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Interview Karl Stoss: "Haben viel weitergebracht, viel vor"

ÖOC-Präsident über die "Agenda 2020"
ÖOC-Präsident über die "Agenda 2020" ©APA
Die olympische Welt steht im Wandel. Vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) wurde der "Agenda 2020" einstimmig zugestimmt. Karl Stoss sieht das Österreichische Olympische Komitee (ÖOC), dem er als Präsident vorsteht, in internationalen Fragen in einer aktiven Rolle.

Dazu wie auch zu nationalen Sportfragen nahm der 58-Jährige im Gespräch mit der APA – Austria Presse Agentur Stellung.

 APA: Herr Stoss, es ist noch rund ein Monat bis zu einem organisatorischen Großereignis für das ÖOC – das Europäische Olympische Jugendfestival ab 25. Jänner in Vorarlberg und Liechtenstein. Wie läuft die Vorbereitung, und wie bedeutend ist dieses Ereignis für das ÖOC?

Karl Stoss: “Das ÖOC ist zuerst einmal sehr stolz darauf, dass wir wieder ein Veranstalterland sein dürfen – eine olympische Veranstaltung länderübergreifend, das ist eigentlich eine Weltpremiere. Die Vorbereitungen sind soweit abgeschlossen. Was noch fehlt, ist der Schnee. Wir sind aber sehr zuversichtlich. Wenn es kühl genug ist, kann man noch einiges beschneien.”

APA: Wie wichtig ist so ein Großereignis in einem Sportlerleben, inwieweit kann das ÖOC für die weitere Karriere unterstützen?

Stoss: “Es ist schon sehr wichtig, weil es ja eine Großveranstaltung ist. Etwa 950 Aktive, 15- bis 18-Jährige – da beginnt eigentlich erst der Karriereweg. Es haben einige große österreichische Sportler und Sportlerinnen diesen Weg beschritten, wie Anna Fenninger, Kathrin Zettel oder Dominik Landertinger. Es ist wichtig, einmal in die olympische Luft hineinzuschnuppern, sich mit den Gleichaltrigen aus 46 europäischen Nationen zu messen. Das ist die erste Nagelprobe.”

APA: Haben Sie für das österreichische Team ein Medaillenziel?

Stoss: “Das ist eher im Hintergrund. Es gibt auch keinen offiziellen Medaillenspiegel, das will man eher verhindern. Aber nichtsdestotrotz hat man natürlich gewisse Hoffnungen, dass es Gold, Silber und Bronze gibt. Das bewegt sich in der Größenordnung fünf bis elf Medaillen. Ich bin sehr zuversichtlich, da wir einige exzellente jugendliche Talente haben, die fast ausschließlich aus dem ÖSV herauskommen.”

APA: Im Internationalen Olympischen Komitee hat es vor zwei Wochen den einstimmigen Beschluss der 40 Punkte der “Agenda 2020” gegeben. Welche dieser Punkte sind für Sie die wichtigsten?

Stoss: “Ich finde es sehr erstaunlich, dass alle Punkte einstimmig und eigentlich sehr rasch über die Bühne gegangen sind. Natürlich bekommt man die Unterlagen vorher und diskutiert auch vorher. Man hat sich mehrmals getroffen, etwa bei der Generalversammlung aller Nationalen Olympischen Komitees und der Generalversammlung des Europäischen Olympischen Komitees. Ganz wichtig finde ich, dass das IOC damit signalisiert, wir haben die Zeichen der Zeit erkannt. Wir müssen uns ändern, wir müssen mit der Zeit gehen. Es müssen wieder Spiele werden, die greifbarer sind, die näher sind bei den Fans, bei den Kunden sozusagen, weil das alles einen Gigantomanismus angenommen hat. Das wird jetzt beschränkt. Weiter ist es, glaube ich, sehr vernünftig, darüber nachzudenken, länder- und städteübergreifende Bewerbungen zuzulassen. Weil dann ist die Last auch etwas besser verteilt.”

APA: Ist diese länderübergreifende Möglichkeit auch eine neue Chance für Österreich, bei Olympischen Spielen einzelne Sportarten auszutragen?

