Das gesamte Land Niederösterreich wurde Sonntagfrüh zum Katastrophengebiet erklärt, in Wien war die Lage insbesondere am Wienfluss und am Donaukanal, aber auch beispielsweise am Liesingbach prekär. In Niederösterreich kam ein Feuerwehrmann bei Auspumparbeiten ums Leben.
Niederösterreich
"Niederösterreich befindet sich in einer dramatischen Situation", sagte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) nach einer Lagebesprechung in Tulln. Mehrere Bewohner mussten aus Häusern gerettet werden. Zahlreiche Straßen waren gesperrt. Die Feuerwehr stand im Dauereinsatz. "Wir können leider keine Entwarnung geben", weitere massive Regenfälle seien vorhergesagt. Feuerwehr-Einsatzkräfte und Spezialgeräte wurden aus den Bundesländern Steiermark, Kärnten, Oberösterreich und Burgenland angefordert, ein Assistenzeinsatz des Bundesheeres wurde in die Wege geleitet. Vonseiten des Bundesheeres stehen um die 1.000 Mann zur Verfügung, hieß es vom NÖ Militärkommando.
In mehreren Gemeinden wurde Zivilschutzalarm ausgelöst. "Wir bitten Sie: Achten Sie auf sich selbst und vor allem auf die Anweisungen der Einsatzkräfte. Nehmen Sie nur Wege in Kauf, wenn es unbedingt notwendig ist", so Mikl-Leitner. Zudem sollte man sich laufend über die Lage informieren. Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) sagte in der Früh, dass weitere 60 Liter Regen pro Quadratmeter in den nächsten Stunden erwartet werden, es werde weitere Überflutungen im ganzen Land geben. Am Sonntag werde der Stausee Ottenstein seine Speicherkapazität erreichen. Damit komme es am Kamp zu einem weiteren Anstieg der Pegel, Evakuierungen seien erfolgt bzw. im Laufen. Es sei möglich, dass die Hochwasserschutzmaßnahmen punktuell nicht ausreichen, wenn der Wert eines hundertjährlichen Hochwassers überschritten werde.
Nehammer: "Lage bleibt angespannt"
Weil sich die Unwetterlage in den vergangenen Stunden weiter verschärfte, trat um 14.00 Uhr erneut das Staatliche Krisen- und Katastrophenmanagement (SKKM) im Innenministerium zusammen, an dem auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) teilnahm. Der Bundeskanzler stehe derzeit in Austausch mit den Vertretern der hauptsächlich betroffenen Bundesländer, hieß es.
"Die Lageentwicklung bleibt weiter angespannt", berichtete Nehammer nach der Sitzung. In Niederösterreich könne man etwa davon ausgehen, dass sich die Situation weiter zuspitzen werde, sagte er. "Es gibt hier große Druckpunkte, wo einerseits gegen die Wassermassen gekämpft wird und auch gegen den Sturm." Die Prognosen der Meteorologen würden darauf hindeuten, dass sich die Lage erst Mitte der Woche entspannen werde.
Nehammer dankte den Blaulichtorganisationen, den Freiwilligen und auch dem Bundesheer oder der Polizei für den Einsatz. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern funktioniere sehr gut. Den Angehörigen und Kollegen des verstorbenen Feuerwehrmanns drückte er sein Beileid aus.
Am späteren Nachmittag wird es sich beim Einsatzstab in Tulln selbst ein Bild von der Situation verschaffen, kündigte Nehammer an. Anschließend werde er unter anderem Bundespräsident Alexander Van der Bellen informieren.
Wichtig sei nun auch, die Schäden so rasch wie möglich zu beheben, strich der Kanzler hervor. Das betreffe auch die Stromversorgen, wo es noch immer zu Ausfällen komme. Nehammer versprach auch, den Katastrophenfonds notfalls nachzudotieren: "Wenn die Mittel nicht ausreichen, werden sie erhöht."
1.160 Feuerwehren waren mit 20.000 Mitgliedern in Niederösterreich im Einsatz. "Wir haben derzeit 2.000 Einsätze auf der Warteliste, und es werden minütlich mehr", betonte Landesfeuerwehrkommandant Dietmar Fahrafellner: "Die Priorität liegt auf der Rettung von Menschen." Bisher wurden 1.100 Gebäude evakuiert, hieß es am Vormittag. Kleinste Gewässer seien zu reißenden Bächen geworden. In St. Pölten wurde der Europaplatz überflutet, es sei in mehreren Bezirken zu Dammbrüchen gekommen. Ein Feuerwehrmann rutschte im Bezirk Tulln bei Auspumparbeiten über eine Stiege und starb.
Menschen aus Gebäuden und Autos gerettet
Im Bezirk St. Pölten traten mehrere Gewässer über die Ufer. "Die Feuerwehren sind vorrangig mit Menschenrettungen aus Gebäuden oder Fahrzeugen befasst", u.a. auch mit Booten bzw. Zillen, teilte das Bezirkskommando mit. Zudem kam es zu Stromausfällen. In mehreren Häusern waren Bewohner eingeschlossen. In Markersdorf wurden vier Personen aus einem Gebäude gerettet. Nach einem Verkehrsunfall auf der B19 im Markersdorfer Gemeindegebiet rettete eine Besatzung eines Black-Hawk-Hubschraubers des Bundesheeres einen Polizisten und einen Feuerwehrmann, die im Hochwasser an der Unfallstelle festsaßen.
