Kultursektor Elektra vor dem Aus? Ruf nach kreativen Freiräumen wird immer lauter

Die pulsierende Clubkultur Berlins inspirierte Can Edremitoglu und Rene Giesinger, über den kulturellen Horizont von Vorarlberg hinaus zu denken. So entstand auch im ehemaligen Betriebsgelände in Bregenz Rieden ein Ort für Kunstfreiheit, der nun aber vor dem Aus stehen könnte.
Kultursektor Elektra als Katalysator
In einer Zeit, in der unsere Welt zunehmend von Einheitlichkeit und Standardisierung geprägt wird, erhebt sich in Vorarlberg damit eine Stimme für kulturelle Vielfalt und kreative Freiheit – die Freiraumkommission. Gegründet als Reaktion auf die aktuellen Herausforderungen im Kultursektor Elektra, sieht sich die Initiative als Wegbereiter für einen Wandel.

Das Herzstück ihrer Vision ist und bleibt der Kultursektor Elektra, die ehemalige Produktionsstätte von Elektra Bregenz im Stadtteil Rieden mit einer Fläche von 6500 Quadratmetern. Can Edremitoglu erinnert an die Anfänge: "Wir haben einfach gemerkt, dass es einen solchen Raum benötigt. Und dank Eigentümer Hubert Rhomberg entstand eine einzigartige Möglichkeit für junge Kunstschaffende, Kreative und Menschen, die über den Tellerrand hinausblicken."

"Wir haben das leer stehende Areal von der Firma Rhomberg Bau zur Zwischennutzung übernommen. Ohne klare Zielsetzung haben wir etwas erschaffen, das schnell zu einer großen Gemeinschaft heranwuchs", erzählt der gebürtige Deutsche. "In Berlin habe ich solche Freiräume kennen und lieben gelernt und sie in Vorarlberg vermisst. Wir machen das für die Gemeinschaft, aber auch für uns selbst."

Rene Giesinger, Mitbegründer der Initiative, fügt hinzu: "Wir brauchen Orte, an denen jenseits des Mainstreams Musik und Kultur stattfinden können. Orte wie der Kultursektor Elektra haben gezeigt, dass es essenziell ist, diese Räume zu schaffen. Diese Art von Freiräumen unterstützen Diversität, schaffen Schutzräume für marginalisierte Communitys, sorgen für Inklusion und Nachhaltigkeit.
Doch die Herausforderungen sind gewaltig. Seit fast einem Jahr sind die Türen geschlossen, um alle baurechtlichen Vorschriften zu erfüllen. "Wir kämpfen mit der Bürokratie, um Lagerräume in Veranstaltungsräume und Büroräume in Ateliers umzuwidmen. Die nächste Hürde ist der Brandschutz", erklärt Can. Doch trotz aller Hindernisse bleibt der Optimismus ungebrochen.

Elektra bietet eine Plattform, die die kulturelle Energie von Vorarlberg kanalisiert und transformiert. Rund 40 Kreative nutzen den geschaffenen Freiraum, die Nachfrage ist ungebrochen, stehen doch weitere 30 Interessenten auf einer Warteliste.

Bürokratische Hürden und die Mündigkeit der Gesellschaft
Strenge gesetzlichen Regelungen, auch für eine interimistische Nutzung, bereiten den Atelier-Nutzern und Kunstschaffenden Sorgenfalten, der weitere Betrieb des in Vorarlberg wohl einzigartigen Geländes steht auf der Kippe. Giesinger spricht die Schwierigkeiten an: "Die bürokratischen Anforderungen, wie das Erstellen von Grundrissen und Lageplänen, auch für eine zwischenzeitliche Nutzung, fühlen sich überwältigend an. Wir wollten einfach kreative Freiräume schaffen, stoßen aber auf rechtliche Barrieren".

Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht auch die Idee, Leerstände zugänglich zu machen. Can erklärt: "Es geht darum, diese ungenutzten Räume zugänglich zu machen, ein Kataster zu schaffen, das zeigt, welche Räume frei sind und wie sie von Künstlern und der Gemeinschaft genutzt werden können". Durch die Bespielung dieser Räume könnten sie eine lebendige Gemeinschaft von Künstlern und Kulturbegeisterten anziehen – und auch als Leuchtturm weit über die Landesgrenzen hinaus dienen.
Vorbilder Berlin, Holland oder Kanada
"Gesetzlich hat man in Vorarlberg kaum Möglichkeiten, baufällige oder in die Jahre gekommene Strukturen, die leer stehen, zu nutzen. Problematisch wird es beispielsweise bei Haftungsfragen, wenn es um Themen wie Brandschutz, Fluchtweg oder baufällige Objekte geht. Wir orientieren uns hier an Beispielen aus Berlin, Holland oder auch in Kanada. Hier wird vermehrt die Mündigkeit des Bürgers in den Mittelpunkt gerückt. Und die Haftungsfrage nicht auf den Eigentümer abgewälzt", informiert der kreative Kunstschaffende gegenüber VOL.AT. "Das Kulturamt Vorarlberg, die Stadt Bregenz und auch das Bauamt sind uns gut gewillt. Sie möchten uns keine Steine in den Weg legen, aber Gesetz ist Gesetz. Wir verstehen, dass Brandschutz etc. wichtig sind und wollen das auch gewährleisten, aber die Verfahrenswege dahin könnten erleichtert werden", zeigt sich der Kreative einsichtig.

