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"Metzger"-Autor Thomas Raab trägt in neuem Roman "Still" dick auf

Autor Thomas Raab hat ein eigentümliches neues Buch geschrieben: "Still"
Autor Thomas Raab hat ein eigentümliches neues Buch geschrieben: "Still" ©APA
Bekannt ist der Wiener Autor Thomas Raab für seinen in kriminalistische Abenteuer stolpernden Restaurator Willibald Adrian Metzger. Mit seinem neuen Roman hat sich Raab auf neues Terrain begeben - den (über)sinnlichen Thriller. "Still" ist  eigentümlich, irritierend - und unser Buch-Tipp der Woche.
Raab-Krimis im Fernsehen
Thomas Raab im Interview

Es ist unmöglich, bei Beginn der Lektüre von “Still” nicht an “Schlafes Bruder” von Robert Schneider zu denken. Während dort Johannes Elias Alder in einem Vorarlberger Bergdorf des 19. Jahrhunderts aufwächst und aufgrund seines hypersensiblen Gehörs zum Außenseiter wird, ist es bei Thomas Raab der junge Karl Heidemann, der bereits als Baby buchstäblich das Gras wachsen hört.

Thomas Raab mit neuem Sprachduktus

Hat Raab bisher eher mit trockenem Humor gepunktet, hat er sich nun für seine in der Gegenwart spielende Geschichte Schneiders raunenden, staunenden Sprachduktus zugelegt, in dem das Religiöse ständig durchschimmert, der die Natur als Wunder beschreibt und sich auf das seltsame Leben der Menschen keinen Reim zu machen versteht.

Karl ist zunächst ein Dauer-Schreihals, der die Nerven seiner Mutter aufs äußerste anspannt. Schuld ist sein überentwickelter Gehörsinn, der schon Alltagsgeräusche zu Höllenqualen werden lässt. Karl wird abgeschottet, in einen schallisolierten Keller gesteckt, entwickelt sich zum autistischen Sonderling, verweigert das Sprechen und wird immer mehr zum Monster. Patrick Süskind hat seinen Roman “Das Parfum” rund um seinen ganz auf den Geruchssinn spezialisierten Protagonisten Jean-Baptiste Grenouille im Untertitel “Die Geschichte eines Mörders” genannt. Raab entwickelt aus der Geschichte seines Hörgenies die “Chronik eines Mörders”.

Karl – eine eigentümliche Romanfigur

Der hellhörige Karl, und das ist der deutlich spannendere Ansatz als die körperlich-sinnliche Abnormität des Buben, ist zwar hypersensibel und hochbegabt, bekommt aber durch den weitgehenden Verzicht auf Erziehung – den “Hausunterricht” übernimmt ein pensionierter, im Rollstuhl sitzender Lehrer – keinerlei ethische und moralische Grundsätze vermittelt. Die Bedeutung von Leben und Tod muss er sich ohne fremde Hilfe erschließen. “Komm, o Tod, du Schlafes Bruder”, singt man in einem bekannten Bach-Choral, und auch für Karl besitzt der Tod keinen Schrecken. Denn wer tot ist, ist still und gibt Frieden. Warum also nicht auch selbst den anderen Frieden verschaffen?

Für Karl wird der Tod zum Erlöser von Schmerzen und Pein. Er hat keinerlei Hemmungen, seine verzweifelte Mutter in Wasser gehen zu lassen – im Vertrauen darauf, dass es ihr, losgelöst von dem für sie qualvollen Leben, besser ergehen möge. Der dicke, scheinbar gänzlich gefühllose Bub fühlt sich zum Hinüber-Helfer ins Jenseits berufen und wird zum mörderischen Todesengel, der das Herz der Großmutter, der er zum ersehnten gemeinsamen Tod mit dem Opa verhilft, im Glas aufbewahrt. Die Opferbilanz des Buben ist schon bald beeindruckend, ohne dass ihm wer auf die Schliche käme.

Der “tumbe Tor” in “Still”

“Still” fasziniert einerseits mit seinem Sujet des tumben Toren, der Gutes will, doch Böses schafft, der keinen Sinn für das Unrechtmäßige seines Tuns hat. Doch der Roman irritiert nicht durch seinen eigenwilligen, arabesken, gekünstelt wirkenden, überladenen Erzählstil, sondern auch, weil noch etliches hinzugepackt wird. “Still” ist auch ein Krimi, in dem der auf den Plan gerufene Ermittler Horst Schubert reichlich verloren durch die Szenerie tappt; es ist eine Liebesgeschichte, die sich über die Jahre entwickelt und bei dem das Gegenüber mit einem stummen Mädchen, das von seinem Vater gequält wird, für eine zarte, unschuldige Liebe unter Außenseitern einiges an Romantik-Potenzial bietet; es ist eine Dorfchronik mit allen erwartbaren Zutaten, von Liebe, Hass und Eifersucht bis hin zur Zusammenrottung und Selbstjustiz; und es ist ein Entwicklungsroman, in dem es den Buben bis nach Italien verschlägt, wo er als Mönch seine unheilvoll enge Beziehung zum Tod weiter intensivieren kann. Das alles sorgt dafür, dass der Erzählfluss immer breiter, träger und langatmiger wird. Die 350 Seiten des Romans vergehen keineswegs wie im Fluge.

Überladene Bilder bei Thomas Raab

“Schlafes Bruder” wurde seinerzeit von Joseph Vilsmaier verfilmt und verkitscht. Auch die überladenen, pittoresken Bilder einer “Still”-Verfilmung sieht man bei der Lektüre förmlich bereits vor sich. Und sehnt sich nach stiller Einkehr und Askese.

Übrigens: Zwei der erfolgreichen Metzger-Krimis von Thomas Raab kommen im Februar ins Fernsehen, mit Robert Palfrader als Metzger – mehr dazu hier.

Thomas Raab: “Still. Chronik eines Mörders”, Droemer, 358 S., 20,60 Euro

(apa/red)

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