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"Jungfrau von Orleans": Frauenpower im Theater an der Wien

Die Jungfrau von Orleans im Theater an der Wien.
Die Jungfrau von Orleans im Theater an der Wien. ©Werner Kmetitsch
Ein neuer feministischer Blick auf Tschaikowskys "Jungfrau von Orleans" wird im Theater an der Wien geworfen. Erfolgreich, wie es scheint.
Die Jungfrau von Orleans

Es ist ein feministischer Blick auf einen nicht-feministischen Charakter, den das weibliche Leadingteam auf Peter Tschaikowskys “Jungfrau von Orleans” im Theater an der Wien (TAW) wirft. In der Deutung von Regisseurin Lotte de Beer wird Johanna bei der Premiere am Samstagabend Opfer patriarchaler Verhältnisse – da hilft alle Unterstützung von Margret Thatcher und den Pussy Riots nicht.

Feministische Vorbilder

De Beer, am Haus eine alte Bekannte, positioniert Johanna zunächst als rebellischen Teenager, der sich dem vom Vater aufoktroyierten Lebensentwurf der Hausfrau und Mutterschaft entzieht. Von der Designer-Landküche geht es in schnellen Wechseln ins klassische Jugendzimmer, in dem die Engel in Person der guten Geister der Frauenbewegung respektive als starke Frauenfiguren das Mädchen bestärken. Die Vogue-Madonna kommt hier ebenso zum Einsatz wie Marlene Dietrich oder eben die Pussy Riots.

Hier erfolgt allerdings der stilistische Bruch, changiert die Niederländerin De Beer in ihrer Inszenierung doch etwas ungelenk zwischen Aktualisierung des Stoffes in naturalistischem Ambiente, einer hohen Abstraktion des Bühnengeschehens und Ausflügen in die mittelalterliche Istzeit des Stückes. Ist Johannas Ursprungsexistenz noch in üppiger Ausstattung gezeichnet, ist das Schloss von König Karl VII. nurmehr abstrakter Raum aus Karteikästen, während Nitsch’sche Schüttbilder aus Menstruationsblut ein starkes Symbolbild für die Schuldempfindung der zu einem Mann hingezogenen Jungfrau bilden.

Feministin oder nicht Feministin?

Aber auch wenn es der Inszenierung bisweilen an Stringenz fehlt, gelingen De Beer und ihrem Ausstatterteam Clement & Sanou ein ganzes Kompendium an sich schnell abwechselnden Theaterräumen, die vom starken, mit Farbsymbolik arbeitenden Licht von Alessandro Carletti dominiert werden. Darin zerbricht sukzessive Johannas Versuch, sich den Rollenvorgaben der männerdominierten Gesellschaft zu entziehen, eine Abwärtsspirale, die sich nicht zuletzt durch ihr schlechtes Gewissen, durch die internalisierte inferiore Position befeuert. Johanna ist eben bei aller Stärke keine Feministin, sondern Opfer der von ihr letztlich inkorporierten Verhältnisse.

Diese Zerrissene verkörpert am TAW Barockexpertin Lena Belkina, die mit ihrem kräftigen doch nie dunklen Mezzo exakt in der ambivalenten Tonalität ihrer Figur zwischen Stärke und Schwäche bleibt. Im Theater an der Wien hat man sich klugerweise für die Mezzo-Fassung der 1881 uraufgeführten Oper entschieden – was nicht zuletzt der Urteilskraft der Grazer Chefdirigentin Oksana Lyniv zu verdanken sein dürfte, die mit einer kräftigen, verhältnismäßig unromantischen Interpretation der Tschaikowsky-Partitur durch die Symphoniker ihren fulminanten Einstand am Haus gab.

Stimmiger Abend

Ebenfalls erstmals am TAW hatte der legendäre Bassbariton Willard White als Johannas Vater seinen Einsatz, während das einstige Junge-Ensemble-Mitglied Kristjan Johannesson als Liebhaber Lionel seine gewonnene Reife unter Beweis stellte und Stammgast Daniel Schmutzhard als Dunois seinen steil nach oben zeigenden Weg als Bariton fortsetze.

Was bleibt ist ein umjubelter, ungeachtet einiger Inkongruenzen stimmiger Abend. In dieser Auslegung verwundert es, dass die auf den erfolgreichen “Eugen Onegin” folgende “Jungfrau von Orleans” nie dessen Popularität erreichen konnte. Diese Grande Opera a la russe weiß bei kluger Interpretation nämlich durchaus zu überzeugen.

(APA/red)

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