Stoss: “Wir machen jetzt einmal den Vorritt mit den Europäischen Olympischen Jugendspielen, mit Vorarlberg und Liechtenstein. Das ist natürlich eine kleine Dimension, aber eine Region, die auch mentalitätsmäßig zusammenpasst. Eine Chance ist immer da, aber es braucht zuerst den politischen Willen und den Willen der Bevölkerung, das auch tatsächlich zuzulassen. Aber man könnte da verschiedene Gedankenspiele machen. Es könnte eine Region Kitzbühel mit Salzburg etwas machen, eine mit Innsbruck, Seefeld und Garmisch, eine mit Innsbruck, Seefeld, Kitzbühel mit Südtirol oder Trentino, eine mit Kärnten mit Slowenien oder Kroatien. Und wenn ich an den Sommersport denke, da braucht es natürlich bei uns noch massive Anstrengungen in die Infrastruktur, die wir nicht haben. Da könnten wir nur kleinere Teile abdecken, wie zum Beispiel Mountainbike, weil wir das Gelände dazu haben. Wildwasserkanal haben wir auch einen sehr schönen. Aber dann wird es schon relativ dünn. Aber hier Spiele mit Bratislava und Budapest zum Beispiel wäre sicherlich ein Hit.”

APA: Ein Olympia-TV-Kanal soll kommen. Ist das eine Chance für die kleineren olympischen Sportarten, mehr Öffentlichkeitswirksamkeit zu bekommen?

Stoss: “Da muss ich gestehen, da bin ich eher ein bisschen skeptisch. Weil den Zugang zu den Konsumenten hat ja nicht dieser TV-Kanal, sondern die großen Fernsehstationen oder die EBU beispielsweise in Europa. Es ist immer eine Chance, so wie bei ORF Sport +, dass man Randsportarten mehr in den Vordergrund bringt. Man könnte auch neuere Sportarten wie für Rio, wo ja Rugby als neuer Wettbewerb kommt, und Golf, auch dem Allgemein-Publikum etwas näher bringen. Das wird sicherlich stattfinden mit diesem Kanal.”

APA: IOC-Präsident Thomas Bach ist gut 15 Monate im Amt. Wie sieht die Zusammenarbeit mit ihm aus Ihrer Sicht aus?

Stoss: “Da gibt es natürlich einen sehr offenen, freundschaftlichen Zugang, weil wir auch dieselbe Sprache sprechen. Ich empfinde und sehe ihn als einen sehr Initiativen, der auch sagt, ‘Jetzt habe ich die Chance. Ich bin zwar für acht Jahre gewählt. Aber wenn ich Reformen will, dann muss ich sie jetzt angehen.’ Denn alles andere ist nicht glaubwürdig. Wenn er nach sechs Jahren draufkommt, jetzt könnte ich auch etwas ändern. Er macht es sehr geschickt. Nicht im Sinne, ich möchte alles ändern, was meine Vorgänger anders gemacht haben, sondern folgend auf die Entwicklungen der Zeit und auf die Erfordernisse aus der Gesellschaft heraus. Er geht offen auf Verbände zu, er geht offen auf Nationale Olympische Komitees zu. Er hat mich jetzt auch eingeladen, gleich nach Weihnachten zu ihm nach Lausanne zu kommen, um das ein oder andere Thema zu diskutieren. Das gab es früher nicht. Und von daher muss ich sagen, gut, also passt wunderbar.”

APA: Österreich hat nach dem Ausscheiden von Leo Wallner derzeit kein IOC-Mitglied. Wie wichtig wäre es, dass Österreich wieder vertreten ist. Inwieweit können Sie bzw. das ÖOC darauf Einfluss nehmen?

Stoss: “Es gibt keinen Automatismus das Land betreffend in der Nachfolge. Aber ich kämpfe sehr dafür, dass eine so bedeutende Wintersportnation wie Österreich auch weiterhin im IOC vertreten ist. Weil sonst ist die Tendenz schon da, dass mehr und mehr aus dem Mittleren Osten oder aus dem Fernen Osten in das Gremium kommen, die vielleicht relativ wenig an Schwerpunkten im Wintersport haben. Und da müssen die Europäer verdammt aufpassen, weil es für Gesamt-Europa doch sehr, sehr wichtig ist. Man kann nur indirekt Einfluss nehmen, ich schon gar nicht. Ich kann nur mein Anliegen schildern, das wurde getan. Es haben auch einige Olympiasieger aus Österreich einen Brief an Bach geschrieben und gebeten, dass er bitte darauf achtet, dass Österreich auch in Hinkunft wieder vertreten sein sollte. In Kuala Lumpur Ende Juli/Anfang August 2015 wird es die erste offizielle Möglichkeit geben, weil da gibt es Wahlen in das Gremium hinein. Und da wird man sehen, in welche Richtung sich das entwickelt.”

APA: Wir stehen vor einem vorolympischen Jahr. Es wurde in Österreich ein Förder-Kader für die Sommerspiele in Rio 2016 eingeführt. Werden sich die medaillenlose Spiele von London 2012 also nicht wiederholen?

