"Jetzt stehe ich nach so langer Zeit hier und bin wieder zu Tränen gerührt"
Anfang der Woche waren die Friedhöfe noch vorwiegend leer. Am Freitag wird Allerheiligen dann unzählige Angehörige ans Grab der Verstorbenen locken. Familie Wüsthoff aus Dornbirn wird dann nicht unter den Besuchern sein. "Wir gehen unter dem Jahr die ganze Zeit auf den Friedhof", erklären Margit und Axel Wüsthoff. Aktuell sind sie vermehrt am Friedhof St. Martin in Dornbirn anzutreffen - nicht ohne Anlass. Sie erzählen VOL.AT, warum.


Die zwei 72-Jährigen meiden diese "Show" am ersten November, wenn die meisten "verkleidet" auf den Friedhof strömen, um gesehen zu werden. Stattdessen treten die beiden lieber in der Zeit des Todestages vermehrt und regelmäßig mit dem verstorbenen Simon Wüsthoff am Grab in Beziehung, sprechen mit ihm und erinnern sich an ihn zurück.

Jährliche Erinnerung an das Unglück
"Ich bin wahnsinnig gern da und richte das Grab her. Dann habe ich immer das Gefühl, dass ich an den Tagen ganz besonders noch einmal mit ihm verbunden bin", so die Dornbirnerin. In dieser Zeit sei es immer wieder besonders traurig. Auch Axel Wüsthoff bestätigt dies. Der Berliner, der seine Frau im Urlaub in Salzburg kennengelernt hat, erinnert sich in bestimmten Situationen im Alltag immer wieder an seinen verstorbenen Sohn zurück.

Erinnerungen an das Unglück
Heute wäre Simon Wüsthoff bereits 41 Jahre alt. Auf den Bildern am Grab sieht man jedoch noch einen jungen Mann. Denn er war erst 25 Jahre alt, als er ums Leben kam. Inzwischen ist die Situation für die Hinterbliebenen zwar großteils leichter geworden, etwas hat sich aber nicht verändert: "In den Tagen (Anmerkung der Redaktion: in der Zeit des Todestages) ist alles wieder wahnsinnig nahe. In dieser Zeit erinnern wir uns immer an das Unglück und wie es war."

Unfall auf dem Heimweg
Doch was ist passiert? Die nun 72-jährige erinnert sich noch "ganz genau" an den Moment, als sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hat. Zuvor hatte sie noch mit ihm in der Nacht nach dem Besuch des Fußballmatches von SCR Altach gegen SC Austria Lustenau telefoniert. Sie hat mit ihm besprochen, dass sie sich am nächsten Tag in der Kirche treffen würden. "Er war so glücklich und toll", erzählt sie mit einem Lächeln im Gesicht.

Wut und Trauer
Nach dem Match feierte er dann noch in Dornbirn in den Geburtstag eines Freundes hinein. Später wurde Margit Wüsthoff um vier Uhr in der Nacht durch die Polizei geweckt. Erst hinterfragte sie noch, ob der Anruf wirklich ihr galt. Als die Polizei dies bestätigte, hatte sie 100.000 Gedanken im Kopf, bis sie schließlich über den Unfall aufgeklärt wurde.
Zu Beginn folgte neben der Trauer auch die Wut, weil der Unfall vermeidbar gewesen wäre, wie Axel Wüsthoff überzeugt ist. "Er war unnötig", so der gebürtige Berliner. Ihr Sohn war von einem Nachtklub auf den Zuggleisen nach Hause spaziert, als ihn ein verspäteter Zug erfasste, der laut ihm "gar nicht mehr hätte fahren sollen". Simon Wüsthoff sei wohl alkoholisiert gewesen und es sei ganz klar ein Unfall gewesen, sind sich seine Eltern sicher.

"Wieder zu Tränen gerührt"
"Jetzt stehe ich nach so langer Zeit hier und bin wieder zu Tränen gerührt", sagt seine Mutter Margit Wüsthoff, während ihr einzelne Tränen über die Wangen kullern. Kurz zuvor hatte sie noch strahlende Augen, als sie VOL.AT von ihrem verstorbenen Sohn und den tollen gemeinsamen Erlebnissen mit ihm erzählt hat. Wichtig ist für sie jedoch, dass sie miteinander gelebt haben, hebt sie hervor.

Jährliche Kerzen am Todestag
Das Grab von Simon Wüsthoff ist auch noch nach derart langer Zeit jährlich am Todestag am 25. Oktober mit beklebten Kerzen geschmückt. Fünfzehn weiße Rosen erinnern an seinen 15. Todestag vergangene Woche. Dass immer noch so viele Freunde Simon mit Kerzen ihre "Treue" zeigen, gibt den zwei 72-Jährigen besonderen Trost und ein "wohltuendes Gefühl".

Fan mit ganzem Herzen
Auch heute noch wird der Vater auf Fußballmatches auf den verstorbenen Sohn angesprochen. Die Vorliebe für Fußball liegt in der Familie. Der damals 25-Jährige war Mitglied des "Union Nord"-Fanclubs von Austria Lustenau. Selbst am Feld war er höchstens mal mit Freunden für den Spaß, hat aber nie im Verein gespielt. Ihm sei es vor allem um die positive Unterstützung des Vereins gegangen. Er sei ein friedlicher "Ultra" gewesen. Seine grafischen Gestaltungen für den Fanclub schmücken noch heute die Kerzen auf seinem Grab – seine Zeichnungen leben somit immer noch weiter.
"Ich habe Simon wahnsinnig geschätzt für seine Kreativität und dafür, was er gemacht hat. Er hat unheimlich schön zeichnen können und hat da Stunden über Stunden investiert", erzählt die 72-Jährige über den Einsatz seines Sohnes für den Fanclub. Darüber hinaus habe sie seine reflektierte, tiefsinnige Art und seine Fähigkeit zu kommunizieren geschätzt. Eines hat er als einziger der vier Geschwister damals schon mit ihr thematisiert: den Tod. Er hatte sie am Schluss nach dem Zeitpunkt gefragt. Ihre Antwort war: "Wenn man den Auftrag erfüllt hat." Und diesen hätte er wohl dann erfüllt gehabt.
(VOL.AT)
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