Ohne wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ist das heimische Gesundheitssystem in Gefahr. Davor warnte Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GesmbH, am Montag im Rahmen einer Pressekonferenz im Gesundheitsministerium. Sollten die Neuinfektionen und die effektive Reproduktionszahl nicht gedrückt und das Infektionsgeschehen nicht eingebremst werden, "wird unser Gesundheitssystem relativ rasch an seine Kapazitätsgrenzen stoßen", sagte Ostermann.
Binnen einer Woche - seit vergangenem Montag - war ein Anstieg um 62 Prozent bei den Covid-19-Patienten in den Spitälern zu verzeichnen. Auf den Intensivstationen machte das Plus sogar 78 Prozent aus. Diese Zahlen präsentierte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien.
Am Montag befanden sich bei 4.135 Neuinfektionen binnen eines Tages 2.161 Patienten im Spital, um 213 mehr als am Sonntag. 336 Patienten bedurften intensivmedizinischer Betreuung - ein Zuwachs um 45 Personen gegenüber dem Vortag. Sollte diese Entwicklung anhalten, könnte es im intensivmedizinischen Bereich kritisch werden, warnte Anschober mit Nachdruck. Sollte das nicht gelingen, "steuern wir auf eine erhebliche Krisensituation zu", meinte der Gesundheitsminister. Man müsse "alles tun, um die Trendwende ab Mitte November zu erreichen". Er gehe davon aus, "dass die Zahlen (was die Neuinfektionen betrifft, Anm.) in dieser Woche deutlich steigen werden."
Kollaritsch: Sozialkontakte "drastisch einschränken"
Der Infektiologe Herwig Kollaritsch, der auch der Corona-Taskforce von Gesundheitsminister Anschober angehört, appellierte an die Bevölkerung, die Sozialkontakte "drastisch einzuschränken". In der nunmehrigen epidemiologischen Lage gehe es darum, die effektive Reproduktionszahl - sie liegt aktuell bei 1,4, das heißt ein Infizierter steckt unter den aktuellen Bedingungen im Durchschnitt 1,4 Personen an - deutlich zu senken.
Kollaritsch veranschaulichte das mit konkreten Beispielen. Bei einer effektiven Reproduktionszahl von 0,9 reduzieren sich die Neuinfektionen binnen drei Monaten um 90, binnen sechs Monaten um 99 Prozent. Gelänge es, die effektive Reproduktionszahl auf 0,5 zu drücken, wäre eine Senkung der Neuinfektionen um 90 Prozent schon binnen zwei Wochen, eine Reduktion um 99 Prozent innerhalb von vier Wochen drinnen, erläuterte der Experte.
Impfstoff "kein Wunderding"
Von einem Impfstoff könne man sich keine Wunderdinge erwarten, dämpfte Kollaritsch die Hoffnung, ein solcher könnte die Pandemie zügig beenden. Nur mit einem transmissionsblockierenden Impfstoff, mit dem die Bevölkerung breit durchgeimpft wird, sei Herdenimmunität zu erreichen. Er rechnet damit, dass es im ersten Quartal 2021 einen oder mehrere Impfstoffe mit unterschiedlichen Baustrukturen und Eigenschaften geben wird, die gezielt eingesetzt werden können. Nicht für jedermann sei damit Impfschutz zu erzielen. "Wir sind schon glücklich, wenn wir damit 70 Prozent der Bevölkerung erreichen", meinte Kollaritsch.
Mund-Nasen-Schutz bleibt noch
Wichtig sei es daher, "auf Monate, vielleicht viele Monate" die Schutzmaßnahmen - das Tragen von Mund-Nasen-Schutz, das Beachten des Mindestabstands zum Nächsten und das Reduzieren von Sozialkontakten - beizubehalten. Das sei so lange ein Muss, "bis wir sagen können: Brand aus", betonte der Infektiologe.
Markstaller: Ressourcen sind endlich
Von hundert mit SARS-CoV-2-Infizierten benötigen laut Statistik fünf ein Spitalsbett, ein Patient muss intensivmedizinisch betreut werden. Die eklatante Zunahme von Neuinfektionen sei "ein Problem, wenn man bestmögliche Betreuung liefern möchte", gab Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), am Montag bei der Pressekonferenz im Gesundheitsministerium zu bedenken: "Die Ressourcen sind endlich".
Entwicklung muss unbedingt eingedämmt werden
Man werde in der Lage sein, "den sich jetzt abzeichnenden Peak ohne Triage" - die Behandlung von Patienten nach Dringlichkeit, wobei die Einstufung nach einer Begutachtung vorgenommen wird - zu bewältigen. Aber die "dynamische Entwicklung" des aktuellen Infektionsgeschehens müsse unbedingt eingedämmt werden, betonte Markstaller.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bekräftigte angesichts der jüngsten Zahlen und der Prognosen die Notwendigkeit einer "großen Notbremse". "Es wird Situationen geben, wo nicht jeder Patient die Behandlung bekommen wird, die in normalen Zeiten gewährleistet ist", sagte Anschober. In den Spitälern werde es in dieser Hinsicht aber vorerst "keine Problematik" geben. Die Versorgung aller Patienten sei garantiert.
Die Pressekonferenz im Liveticker
Es informierten im Livestream:
- Gesundheitsminister Rudi Anschober
- Prof. Dr. Herwig Kollaritsch
- Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann
- Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller
- Priv. Doz.in Dr.in Monika Redlberger-Fritz
(APA, VOL.AT)
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