Stoss: “Medaillen sind auch zu einem guten Teil natürlich auch eine Glücksangelegenheit, weil es um Hundertstel, Zehntel und Windverhältnisse oder was auch immer geht. Aber es ist nicht nur das Glück, es ist auch der Fleiß. Und wir haben jetzt wirklich einige ganz großartige tolle Sportler. Da würde ich absolut Segeln, Judo oder andere Sportarten dazuzählen. Und ich finde, die Entwicklung des Rio-Kaders 2016 ist eine sehr, sehr gute, und ich sehe auch zum ersten Mal das ehrliche Bemühen von allen, hier einen Schulterschluss zu schaffen, das Geld zusammenzulegen und jene Sportarten besonders zu unterstützen, wo wir uns Medaillenchancen erwarten. Also nicht mehr mit der Gießkanne verteilen, sondern bewusst fördern, und entsprechend so zu fördern, dass diejenigen, die diese Förderung bekommen, auch genügend Zeit haben für Trainingseinheiten nicht nur im In-, sondern auch im Ausland. Wir unterstützen auch sehr viel bei der Infrastruktur. Da können wir einen Beitrag leisten, das Sportministerium leistet einen exzellenten Beitrag und die Zusammenarbeit ist wirklich toll. Wir haben noch rund 600 Tage, das ist noch lang, da kann noch viel passieren. Aber es zeigt in die richtige Richtung, und von daher bin ich zuversichtlich.”

APA: Wie weit ist das ÖOC sonst in seinen Vorbereitungen auf die Sommerspiele in Rio?

Stoss: “Es gab schon ein Chef-de-Mission-Meeting in Rio de Janeiro, als Sportstätten angesehen wurden. Mein Generalsekretär war schon mehrfach in Rio de Janeiro, um das Thema Österreich-Haus abzuklären. Das ist ganz schwierig, weil es irrsinnig teuer ist, unvorstellbar teuer. Aber nichtsdestotrotz, hier versuchen wir zuerst einmal einen geeigneten Standort zu finden, der eine entsprechende Frequenz garantiert und nicht allzu weit weg von den Sportstätten ist. Weil es ist ja Sinn und Zweck, dass wir all jene einsammeln, die auch die Olympischen Spiele besuchen. Wenn wir einmal einen Platz haben, und es zeichnet sich ein sehr guter ab – mehr kann ich dazu im Moment leider noch nicht sagen -, werden wir hier in Österreich die Arbeit intensivieren und sagen, wer geht mit uns diesen Weg, wer kann uns hier unterstützen? Ist das die Österreich-Werbung, ist das wieder eine Bundesland-Werbung so wie wir das hatten? Wir werden starke Sponsoren brauchen, sonst können wir uns das nicht leisten. Aber auch da bin ich zuversichtlich, weil das ist doch die meistgesehene Sportsendung der Welt. Das sind die Olympischen Sommerspiele. Und da kann man sich auch entsprechend ins Rampenlicht rücken. Und von daher sollten wir auch diesen Schritt wagen und gehen.”

APA: Die TV-Dokumentation “Geheimsache Doping” sorgt für große Diskussionen. Hier sind Funktionäre ebenso in der Kritik wie etwa beim Fußball-Weltverband FIFA. Wie stehen Sie dazu?

Stoss: “Ich habe die Dokumentation nicht gesehen. Ich habe es nur in der Zeitung gelesen und natürlich verschiedene IOC-Berichte und -Aussendungen. Ich finde das besonders tragisch und problematisch für den Sport insgesamt – egal, welche Sportart es ist. Das ist immer sehr nachteilig. Denn es gibt immer viele Stimmen, die sagen, ich habe es immer schon gewusst oder es ist gar nicht möglich, dass man solche Leistungen ohne Doping erringen kann. Und das haut alle in denselben Topf, nämlich auch die Ehrlichen. Da ist das Problem, dass die Dopingsünder heute ein, zwei Schritte vor den Dopingkontrolleuren sind und von daher erst im Nachhinein die Aufdeckung stattfinden kann. Was problematisch ist, ist auch das mit den Medaillenrängen und Medaillenvergaben. Und was die Vergabeprinzipien und -kriterien betrifft: Ja, auch das Thema Ethik wird halt noch viel stärker in den Vordergrund rücken müssen. Das Thema Compliance wird sicherlich auch ein ganz ein wichtiges werden. Was heute im Unternehmerleben völlig normal ist, wird leider aufgrund dieser Ereignisse auch mehr und mehr im Sport Einzug halten müssen.”

