen, wenn die Einsendungen noch mehr werden", berichtet Stephan Rosinger vom Museum Arbeitswelt Steyr.

Derzeit Fotos im Fokus

Viele Museen sammeln in zwei Phasen. Derzeit werden hauptsächlich Fotos entgegengenommen, sobald es dann wieder möglich ist, wird man die Artefakte selbst aufnehmen. Das Graz Museum plant für Herbst 2021 eine große Corona-Ausstellung. "Was spielt sich in den Räumen, in den Wohnungen der Menschen ab?", ist eine der Fragen, die sich Direktor Otto Hochreiter dafür stellt. Eine andere: "Was ist die Erfahrung mit Zeit?" Dabei wolle man den öffentlichen Raum genauso berücksichtigen, wie jenen privaten, "in dem wir alle mit unserem Homeoffice leben müssen", so Hochreiter.

Eine eigene Schau zu den gesammelten Objekten können sich nicht alle Museen leisten. Entweder fehlt es am Platz oder an finanziellen Ressourcen, und auch das Ausstellungs-Programm ist meist weit im Voraus geplant. Eher werden die Gegenstände in bereits bestehende oder geplante Ausstellungen miteinfließen. Ein auf einen Stein an der Donaulände gesprayter Virusball soll etwa Eingang finden in die auf Herbst verschobene Street-Art Ausstellung "Graffiti and Banana - Die Kunst der Straße", des Nordico Stadtmuseum Linz. "Es gibt so viele Zeichen im städtischen Organismus, die genau dieses Thema jetzt aufgreifen", erzählt Nordico-Leiterin Andrea Bina der APA.

Gerade das Alltägliche ist jetzt gefragt. Plakate und Kreidetafeln, auf denen Eltern für ihre Kinder liebevoll den Tagesablauf strukturieren etwa. Dinge, die banal erscheinen, aber wichtig sind für das spätere Verstehen. "Wenn man sagt, wir sammeln nur das, was plakativ ist oder was man auch von außen sieht, und nicht das, was innen in den Menschen vorgeht, wäre es zu kurz gegriffen", ist sich Ingrid Weydemann, Direktorin vom Fronfeste Museum in Neumarkt am Wallersee, sicher. Es brauche eine Sensibilisierung der Bevölkerung für ihre Mitverantwortung, Geschichte zu schreiben. Für Weydemann gehe es darum, die Menschen nachhaltig aufzuwecken, damit sie sich fragen: "Was passiert da eigentlich, und wo ist meine Beteiligung daran?"

"Mein Gott, das hätte man aufheben sollen"

Dass man jetzt schnell sein müsse mit dem Sammeln, darin sind sich die Museen einig. "Oft kommt man ja erst im Nachhinein drauf - Mein Gott, das hätte man aufheben sollen", erzählt Ulrike Scholda vom Badener Rollettmuseum über das Zusammentragen von wichtigen Objekten aus der Bevölkerung. Martina Nussbaumer hat ähnliche Erfahrungen gemacht. "Alle Häuser haben in ihren Sammlungen auch historische Lücken, wo Zeitgenossen nicht gleich gesammelt haben. Das kann man dann halt nicht mehr nachsammeln."

Oft schaue man zurück und finde Unterlagen, historische Dokumente, Tagebücher, "aber dieses ganz Alltägliche fehlt oft", meint Theresia Anwander. Gerade die intimen Zeugnisse machen es spannend. Das findet auch Ulrike Scholda: "Die Geschichten der Menschen sind das, was es lebendig macht und was man einfach gerne wieder hört. Diese Dokumentation darüber hinaus ist ja, wie die Butter am Brot, das Interessante." Auf einem laminierten Zettel, mit einer Schnur an einem Baum festgebunden, hat jemand mit Filzstift geschrieben: "Dieser Apfelbaum wurde am 28.3.2020 inmitten der großen Corona-Krise gepflanzt. Er gibt uns Hoffnung auf süße Früchte." Dieses Bäumchen der Hoffnung wird die Corona-Krise überdauern - und die Museen werden seine Geschichte erzählen.

>> LIVE-Ticker zur Coronakrise

(APA/Red.)


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