Lustenau – eine Gemeinde im Nationalsozialismus

Lustenau. Täter, Opfer, Mitläufer, Opportunisten, Widerständler, „Grenzgänger“ – die tragischen Schicksale, das grausame Verhalten oder der mutige Widerstand der Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben, beschäftigen bis heute die Öffentlichkeit. Erstmals widmet sich das Historische Archiv der Marktgemeinde in einer großen Sonderausstellung im Mai diesem Thema. Kulturreferent Daniel Steinhofer gewährte der VN-Heimat vorab einen Einblick in das Thema zu dem auch ein umfangreicher Begleitkatalog erscheint.
Gibt es neue Erkenntnisse in der Erforschung des Anschlusses 1938?
Es sind nicht unbedingt neue Erkenntnisse, die das Thema der diesjährigen Ausstellung des Historischen Archivs der Marktgemeinde Lustenau nahe gelegt haben. Die vergangenen Ausstellungen haben sich unter anderem mit dem Ersten Weltkrieg und den langen 50er-Jahren beschäftigt. Es hat aber noch nie eine Ausstellung über die Zeit des Nationalsozialismus gegeben und diese Zeit ist zudem in weiten Teilen nicht erforscht, daher diese Themenwahl.
Welche Ausstellungsobjekte werden gezeigt?
Es sollen passende Raritäten mit regionalem Bezug und einschlägige Artefakte gezeigt werden. Die Bevölkerung in Lustenau ist auch eingeladen, ihre persönlichen Sammelgegenstände für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Dazu kann man sich unkompliziert an das Historische Archiv wenden.
Gibt es bestimmte Institutionen bzw. Kooperationen die für das Projekt bereit stehen?
Unsere Historiker Wolfgang Scheffknecht, Vanessa Waibel und Oliver Heinzle haben für diese Ausstellung einen wissenschaftlichen Beirat zusammengestellt, dem auch die renommierten Historiker Thomas Albrich und Werner Bundschuh angehören. Darüber hinaus wird es ein spannendes Rahmenprogramm mit interessanten Vortragenden geben. Die diesjährige Archivexkursion wird uns zudem nach Nürnberg führen. Ein Höhepunkt wird auch ein Theaterstück von „Café Fuerte“ zum Thema sein.
Welche Leitfragen wollen Sie denn behandeln?
Es wurden verschiedene Themenbereiche für die Ausstellung festgelegt. Zunächst wird die Vorgeschichte, also quasi „Wie konnte der Nationalsozialismus derart aufkommen?“, beleuchtet. Wichtige Schwerpunkte werden aber auch Alltag, Ideologie und Krieg sowie die megalomanischen Visionen der lokalen NS-Größen sein. Die Nähe zur Schweizer Grenze und die Darstellung eines typischen NS-Jahresverlaufes werden ebenso dargestellt. Wesentlich erscheint mir auch die Erforschung der Organisationsstrukturen, war Lustenau eine „braune Hochburg“ oder wurde das von den Machthabern nur so dargestellt? Schließlich wird noch das Verhältnis der Vereine und der Kirche zu NSDAP beleuchtet.
Wie ist das Verhalten der damaligen Akteure zu bewerten?
Es ist einfach, mit dem heute bestehenden zeitlichen Abstand das Verhalten der Menschen damals zu kritisieren. Aber man muss sich auch in die Umstände der damaligen Zeit hineindenken. Neben überzeugten Nazis gab es wie überall im Dritten Reich auch Opportunisten. Es gab Menschen, die einfach Angst hatten – im Rheindorfer Kirchenchor sind quasi über Nacht 50 Mitglieder ausgetreten, die großteils keine fanatischen Regimeanhänger waren. Und es gab Menschen, die sich aus existentiellen Gründen mit dem Regime arrangierten. Dann gab es natürlich die unzähligen Opfer der NS-Diktatur. Das Verhalten der Menschen in dieser Zeit muss also individuell betrachtet werden.
Was sind die Lustenauer Besonderheiten im Nationalsozialismus?
Lustenau wird, neben Dornbirn, immer als „braune Hochburg“ bezeichnet. Jetzt ist es historische Tatsache, dass in Lustenau die konservativ-klerikalen und die liberal-großdeutschen Parteien einen ungewöhnlich harten Kampf führten und es auch wechselnde Mehrheiten gab. Ob diese Situation ein besonderer Nährboden für nationalsozialistisches Gedankengut war oder ob die „braune Hochburg“ nur Ergebnis einer gelungenen Propaganda war, wird sich in der Ausstellung zeigen.
Welche Rolle spielte die nahe Grenze zur neutralen Schweiz?
Die Lage Lustenaus an der Grenze zur Schweiz war in vielerlei Hinsicht eine besondere Situation. Einerseits war der Rhein eine stark frequentierte Flüchtlingsroute, deshalb gibt es bei der Ausstellung auch eine Kooperation mit dem Jüdischen Museum in Hohenems. Andererseits hatten viele Lustenauer ihren Arbeitsplatz in der Schweiz und nicht zuletzt sind noch heute 20 % des Lustenauer Gemeindegebietes im Eigentum der Schweiz. Ein Umstand, der in der Zeit des Nationalsozialismus, bei der Bewirtschaftung dieser Fläche von Bedeutung war.
Gab es auch Lichtblicke in dieser Zeit durch die katholische Kirche?
Das kirchliche Leben war wie überall sehr eingeschränkt, die Kirchenchöre wurden ebenso wie die Priester und Gläubigen drangsaliert. Pfarrer Dr. Gebhard Baldauf wurde etwa mit einem Gauverbot belegt und Kaplan Hugo Kleinbrod wurde inhaftiert und schließlich in den Kriegseinsatz geschickt. Es gab aber auch weitere Opfer, die aufgrund ihres christlichen Glaubens mit ihrem Leben gebüßt haben.
Stimmt der Eindruck, dass nur die wenigsten Täter später zur Rechenschaft gezogen wurden?
Die Entnazifizierung hat in der gleichen Mentalität stattgefunden wie in ganz Vorarlberg und ganz Österreich. Nach anfänglichem energischem Vorgehen stand im Laufe der Zeit die „Versöhnung“ im Vordergrund, nicht zuletzt auch aufgrund des Wählerpotentials der ehemaligen Nationalsozialisten.
Wird die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus in 50 Jahren noch diesen breiten Raum einnehmen?
Es geht bei der Auseinandersetzung mit historischen Themen immer darum, aus der Geschichte zu lernen. Daher glaube ich, dass die Beschäftigung mit historischen Themen und hier natürlich besonders auch mit der Zeit des Nationalsozialismus auch in 50 Jahren noch wichtig ist. Ob die Reichweite für solche Informationen dann noch gegeben ist, hängt davon ab, ob es uns gelingt, die Menschen für geschichtliche Themen zu interessieren. (BET)
Fakt-Box:
Ausstellungsort: Galerie Stephanie Hollenstein
Ausstellungseröffnung: 25.Mai 19:00 Uhr
Umfangreicher Begleitkatalog zum Thema
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