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„Kinder tragen einen Rucksack voller Hoffnung“

Jennifer Schacherl, Elisabeth Meusburger und Maureen Motwaro.
Jennifer Schacherl, Elisabeth Meusburger und Maureen Motwaro. ©Elke Kager-Meyer
Am 20. Juli ist Weltflüchtlingstag.

284 Kinder, die mit ihren Eltern vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Perspektivenlosigkeit aus ihrer früheren Heimat flüchten mussten, werden aktuell von Mitarbeiter*innen der Caritas-Flüchtlingshilfe bei ihrem Ankommen hier in Vorarlberg begleitet. Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni, ist ein Anlass, um mit Sozialpädagogin Maureen Motwaro, Sozialarbeiterin Jennifer Schacherl und Elisabeth Meusburger, der Stellenleiterin des „Haus Gaisbühel“, über ihre Arbeit speziell mit Kindern zu sprechen.

Wie geht es den Kindern geflüchteter Familien in Vorarlberg. Welchen „Rucksack“ an Erfahrungen und psychischen Belastungen bringen sie mit und was hilft ihnen?

Jennifer Schacherl: Jedes Kind – sei es nun ein Kind innerhalb der Betreuung der Caritas Flüchtlingshilfe oder der gesamten österreichischen Bevölkerung – bringt einen Rucksack gefüllt mit seinen eigenen positiven wie auch negativen Erfahrungen mit. Eine gelingende Verarbeitung der negativen Erfahrungen ohne weitere ausgeprägte psychische Belastungen sowie Auffälligkeiten davon zu tragen, hängt stark mit der Resilienz, also der psychischen Widerstandskraft zusammen.

Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es für Kinder hilfreich ist, wenn sie in einem verantwortungsbewussten Familiensystem eingebettet sind. Ein System, in dem die Eltern sich verantwortungsbewusst um ihre Kinder kümmern und die Kinder Kind sein dürfen, ihnen Schutz und Sicherheit bieten und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.

Maureen Motwaro: Den Kindern geht es hier gut. Kinder sind einfach Kinder, egal woher sie kommen. Mit ihrem unschuldigen Selbst sind die meisten von ihnen nicht in der Lage, das Wort `Geflüchteter´ zu definieren oder zu erklären, warum sie geflüchtet sind. Jede Person, egal ob klein oder groß, trägt einen Rucksack mit Positiv- oder auch Negativerfahrungen mit sich. Nach meinen Erfahrungen tragen diese Kinder einen Rucksack voller Hoffnung, Hoffnung für ein neues Leben, Hoffnung auf ein besseres Leben, Hoffnung auf einen Ort, den sie ihr Zuhause nennen können, Hoffnung ganz normal in die Schule gehen zu können, Hoffnung eine normale Kindheit wie alle andere zu erleben.

Was es für Kinder hier bei uns in Vorarlberg oftmals einfacher macht ein `normales´ Leben zu führen, ist die Tatsache, dass sie der generellen Schulpflicht unterliegen und somit, wie alle anderen Kinder auch, die Schule besuchen dürfen. Dieses Privileg bleibt den Erwachsenen mit Fluchthintergrund zunächst verwehrt. Sie haben mit offenen Asylstatus keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und werden somit von einem Großteil des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Kindern jedoch wird die Teilhabe an einem kindgerechten Leben in Österreich von Anfang an eröffnet.

Was bietet die Caritas speziell für Kinder an, um das Ankommen zu erleichtern?

Maureen Motwaro: Wir versuchen ihnen eine normale Kindheit zu ermöglichen, wofür wir aber vor allem die Eltern in die Verantwortung nehmen müssen. Darauf achten wir in unserer Betreuung besonders. Wir arbeiten eng mit Gesundheitsorganisationen und Sozialpartnern zusammen. Wenn das Kind also zum Beispiel Posttraumatische Belastungsstörungen hat, dann gibt es die Möglichkeiten einer Zuweisung ans AKS.

Elisabeth Meusburger: Da auch asylsuchende Kinder Zugang zu den Angeboten in der Soziallandschaft Vorarlbergs haben, haben wir keine speziellen Angebote für Kinder. Wir unterstützen die Eltern (und somit die Kinder) auf dem Weg zu diesen Angeboten. Zudem bieten wir sozialarbeiterische und psychotherapeutische Angebote für Erwachsene an. Dabei können Eltern gestärkt werden und somit ihren Kindern Unterstützung geben.

