Montafoner Wohngefühl

Wer das Glück und das Pech hat, dort zu wohnen, wo andere Urlaub machen, findet ohne eigenes Grundstück und entsprechende Barschaft nur schwer ein leistbares Zuhause oder muss sich mit schlechten Lagen begnügen. Durch die Nachfrage nach Ferienwohnungen ist der Grundstücks- und Immobilienmarkt stark verzerrt. Mitunter kommt er aber auch zu einer Mietwohnung, die solide und nachhaltig gebaut und von Architekten mit einem gehörigen Maß an Begeisterung geplant wurde.
Diese zwölf Wohneinheiten sind weit oben am Hang gelegen, mitten unter Einfamilienhäusern, landwirtschaftlichen Nutzbauten und herzhaft „jodelnden“ Appartementhäusern. Lage und Aussicht waren entsprechend verlockend und so ließen sich die Architekten Hanspeter Lang und Christian Vonier dazu hinreißen, die Landschaft entsprechend zu inszenieren. Herausgekommen ist ein eleganter, 34 m breiter, zweigeschoßiger Baukörper mit dunkelgrauer Holzverschalung, der sich über einem Hanggeschoß mit Kellerabteilen, Haustechnik und einer Waschküche sowie einer Reihe von Stellplätzen erhebt. Keine Tiefgarage. Eigentlich sollte er noch ein Stockwerk höher sein, aber unmittelbar dahinter liegt ein weiterer, vor zwei Jahrzehnten errichteter, sozialer Wohnbau, der um seinen Blick auf die Berge fürchtete. Nun ist Aussicht kein Menschenrecht, aber das Wunder geschah. Der Bauherr zeigte Einsicht und entschied sich nach ernstem Blick auf die Wirtschaftlichkeit und mit der Option an anderer Stelle im Ort weiteren Wohnraum errichten zu können, den dritten Stock zu streichen.
Ein langgestrecktes Atrium erschließt mittig die beiden verbliebenen Wohngeschoße und schafft über ein Oberlicht und Lufträume interessante Blickbezüge und genug Helligkeit bis hinunter zu den Garagen im Hanggeschoß. Die Grundrisse sind funktionell, aber unterschiedlich geschnitten und immerhin die Hälfte der Wohnungen wird durch ihre Ecklage von zwei Seiten belichtet.
Von innen wie von außen prägen vor allem die weit auskragenden Balkonboxen aus Kreuzlagenholz das Bild. Dieser gestalterische Kunstgriff kommentiert die Baukultur im Montafon mit der Umschreibung eines touristischen Elements und bedient zugleich eine hohe Lebensqualität. Die unbeheizten, aber gut geschützten Boxen sind mit Edelstahlblech verkleidet und bieten jeder Wohnung einen bis zu neun Quadratmeter großen, privaten Außenraum. Unbehandeltes Fichtenholz auf der Innenseite verströmt bei Sonnenbestrahlung ein holzig-heimeliges Hütten- Ambiente, das so ganz im Kontrast steht zur silbern nüchternen Metallverkleidung von außen. Gemeinsam mit der schwarzdunklen Lattenfassade wird ein typischer Kontrast im Landschaftsbild zitiert. Immer wieder mischen sich im Montafon blecherne Seilbahngondeln und Liftbauten unter sonnenverbrannte, alte Holzhäuser. Ein ironischer Seitenhieb auf die unbewusste Gewohnheit, die Annehmlichkeiten und Robustheit der funktionellen Metallkörper zu genießen, aber im schwärmerischen Bild von Heimat oder Urlaubsort auszublenden. Trotzdem sind Blechverkleidungen oder Blechdächer seit vielen Jahrzehnten ein fester Bestandteil eines pragmatischen, bäuerlichen Bauens.
Eine subtile Ironie liegt in der Tatsache, dass der Typus der extrem auskragenden Balkon-Schubladen über die zeitgenössische Architekturszene gerade von Holland Verbreitung gefunden hat. Modernes Bauen ist im Montafon lebendig zwischen internationalen Mustern, heimischen Traditionen und touristischen Bildern.
Die Architekten treffen so im Erscheinungsbild genau jene gediegen modernistische Note, die den Bau in das touristisch geprägte Ortsbild integriert, ohne dabei den Boden des zeitgenössischen Bauens zu verlassen. Die Bewohner wissen vor allem die Wohnlichkeit zu schätzen und mögen die markante Identität ihres Hauses.
Daten und Fakten
Objekt: Wohnanlage Unterziegerberg, Tschagguns
Eigentümer: Vogewosi, Dornbirn
Architektur: Lang Vonier Architekten, Göfis www.lang-vonier.com
Statik: DI Paul Frick, Rankweil
Bauphysik: BDT, Frastanz
Heizung-Sanitär: SHK-Plan GmbH, Feldkirch
Elektroplanung: EK-Plan Elektroplanung, Nenzing
Planung: 2008–2010
Ausführung: 2010–2011
Grundstücksgröße: 2544 m²
Wohnnutzfläche: 815 m²
Wohneinheiten: zwölf
Bauweise: Passivhaus; Massivbau, gedämmt, hinterlüftete Holzverkleidung; Fußböden: Eichenparkett; Heizung: kontrollierte Be- und Entlüftung, Wärmepumpe; Fenster: Holzfenster mit 3-fach- Isolierverglasung
Ausführung: Baumeisterarbeiten: Nägele Bau, Röthis; Fassade: Richard Kieber Holzbau, Schruns;
Spengler: Rusch, Bregenz; Elektro: Durig, Schruns; Lüftungsanlage: Kranz, Weiler; Fenster, Balkone: Leidinger, Bludenz; Trockenbau: Hoch-Tief-Bau, Imst
Energiekennwert: 9,98 kWh/m² im Jahr
Baukosten: ca. 2190,- Euro/m² Nutzfläche
Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten
Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at
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