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Martin Selmayr als streitbarer Kämpfer für Europa

Martin Selmayr gilt als streitbarer Kämpfer für Europa.
Martin Selmayr gilt als streitbarer Kämpfer für Europa. ©APA/TOBIAS STEINMAURER
EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr gilt als scharfsinniger Kämpfer für Europa und Mann des offenen Wortes.

Diplomatischer Small Talk im Hintergrund ist nicht seine Sache. Mehrmals meldete sich der Spitzenbeamte schon zu Wort, etwa als er dem Vorschlag von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zur Verankerung von Bargeld in der Verfassung "inhaltlich wenig Neues" attestierte und eine nationale Regelung infrage stellte.

Martin Selmayr als streitbarer Kämpfer für Europa

Seine Aussagen zum "Blutgeld" für Russland brachten nun aber das Fass zum Überlaufen und für Selmayr auch einen Rüffel der EU-Kommission. Die Aussagen des Deutschen polarisieren das Land, seit er am Mittwochabend bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges deutliche Kritik an den fortlaufenden österreichischen Gasimporten aus Russland geübt und in diesem Zusammenhang von "Blutgeld" gesprochen hatte. Dass ein EU-Vertreter ins Außenministerium zitiert wird, ist ebenso ungewöhnlich wie die Tatsache, dass sich die EU-Kommission von den Aussagen eines ihrer Repräsentanten distanziert.

Der heute 52-jährige übernahm 2019 die Vertretung der EU-Kommission in Wien. Selmayr war zuvor Generalsekretär der Europäischen Kommission und davor Kabinettschef des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.

Selmayr wurde 1970 in Bonn geboren

Selmayr wurde 1970 in Bonn geboren, an der Universität Passau promovierte er zum Doktor der Rechtswissenschaften. In der EU hatte er zahlreiche Schlüsselpositionen inne. In Brüssel galt Selmayr stets als machtbewusste "graue Eminenz" und "Strippenzieher" hinter den Kulissen. Seine Bestellung zum Generalsekretär der EU-Kommission 2018 war höchst umstritten.

Nach dem Studium in Genf und Passau sowie in London und Kalifornien arbeitete er zunächst als Rechtsberater für die Europäische Zentralbank (EZB). 2001 ging er zu Bertelsmann und wurde 2003 für den Medienkonzern Lobbyist in Brüssel.

Selmayr wechselte 2004 in die EU-Kommission

2004 wechselte er in die EU-Kommission. Er war dort zunächst Sprecher und dann von 2010 von 2014 Kabinettschef der damaligen, aus Luxemburg stammenden Kommissionsvizepräsidentin Viviane Reding. Von 2014 bis 2018 war er dann Kabinettschef von Kommissionspräsident Juncker, der vor seinem Wechsel nach Brüssel Regierungschef in Luxemburg war. Selmayr hatte auch den Wahlkampf Junckers als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei bei der Europawahl 2014 geleitet.

Im Februar 2018 wurde Selmayr binnen weniger Minuten erst zum stellvertretenden Generalsekretär und dann zum Generalsekretär der Kommission ernannt. Die Bestellung löste Entrüstung im Europaparlament aus. Die EU-Abgeordneten sprachen in einer Entschließung von einer "handstreichartigen Aktion" und forderten eine Neuauflage des Verfahrens. Die EU-Bürgerbeauftragte Emily O'Reilly rügte die EU-Kommission, weil diese EU-Recht und ihre eigenen Regeln nicht befolgt habe. Juncker hielt Selmayr stets die Stange und drohte sogar mit Rücktritt. "Wenn er geht, gehe ich auch", sagte der damalige Kommissionspräsident am Höhepunkt der Affäre.

Generalsekretär für die Vorbereitungen des EU-Finanzrahmens für den Brexit

Als Generalsekretär der EU-Kommission war Selmayr unter anderem federführend für die Vorbereitung des EU-Finanzrahmens, für die Brexit-Verhandlungen und für Handelsbeziehungen zuständig. Die Londoner Tageszeitung "Guardian" nannte ihn den "Rasputin von Brüssel", Boulevardmedien bezeichneten ihn gar als "Monster". In einer BBC-Dokumentation darauf angesprochen, charakterisierte er sich selbst als "Martin, the friend of Britain" ("Martin, der Freund Britanniens."). In Großbritannien wurde ihm vorgeworfen, Details aus vertraulichen Brexit-Gesprächen gegenüber Medien weitergegeben zu haben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte bei ihrer Amtsübernahme, dass Selmayr nicht Generalsekretär bleibe. Kurz darauf folgte sein Wechsel nach Österreich. Laut einem Bericht des EU-Magazins "Politico" war Selmayr im Frühjahr 2023 unter den Bewerbern für den prestigeträchtigen Posten des EU-Botschafters in Washington. Das Rennen machte aber dann die litauische Diplomatin Jovita Neliupšienė.

Leistungen während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

Für seine Leistungen während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2018 hat Selmayr bereits das Große Silberne Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich erhalten. An der Donau-Universität Krems lehrt Selmayr Europarecht. Seit 2022 ist er außerdem ehrenamtlicher Wissenschaftlicher Direktor des Centrums für Europarecht an der Universität Passau.

Sein Engagement für ein friedliches Europa führt Selmayr auf seine Großeltern zurück. Diese hätten ihm die Schlachtfelder von Verdun gezeigt, wo sich im Ersten Weltkrieg tausende von Deutschen und Franzosen gegenseitig getötet haben. Nach Angaben der E-Control hat Österreich derzeit einen Anteil von 60 Prozent russischem Gas. "Wir haben zwar noch 60 Prozent Anteil, aber wir sind nicht zu 60 Prozent abhängig", zitierte die "Kleine Zeitung" (Freitag, online) Carola Millgramm, Leiterin der Abteilung Gas der Energieregulierungsbehörde. Österreich könne diese Menge auch aus anderen Quellen substituieren.

(APA/Red)

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