In Kirchberg an der Pielach wurde eine Person in ihrem Auto von den Wassermassen der Pielach eingeschlossen. Sie wurde von den Einsatzkräften gerettet. In Melk wurden aufgrund von plötzlich stark steigendem Wasser eines Baches fünf Personen und ein Hund aus zwei Einfamilienhäusern in Sicherheit gebracht. Zwei Bewohner davon wurden durch die Wasserrettung St. Pölten mit einem Schlauchboot gerettet. Im Bezirk Waidhofen an der Thaya war die Lage in den Gemeinden Windigsteig, Waidhofen an der Thaya, Waidhofen an der Thaya-Land, Raabs an der Thaya und Vitis laut Bezirkskommando "weiterhin sehr kritisch". In Waidhofen an der Thaya-Land wurde ein Wohnhaus sowie das örtliche Feuerwehrhaus überflutet. Bewohner wurden evakuiert, die Einsatzkräfte mit einem Boot in Sicherheit gebracht.
Der Zugverkehr auf der Weststrecke zwischen Amstetten und St. Valentin wurde aufgrund von Hochwasser um 1.15 Uhr eingestellt. Am Sonntagvormittag wurde der Verkehr überhaupt zwischen Wien und St. Valentin eingestellt. Die Situation sei sehr dynamisch, auch an kleineren Flüssen wie zum Beispiel der Piesting, der Triesting oder der Schwechat könne sich sehr schnell die Lage ändern und weitere Sperren notwendig machen.
Wien
Das unwetterbedingte Hochwasser hat auch die Bundeshauptstadt erreicht. Der Wienfluss wies am Sonntag um 9.00 Uhr im Bereich der Kennedybrücke einen Pegelstand von 2,26 Meter auf. Am Vortag waren es zur selben Zeit 50 Zentimeter. Zu Mittag drohte der Wienfluss an weiteren Stellen über die Ufer zu treten, nachdem es bereits in der Nacht auf Sonntag bzw. in den Morgenstunden in Penzing zu Überschwemmungen gekommen war. Aus Sicherheitsgründen kam es zu Sperren der Westautobahn.
Konkret wurde die Ein- und Ausfahrt der Westautobahn im Bereich Hütteldorfer Brücke bis Deutschordenstraße bis auf Weiteres gesperrt. "Um Einsatzkräfte nicht zu behindern, bitten wir die Bevölkerung, diesen Bereich zu ihrer eigenen Sicherheit dringend zu meiden. Bitte unterlassen Sie Reisen in Fahrtrichtung Westen, bis sich die Situation entspannt hat", appellierte Thomas Kozuh-Schneeberger, der Sprecher der MA 45 (Wiener Gewässer), an die Bevölkerung. Gegenüber der APA erläuterte Kozuh-Schneeberger, die Auffangbecken für den Wienfluss seien inzwischen voll. Diese befinden sich im Bereich Auhof und sind dazu gedacht, Wassermassen aufzunehmen, die aus dem Umland Richtung Stadt fließen. "Der Wienfluss fließt jetzt unentschärft in die Innenstadt", schilderte Kozuh-Schneeberger. Der Kai beim Wienfluss auf Höhe Hütteldorf wurde laut Augenzeugen gesperrt. Teilweise überflutet waren auch Bereiche der Südosttangente (A23).
Zunächst war der Wienfluss in Penzing im Bereich Ludwiggasse über die Ufer getreten. Einige Gebäude konnten nur mehr mit Booten erreicht werden. Wie die Berufsfeuerwehr mitteilte, wurden in den frühen Morgenstunden Menschen evakuiert. Betroffen waren laut Gerald Schimpf, dem Sprecher der Wiener Berufsfeuerwehr, "eine Handvoll Häuser", die direkt am Wienfluss liegen. Auch weitere Evakuierungen im Stadtgebiet seien nicht ausgeschlossen, meinte Schimpf. Mehrere Straßen standen im betroffenen Bereich bis zu einem Meter unter Wasser.
In drei Wiener Bezirken - nämlich in Teilen von Penzing, Landstraße und der Donaustadt - war am Sonntagvormittag die Stromversorgung unterbrochen. Das teilten die Wiener Netze mit. "Wir arbeiten weiter an der Behebung, um die Versorgung rasch wiederherzustellen", hieß es auf der Website des Energieversorgers.