APA: Sie haben im Herbst das fünfte Jahr Ihrer ÖOC-Präsidentschaft vollendet. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz, wie sehen Ihre Pläne aus?

Stoss: “Es war für mich eine ganz wunderbare, eine tolle Aufgabe. Ich habe ein tolles Präsidium, einen wirklich gut funktionierenden Vorstand im ÖOC, die alle mitziehen. Wir haben auch eine kleine Mannschaft, aber eine sehr gut funktionierende im ÖOC mit dem hauptamtlichen Generalsekretär und den Mitarbeitern. Von daher macht mir diese Arbeit, obwohl sie ehrenamtlich ist, auch sehr viel Freude – trotz meiner sonstigen beruflichen Belastung. Wir haben viel weitergebracht, finde ich, wenn ich einmal an die Aufräumarbeiten denke, die sehr unangenehm waren, die auch persönlich sehr belastend waren. Und wir haben noch sehr viel vor, wenn ich das Thema Olympiazentren nehme. Wir möchten die Olympiazentren zu wirklichen Stützpunkten ausbauen und hier für den Spitzensport Einheiten bilden, die in der Sportwissenschaft, in der Sportmedizin, in der Ernährungswissenschaft, in der Physiologie, in der Psychiatrie unterstützend sind. Denn nur so kann ein Sportler Erfolge haben – neben seinem Können, Talent und Willen, das er an den Tag legen muss. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man über diese Institutionen auch noch viel stärker die Universitäten versucht mit einzubinden, weil das ist auch ein wichtiger Aspekt – Karriere danach. Wenn Sportler und Sportlerinnen aufhören, stehen sie meistens vor dem Nichts. Deshalb muss man schauen, dass man hier schon begleitend Programme anbietet, die auf einen Kalender eines Spitzensportlers Rücksicht nehmen. Das kann man heute im normalen Vorlesungsleben eigentlich nicht. Da sind wir schon dran, darüber nachzudenken. Zum Beispiel mit dem früheren Wissenschaftsminister (Karlheinz) Töchterle haben wir eine kleine Arbeitsgruppe eingerichtet, auch mit Vertretern aus Olympiazentren und dem ÖOC darüber nachzudenken, was können wir hier noch an weiteren Dienstleistungen anbieten. Da sehe ich eigentlich einen ganz wichtigen Aspekt für uns, und natürlich ansonsten haben wir im nächsten Jahr ein sehr herausforderndes, weil wir drei olympische Veranstaltungen haben – eben zweimal Europäische Olympische Jugendspiele, Sommer und Winter – einmal bei uns, einmal in Tiflis – und dann die ersten Europäischen Spiele, die European Games in Baku. Das ist eine weitere Herausforderung für uns, sowohl zeitlich als auch finanziell und organisatorisch. Und dann gehen wir schon in ein entscheidendes Jahr, 2016, die zweiten Youth Olympic Games in Lillehammer und die Spiele in Rio de Janeiro und dann wird die Generalversammlung Neuwahlen machen.”

APA: Wie denken Sie, werden die Europaspiele ankommen – hinsichtlich der Terminfrage, und manche Sportarten sind ja nicht mit den Top-, sondern Nachwuchs-Athleten vertreten?

Stoss: “Es ist jetzt für den Start okay, aber das kann sicher nicht die endgültige Lösung sein. Weil ich es sehr schade finde, es sollten die Besten der Besten aus Europa antreten. Dass das alles relativ kurzfristig eigentlich eingeplant wurde, das hängt damit zusammen. Und man muss sich natürlich kritisch die Frage stellen, wie viel Olympia verträgt es wirklich? Führt das nicht zu einer Inflationierung all dieser Veranstaltungen? Weil damit kann man eine Marke auch zum Teil beschädigen, das sollte auch nicht sein. Von daher sollte man sehr behutsam umgehen. Daher haben sich jetzt wir als Vertreter der Olympischen Komitees Europas entschlossen, das jetzt einmal nur im Sommer aufzusetzen. Man hätte ja im Winter auch beginnen können. Das wäre eigentlich prädestinierter gewesen für Europa. Aber nichtsdestotrotz, das ist jetzt einmal ein Start. Schauen wir es uns an, wie es angenommen wird, und schauen wir uns die nächsten Entwicklungen an, wer sich bewirbt, wer hier antritt, wo es stattfindet, wie die Formate ausschauen, welche Sportarten zugelassen werden. Das könnte noch recht spannend werden.”

(Das Gespräch führte Thomas Blaschke/APA).

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