Stichwort Freiwilligenarbeit. Können diese spezielle „Brückenbauer“ bei der Integration sein? Und welche Rolle spielen Schulen/Vereine?

 Jennifer Schacherl: Freiwillige geben Orientierung und können wie Wegweiser innerhalb der österreichischen Werte, Normen, Verhaltensweisen und der Gesellschaft fungieren. Die Rolle der Schulen ist für mich wie bei jedem anderen Kind: eine engagierte Schule bzw. engagierte Lehrer*innen sind ein Geschenk für jedes Kind. Da erleben wir ganz Unterschiedliches. Ich bin überzeugt, dass die Kinder von jeder stabilen, positiven Beziehung in ihrem sozialen Umfeld profitieren. Sprachbarrieren und das Fehlen finanzieller Mittel sind oft eine Barriere im Vereinsleben. Nicht nur die Fluchterfahrung im Rucksack der Kinder, sondern auch soziale Ungleichheiten sind Barrieren bei der Integration.

Maureen Motwaro: Eine wichtige Rolle spielen auch die Sozialsprengel, da sie Kinder helfen, sich zu vernetzen und Anschluss in den Gemeinden zu finden. Jede Form der Unterstützung ganzer Familien kommt den Kindern zugute. Auch die Lerncafés der Caritas sind eine Unterstützung für die Kinder, die zu Hause manchmal fehlt. Freiwillig engagierte Menschen können Kindern und deren Familie ein Gefühl des Willkommenseins vermitteln.

Elisabeth Meusburger: Freiwillige haben in der Caritas als Freiwilligenorganisation eine tragende Rolle und lange Tradition. Sie können da Unterstützung bieten, wo Ressourcen fehlen. Neben der Funktion der Schule als Bildungsinstitution ist die soziale Funktion der Schule sehr wichtig. Aus Mitschüler*innen werden Freund*innen. Es ist von Vorteil, dass in Vorarlberg das Bewusstsein über die Bedeutung von Vereinen sehr hoch ist

 

Am 20. Juni ist „Weltflüchtlingstag“. Auch ein Tag, um speziell auf die Anliegen und Erfordernisse in der Flüchtlingsarbeit aufmerksam zu machen. Was wären die Wünsche?

 Elisabeth Meusburger: Gleichheit – ein Kind mit Fluchterfahrung soll genauso wie ein Kind, dessen Familie seit Generationen in Vorarlberg lebt, behandelt und betrachtet werden.

Balance – auch das Kind mit Fluchterfahrung braucht eine gute Balance zwischen Fördern und Fordern, zwischen Leistung erbringen und Zeit für Spiel und Spaß. Im Alltag geht es oft nur darum, wie schnell der Spracherwerb vorhanden ist und wo Nachholbedarf im schulischen Bereich ist. Recht auf Freude und Spaß – nicht das „arme Kind“ sein zu müssen sondern befreit lachen und spielen zu können.

Maureen Motwaro: Kinder brauchen einen Ort, den sie ihr Zuhause nennen können. Das heißt, sie benötigen einen Ort der Sicherheit und Beständigkeit. Die Grundversorgungsquartiere der Caritas sind meist nur ein Zuhause auf Zeit. Ich wünsche mir, dass bei Wohnortwechseln (ob gezwungenermaßen oder freiwillig) dem Kindeswohl höchste Priorität beigemessen werden kann.

Bildung und eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung sind für alle Kinder von hohem Wert und sollten es auch für die Gesellschaft sein. Ich wünsche mir, dass sich Eltern ihrer Verantwortung bewusst sind und dass es Rahmenbedingungen gibt, sie in ihrer Verantwortung zu stärken. Ich wünsche mir für sie, dass in Schulen und allen anderen Bildungseinrichtungen genügend Ressourcen bereitgestellt werden können, um ihnen die nötige Unterstützung zuteilwerden zu lassen

Und ich wünsche mir für die Kinder ein Leben ohne Gewalt und ohne Diskriminierung. Ich wünsche mir für sie eine offene Gesellschaft, die sie akzeptiert, egal welchen `Rucksack´ sie zu tragen haben. Ich wünsche ihnen Zukunftsaussichten und die Gewissheit, alles erreichen zu können, was sie sich vornehmen.

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