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"Ich bin in Kontakt mit einer Schwarzföhre"

Matthias Strolz im Interview.
Matthias Strolz im Interview. ©Wann&Wo/Küng
Seit seinem Rückzug 2018 aus der Politik ist ­Matthias Strolz vor allem als Bestsellerautor aktiv. Mit WANN & WO sprach der Mitgründer der NEOS über verrückte Zeiten, österreichische Politik, warum sein Herz für Wien und Vorarlberg gleichermaßen schlägt und warum er nun mit Bäumen redet.

Von Harald Küng/Wann & Wo

WANN & WO: Herr Strolz, mal so zum warm werden: Wie ­verrückt sind die Zeiten, in denen wir uns aktuell bewegen?

Matthias Strolz: Ziemlich verrückt. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Es werden nämlich täglich Dinge verrückt, die wir für normal und selbstverständlich gehalten haben. Frieden in Europa zum Beispiel. Dieser wurde zu einer ganz tragischen Tatsache hin verrückt. Auch der Umstand, dass wir Milliarden Menschen aufgrund eines Virus einfach mal so über Nacht kasernieren müssen, war eigentlich undenkbar. Aber das Leben hat uns eines Besseren belehrt. Und so geht es munter weiter. Die Dichte an Überraschungen, Bedrohungen und Ängsten ist immens und war seit dem Zweiten Weltkrieg nie mehr so groß. Gleichzeitig ist es aber so, dass Irritation die Mutter der Innovation ist. Es wird sehr viel Neues aufstehen und da wird auch sehr viel Gutes dabei sein. Als Kind der Zuversicht bin ich von diesem Glauben nicht abzubringen.

WANN & WO: Bleiben wir bei ­verrückten Dingen. Ihr Blick auf die österreichische Politik?

Matthias Strolz: Österreich ist in einer schwierigen Phase, nämlich in einem Totalumbau des Systems. Wir kommen aus einem rot-schwarzen Machtkartell, das für 50, 60 Jahre als Betriebssystem dieser Republik gedient hat. Wir haben ihm viel zu verdanken, aber es ist nicht mehr vital. Das Alte stirbt, das Neue ist allerdings noch nicht da. Im besten aller Fälle ist das neue Normal eine stinknormale, langweilige Demokratie westlichen Zuschnitts. Die hatten wir nämlich in Österreich noch nicht. Ein Szenario haben wir jedenfalls abgewendet: Dass wir Ungarn als autoritären Staat überholen. Das hätte uns durchaus passieren können. Insofern dürfen wir gar nicht so unzufrieden sein mit den Dingen. Österreich hat als Land einige pubertäre Schübe und die sind bekanntlich nicht immer einfach: Da zwickt’s mal und da reibt’s mal, manchmal ist’s beklemmend, ab und zu beschämend. Und ab und zu ist man übereuphorisch und hält sich für den Nabel der Welt. Und da sind wir mittendrin. Hoffen wir, dass am Ende etwas Ordentliches herausreift.

WANN & WO: Sie haben 2018 ihre alte Heimat, das Klostertal, auf dem Album „Lost in Space“ musikalisch abgefeiert. Sie leben aber weiterhin in Wien. Warum?

Matthias Strolz: Ich liebe Wien, ich liebe Vorarlberg. Ich liebe Europa, den Planeten und die Milchstraße finde ich auch cool. Wenn man so will, bin ich heimatlich polyamourös (lacht). Aber Wien ist noch immer der richtige Platz für mich. Meine Frau ist Salzburgerin, bei ihr erwacht immer mehr der Wunsch, in die Berge zurückzukehren. Es könnte also in den nächsten Jahren schon auch wieder westwärts gehen. Unsere Kinder besuchen in Wien die Schule und wollen auch in der Stadt bleiben. Und als „Politschädel“ ist mir die Bundeshauptstadt schon sehr nahe. Wobei: „Vorarlberg kann’s oh“, wie sich zuletzt gezeigt hat. Hier geht’s politisch schon auch ordentlich ab. Ich bin aber ja auch regelmäßig im Ländle und das Klostertal steckt tief in mir in jeder einzelnen Zelle. Darauf bin ich auch stolz. An und für sich ist so eine Vorarlberger Grundausstattung schon etwas, wo man sagen kann: Danke, das nehm ich. (grinst)

WANN & WO: Sie bezeichneten sich gerade als „Politschädel“, ganz loslassen können Sie die Politik wohl nicht. Geht Ihnen die politische Arbeit ab?