Die Freiraumkommission blickt dabei auch über die Grenzen hinaus und lässt sich von internationalen Beispielen inspirieren. In Vancouver etwa hat ein Pilotprogramm kreative Freiräume in unkonventionellen Orten ermöglicht – von Industriehallen bis zu Parkplätzen. "Wir sehen, dass es möglich ist. Die Stadt Vancouver hat gezeigt, dass mit der richtigen Unterstützung Orte der Kreativität legal und sicher betrieben werden können", führt Rene weiter aus.

“Ein weiteres tolles Beispiel ist der neu entstandene Platz auf der hinteren Insel in Lindau. Unter der Adresse Tiersch 0 ist hier nach der Gartenlandschaftsschau 2021 ein großer Teil des verschönerten Seebereichs an den Verein 'Lindau move' übergeben worden. Neu entstanden sind dort ein Skatepark, oder ein Calesthenics- und Boulder-Bereich. Die Fläche wird vom Bund Naturschutz, DAV, Kultur & Musik – ohne Profit e.V. und anderen für Events und Partys genutzt”, fügt Rene hinzu.

Die Vision der Freiraumkommission ist es, ähnliche gesetzliche Rahmenbedingungen auch in Vorarlberg zu schaffen. "Wir wollen, dass Vorarlberg ein Vorbild wird, wie man im ländlichen Raum Angebote für Kreative schaffen kann", betont Can. "Orte, die junge Leute nicht nur davon abhalten wegzuziehen, sondern sie sogar anziehen."
"Es braucht solch unkonventionelle Orte mit schrägen Türen, Fenstern und Menschen, um unsere Fantasie anzuregen und zum Mitwirken inspirieren", erklärt er weiter. "Solche Orte, die uns an die Unbeschwertheit unserer Jugend erinnern und an denen Erinnerungen und Verbindungen entstehen, die man nicht missen will."

Giesinger unterstreicht außerdem die Bedeutung von Freiräumen und Kultur: "Freiräume bieten mehr als nur einen Ort für Veranstaltungen. Sie fördern die Kultur, die Sicherheit und die Gemeinschaft. Ein Club ist mehr als nur ein Ort zum Tanzen. Er ist eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die zusammenkommen, um gemeinsam zu erleben und zu lernen".

Freiräume und Kultur wichtiger denn je
Die Notwendigkeit, den Diskurs über Freiräume und Kultur in Vorarlberg zu führen, eint die beiden in ihrem Konzept der Freiraumkommission: "Wir führen einen Diskurs, um die Bedeutung von Freiräumen hervorzuheben und die Politik zu sensibilisieren."

Die Freiraumkommission und der Kultursektor Elektra sollen als Symbole für eine aufkeimende kulturelle Renaissance in Vorarlberg stehen. Die Möglichkeit der Untervermietung und die Renovierung von Leerstand durch junge Menschen hat neues Leben und neue Möglichkeiten in bisher ungenutzte Räume gebracht.

"Durch die Nutzung entsteht auch für die Eigentümer ein Mehrwert. Denn der Bestand könnte beispielsweise von jenen, die ihn nutzen, renoviert, saniert und auf Vordermann gebracht werden. Wenn denn die Behörden im Hinblick auf Haftungsfragen den Menschen ihre Mündigkeit zugestehen", appelliert die Freiraumkommission.

Durch die Überwindung rechtlicher und bürokratischer Hürden streben Edremitoglu und Giesinger danach, Vorarlberg zu einem pulsierenden Zentrum kreativer und kultureller Aktivitäten zu machen, das sowohl lokale als auch internationale Künstler anzieht und inspiriert.
Und beide hoffen auf Zuspruch, deswegen sind all jene, die sich mit diesem Konzept anfreunden können oder sogar Freiräume zur Verfügung stellen wollen, angehalten, sich bei der Freiraumkommission zu melden.

Die Freiraumkommission lädt alle ein, gemeinsam an dieser Vision zu arbeiten. "Wir können nicht erwarten, dass öffentliche Stellen ein Auge zudrücken, denn das dürfen sie nicht, auch wenn sie vielleicht gerne würden. Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern", informiert Can. "Lasst uns gemeinsam Orte des kultivierten Schabernacks schaffen, um eine Inspiration in und über Vorarlberg hinaus zu werden. Nehmt an unserer Umfrage teil und lasst uns gemeinsam eine Plattform schaffen, die unsere Ideen und Bedürfnisse in die Tat umsetzt und auf politischer Ebene Gehör findet.
Möglichkeit dazu hat man auf der kürzlich online gegangenen Plattform, die auch als Drehscheibe und Ort der Vernetzung dienen soll. Hier findet man alle Infos sowie eine Bedarfsumfrage.
(VOL.AT)
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