Die Kamera blickt in schwindelerregende Tiefen, während sich Magnus Midtbø auf dem Matterhorn mit abnehmender Kraft über Eis und Felsen kämpft. Sein Youtube-Video von dem Viertausender in der Schweiz wurde bislang millionenfach angesehen und hat eine Lawine der Kritik ausgelöst. Denn der Norweger stieg nach eigenen Angaben ohne Alpin-Erfahrung und ohne Bergführer auf den Gipfel, auf dem schon Hunderte Menschen ihr Leben verloren haben.
In den vergangenen Monaten sorgten auch andere Online-Influencer für Aufmerksamkeit, die die Zugspitze ohne Vorbereitung bestiegen. Und vor einigen Wochen rettete die Bergwacht Bayern in den Allgäuer Alpen zwei junge Wanderer, die eine anspruchsvolle Bergtour in schneebedecktem Gelände mit Hilfe von Tiktok geplant hatten.
"Social Media ist für den Bergsport Fluch und Segen zugleich", sagt Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern. Denn Instagram, Tiktok und Co. seien nicht nur Quellen der Inspiration, sondern auch Medien für Hedonismus und Selbstinszenierung, sagt er der Deutschen Presse-Agentur.
"Das Krankste, was ich je gemacht habe"
"Ich hab’s einfach geschafft. Das Krankste, was ich je gemacht habe", sagte der sichtlich erschöpfte Tiktok-Influencer Jonathan Schöck auf der Zugspitze. Sein Video dokumentiert, wie er unvorbereitet und trotz Höhenangst den höchsten Gipfel Deutschlands auf der Zugspitze erreichte. Unter dem Clip forderte der Influencer seine 1,7 Millionen Follower auf, andere Benutzer der Plattform zu markieren, mit denen sie ein ähnliches Abenteuer erleben wollen.
Menschen würden sich aufgrund von Social-Media-Konsum vermehrt in den Bergen in Gefahr bringen, meint Anjan Truffer, Rettungschef der bekannten Schweizer Helikopter-Staffel Air Zermatt, die auch immer wieder auf dem Matterhorn im Einsatz ist. "Das animiert bestimmt Leute dazu, Sachen zu tun, die sie sonst nicht machen würden", sagt er der dpa.
Der Norweger Midtbø ist ein erfolgreicher Sportkletterer, der allerdings vor seiner Matterhorn-Tour noch keine Erfahrung im hochalpinen Bergsteigen gesammelt hatte. So war er auf dem Schweizer Berg zum ersten Mal mit einem Eispickel in der Hand und Steigeisen an den Schuhen unterwegs, wie er auf Youtube erzählte.
Sorge vor Nachahmern
Sein Video wurde bislang 2,7 Millionen Mal angesehen. "Wenn im nächsten Sommer nur ein Prozent der Menschen, die das gesehen haben, das nachahmen wollen, dann haben wir ein Problem", sagt Bergretter Truffer.
"Er hatte extrem viel Glück, dass er nicht verunglückt ist", sagt Christoph Pirchmoser vom Österreichischen Alpenverein (ÖAV), der Midtbøs Aktion ebenfalls kritisch sieht. Social-Media-Phänomene seien ein Ausdruck unserer schnelllebigen Zeit, meint der Experte für Ausbildung und Sicherheit im Bergsport.
"Jeder will alles möglichst schnell schaffen", sagt Pirchmoser der dpa. Menschen würden Erlebnisse suchen, die nicht viel Vorbereitung erforderten. Gipfel-Videos seien eben attraktiver als Videos von der Planung einer Bergtour.
Generation Tiktok: Alpenvereine auf Kontaktsuche
Die Alpenvereine im deutschsprachigen Raum versuchen, mit eigenen Social-Media-Inhalten dagegenzuhalten, etwa mit Postings zur aktuellen Lawinensituation oder zu anderen Risiken. Auf Youtube und Instagram sei man damit erfolgreich, meint Pirchmoser. Beim Erreichen von jüngeren Zielgruppen auf Tiktok gebe es aber "Luft nach oben".
Stefan Winter, Ressortleiter für Sportentwicklung beim Deutschen Alpenverein (DAV), sieht in den Berg-Influencern keinen neuen Trend, sondern Einzelpersonen auf der Suche nach Nervenkitzel. "Früher stürzten sich einzelne ‚Lebensmüde‘ im Holzfass die Niagara-Fälle hinunter, heute muss für Influencer das Matterhorn herhalten", sagt er der dpa.
Auch in vergangenen Jahrzehnten hätten junge Bergsteiger berühmten Vorbildern wie Reinhold Messner nachgeeifert, räumt der Schweizer Bergretter Truffer ein. Doch früher hätte man seine Fähigkeiten mit größerem Respekt vor den Bergen und der Natur langsam aufgebaut. "Man ist nicht blind irgendwo reingelaufen", sagt er.
Faktor Geld
Midtbø kam unverletzt wieder vom Matterhorn zurück. Er bereue jedoch, mit mangelnder Vorbereitung hinaufgestiegen zu sein, sagte er in seinem Video. "Ich will auch nicht, dass irgendwer das nachmacht, was ich getan habe, oder was ich in diesem Kanal tue", warnte der Youtube-Abenteurer.
Truffer kritisiert, dass Midtbø das Video trotz dieser Einsichten gepostet hat. "Warum? Weil er natürlich damit auch Geld verdient", sagt Truffer. Er räumt aber ein, dass auch Bergtourismus-Gebiete vom Werbeeffekt der sozialen Medien profitieren. "Je mehr Leute, umso mehr Geld", sagt er.
(DPA)
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