Das Szenario hatte auch Folgen auf den öffentlichen Verkehr. Die Wiener Linien mussten ihren U-Bahn-Betrieb erheblich einschränken. Aktuell rechnen die Wiener Linien mit keinem regulären Betrieb vor Mittwoch. Die gefährdeten U-Bahn-Trassen wurden mit Dammbalken und Sandsäcken vor dem eindringenden Wasser geschützt. Der U-Bahn-Betrieb musste teilweise eingestellt werden. Die U4 verkehrte nur mehr zwischen den Stationen Heiligenstadt und Friedensbrücke, die U6 wurde vorerst zwischen Floridsdorf und Westbahnhof sowie Bahnhof Meidling und Siebenhirten geführt. Die U3 wurde zwischen den Stationen Rochusgasse und Simmering eingestellt. Zudem mussten die Tunnel-Vortriebsarbeiten an der U2-Baustelle Pilgramgasse aufgrund des kritischen Pegelstands eingestellt werden.
Am Vormittag musste auch die U2 zum Teil gesperrt werden. Sie ist seither nur zwischen Seestadt und Taborstraße unterwegs. Die am Donaukanal liegende Station Schottenring sowie die Station Schottentor/Universität werden nicht angefahren.
Der Dauerregen und teilweise orkanartige Sturm forderten die Einsatzkräfte der Wiener Berufsfeuerwehr. Innerhalb der letzten Stunden wurden mehr als 1.100 Einsätze im Wiener Stadtgebiet absolviert. Gefährliche Situationen waren im Bereich des Wienflusses und des Liesingbachs zu beseitigen. "Insbesondere das Ansteigen der Pegel des Wienflusses bzw. des Liesingbaches sorgen weiterhin für Gefahren in diesem Bereich", teilte Schimpf mit.
Steiermark
Im obersteirischen Thörl ist Sonntagfrüh aufgrund der heftigen Regenfälle, Überschwemmungen und drohenden Vermurungen der Zivilschutzalarm ausgelöst worden, sagte Harald Eitner, Leiter des Katastrophenschutzes des Landes, bei einem Lagebericht mit Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) in Graz. Drexler warnte vor unnötigen Wegen im Freien, insbesondere in Waldgebieten, an Uferbereichen und auf Bergen. Rund 20.000 steirische Haushalte waren ohne Strom.
Aufgrund der zu erwartenden Überflutungen und Vermurungen wurde den Bewohnern der Gemeinde Thörl (Bezirk Bruck-Mürzzuschlag) empfohlen, Tiefgaragen und Keller zu meiden, Wertgegenstände in höhere Stockwerke zu bringen und unnötige Autofahrten zu vermeiden. In Thörl war es bereits im Juli nach heftigen Regenfällen der Thörlbach über die Ufer getreten, was ebenfalls zu Überflutungen und Zivilschutzalarm geführt hatte.
Auch im Bereich der Mürz rechnete Eitner mit einem 30-jährlichen Hochwasserstand (HQ30), für den Bereich der Salza, die den Siedlungsraum Wildalpen durchzieht, wurde ein 20-jährlicher Hochwasserstand denkbar.
Kurz nach 13.00 hat die Landeswarnzentrale Steiermark zudem via "Cell Broadcast" (AT-Alert) eine Warnung an die Bevölkerung in den Bezirken Voitsberg, Graz-Umgebung, Weiz und Hartberg-Fürstenfeld verschickt. Da zu erwarten sei, "dass der Sturm bis in die späten Abendstunden mit Spitzen bis 100 km/h anhält", wurde vor dem Aufenthalt in Wäldern, Parks oder Alleen gewarnt. Umgestürzte Bäume und Strommasten beeinträchtigten die Stromversorgung.
Oberösterreich
In Oberösterreich verschaffte eine Niederschlagspause den Feuerwehren Sonntagfrüh Luft zum Aufarbeiten der Notfälle. Es gab knapp 200 Einsätze in der Nacht, ein Schwerpunkt war im Bezirk Perg. Der Hydrografische Dienst des Landes Oberösterreich sieht eine leichte Beruhigung der Lage für Sonntag, da die Niederschläge nicht mehr so intensiv seien.
Im Bezirk Perg wurden mehrere Tausend Sandsäcke gefüllt und verteilt, da die Naarn aus den Ufern trat, Vermurungen, umgestürzte Bäume und überflutete Keller waren wie im ganzen Land die weiteren Einsatzgründe, so die Feuerwehr. In Königswiesen (Bezirk Freistadt) musste die Feuerwehr einen 31-Jährigen mit seinem Pkw bergen, weil er Samstagabend eine Straßensperre ignorierte und auf der von der Naarn überfluteten Fahrbahn nicht mehr weiterfahren konnte. Er war außerdem in einem fremden Wagen unterwegs und hat keinen Führerschein, berichtete die Polizei.
Fußballspiele abgesagt
Das anhaltende Unwetter hat auch für weitere Absagen in der Fußball-Bundesliga gesorgt. Die Partien zwischen TSV Hartberg und WSG Tirol (14.30 Uhr) sowie zwischen der Wiener Austria und Meister Sturm Graz (17.00) konnten am Sonntag nicht ausgetragen werden, teilte die Liga am Vormittag mit. Vorsorglich abgesagt wurde auch das Zweitrunden-Cupspiel des LASK am Dienstag in Himberg gegen Sportunion Mauer.
(APA)
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.