Matthias Strolz: Nein. Ich bin als Unternehmer, Vater und Autor gut beschäftigt. Ich bin aktuell mit meinem neuen Buch „Gespräche mit einem Baum“ auf Tour und bringe meine Botschaften auf diesem Weg unter die Leute. Zudem wurde mein Leben während meiner politischen Laufbahn sieben Jahre lang von meinem Outlook-Kalender bestimmt. Ich habe die Politik geliebt, habe diese Liebe aber für die Familie zurückgestellt. Es ist sieben Jahre lang gut gegangen, aber irgendwann waren meine Nerven ausgefranst. Für mich stand aber fest: Wenn ich die Politik zugunsten meiner Familie und Ehe zurückstelle, will ich diese neue Freiheit auch spüren. Ich will meinen Kalender in diesen Jahren nicht völlig abgeben, sodass mich andere zubuchen können, sondern gebe begrenzte Flächen an meine Büroleitung, den Rest beackere ich selbst. Es macht mir dann große Freude, wenn ich sehe, dass ich im Jänner drei Wochen frei habe. Da haue ich dann ab. Ich mache jedes Jahr eine Reise mit mir selbst: Indien, Vietnam, Tansania, heuer war ich in der Dominikanischen Republik. Es taugt mir, in Mumbai zu sitzen und einen Tag lang der einzige Weiße in einem Viertel dieser Millionenstadt zu sein. Das ist abgefahren für mich. Da bin ich wie ein achtjähriger „Schülerbuab“, der mit großen Augen alles aufsaugt und auskundschaftet. Andere Länder und Kulturen zu studieren und in sie einzutauchen, ist auch ein Stück weit der Rohstoff für meine kreative Arbeit als Autor und Unternehmer.

WANN & WO: Sie haben bereits Ihr neues Buch „Gespräche mit einem Baum“ erwähnt. Wie kam es dazu?

Matthias Strolz: Ich bin seit Jahren in Kontakt mit einer Schwarzföhre, einem wahren Prachtexemplar am Rande des Wienerwalds. Natürlich höre ich die Föhre nicht so wie meine Nachbarin, das wäre in der Tat bedenklich. Aber es ist auch kein Selbstgespräch. Da erhebt sich eine Persona in mir, ich weiß nicht, wo das herkommt. Immer wieder kommen Leute zu mir, die sagen: Was ist das denn für ein komischer Typ? Jetzt redet er mit Bäumen, nun hat’s ihm völlig die Sicherungen rausgehaut. Aber ich bin im Austausch mit der Föhre und kann jederzeit eine Verbindung zu ihr herstellen. Ähnlich der Verbindung zu meinem verstorbenen Papa. Kinder können in großer Selbstverständlichkeit mit Bäumen reden, da sagt niemand etwas. Nur Erwachsene halten das für deppert. Man kann schon sagen: Jaja, diese „Bäumeumarmer“. Hier möchte ich aber vermerken: Es hat noch niemandem wehgetan und es hat schon vielen geholfen. Also raus, ran an die Bäume. (lacht)

Wann&Wo/Küng

WANN & WO: Zu welchem Ergebnis sind Sie bei Ihren Unterhaltungen gekommen?

Matthias Strolz: Dass der Mensch sich als Teil der Natur begreifen muss. In dem Moment, in dem wir uns über die Natur stellen, gibt uns das offenbar die Freiheit, sie in unglaublichster Form zu vergewaltigen. Wenn es uns aber in Fleisch und Blut übergeht, dass wir Teil der Natur, Teil unseres Planeten Mutter Erde sind, dann gibt es keinen Turbokapitalismus mit Kinderarbeit, keine Panzerkriege und keine Schändung von Umwelt und Mitmensch mehr. Dem sollten wir näherkommen. Schritt für Schritt. Das wäre mein Wunsch.

Kurz gefragt

Was macht Sie wahnsinnig?
Wenn mein Computer nicht funktioniert. Das macht mich wahnsinnig. Und zwar innerhalb kürzester Zeit.

Worüber freuen Sie sich so richtig?
Ich esse sehr gern, was aber natürlich zu Herausforderungen für meine Leibesweite führt. Aber schwarze Pullis helfen. (lacht) Und die Schönheit und Anmut der Natur: die Frühlingsblumen, ein Baum, die Sterne …

Sie haben 2018 das Album „Lost in Space“ veröffentlicht. Steht musikalisch ein weiteres Projekt an?
Ich bin tatsächlich nächste Woche für zwei Tage auf Einladung eines jungen Wiener Singer/Songwriters im Studio. Ich habe aber null Ahnung, was wir da machen, oder ob ich auch nur im Ansatz zu irgendwas zu gebrauchen bin. Aber ich freue mich darauf.

Ihre Hoffnung für 2022?
Frieden. Ich glaube, wir können dafür alle einen Beitrag leisten. Stellen Sie sich vor, neun Millionen Menschen in Österreich würden den Frieden in sich kultivieren. Dann würde von diesem Land eine Vibration ausgehen, die viral geht. Und so einen Virus könnten wir brauchen.

Zur Person: Dr. Matthias Strolz

Alter, Wohnort, Familienstand: 48 (geb. in Bludenz), Mauer in Wien, verheiratet, drei Töchter
Funktionen (Auswahl): BG Bludenz, Landesschulsprecher Vorarlberg, Studium der internationalen Wirtschaftswissenschaften und der Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck, International Marketing und Management an der Universität Dublin, Mitgründer der NEOS (2012), Unternehmer und systemischer Organisationsentwickler, Bestsellerautor („Sei Pilot Deines Lebens“ 2019, „Kraft und Inspiration für diese Zeiten“ 2020, „Gespräche mit einem Baum“ 2022)

(Wann & Wo)

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