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Historisches Archiv - Kriegsende und Ausrufung der Republik vor 100 Jahren – Teil III

Auf rund 350 handgeschriebenen Seiten dokumentierte Albin Schmid die Ereignisse des Ersten Weltkriegs.  
Auf rund 350 handgeschriebenen Seiten dokumentierte Albin Schmid die Ereignisse des Ersten Weltkriegs.   ©Helmuth Heinz (über Marktgemeinde Lustenau)
Diesen November jährt sich zum 100. Mal die Gründung der österreichischen Republik. Die in dieser Artikelserie präsentierten Auszüge aus lokalen Quellen sollen an das seinerzeit Geschehene erinnern.

Albin Schmid (* 28.01.1878, + 04.09.1959) war Ende des Ersten Weltkrieges 40 Jahre alt. Wie damals so viele andere Lustenauer auch, war er Landwirt und Sticker. Er führte ein handgeschriebenes Buch, das fast ausschließlich den Ersten Weltkrieg thematisiert. Zeitnah, wohl noch während des Krieges, erörterte er darin verschiedenste kriegsrelevante Themen. Bei vielen der Einträge hat Albin Schmid einfach den Krieg betreffende Kundmachungen aus dem Lustenauer Gemeindeblatt abgeschrieben. Er gibt jedoch auch in vermutlich selbst verfassten Vermerken spannende Einblicke in das damalige Lustenauer Alltagsleben.

Seine Kommentare veranschaulichen damit sehr gut seine Wahrnehmung des Kriegsendes und der damit einhergehenden Ereignisse rund um die Ausrufung der Ersten Republik am 12. November 1918. Die jeweilige Schreibweise wurde dabei behutsam der heutigen Orthographie angepasst.

Auf den 3. November 1918, und damit auf den Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstandes mit Italien datiert, beschreibt Albin Schmid die „Auflösung der Armeen in Tirol u[nd] an der ganzen Südfront“ recht dramatisch:

„[S]eit dem 1/11 herrschte im ganzen Tirol die Revolution, in Innsbruck gibt es täglich sehr viele Tote, und an der ganzen Bahn und auf allen Straßen bis ins Südtirol liegen Tausende von Leichen die durch Mord, Hast und Eile auf der Flucht in die Heimat ums Leben gekommen, täglich kommen bei uns viel Tramwagen voll solcher Krieger bei uns an, sehr viele noch schwer von Raub und Plünderwaren beladen. […] Kein Wunder dass die Unordnung [..] Platz gegriffen hat, die Offiziere flüchteten, ließen Mann u[nd] Ross und Wagen im Stiche suchten ihr Heil mit dem Auto und waren meist längst verschwunden, als der Zusammenbruch sich fühlbar machte. Raub, Brand, Mord u[nd] Plünderung war die Folge, jeder ging seine eigenen Wege; teils mit den noch fahrenden Zügen welche durch heftige Raufereien besetzt u[nd] erstritten wurden. Die Dächer auf den Wagen boten fast jeder Wagen für 10 Mann Platz. Auch Puffer und Wagenachsen mit Brettern quer überlegt waren die Sitz- u[nd] Liegefläche für die Heimkehrer. Kein Wunder, dass so viele das Leben noch lassen mussten, auf diesen Fahrten. Der Großteil marschierte zu Fuß übers Vintschgau von den Vorarlbergern auch sehr viele bis nach Innsbruck und von dort mit den Zügen [nach] Vorarlberg. Schrecklich gestaltete sich in dem Wirrwarr von Auto, Train, Fuhrwerken und Soldaten die Auflösung! 400.000 Mann wurden noch von den Italienern zu Gefangenen gemacht, die nicht verständigt waren vom Waffenstillstand und weitere 2 Tage gegen die Feinde kämpften.“

In einem auf den 28. Dezember datierten Eintrag kommt Albin Schmid dann auf des Schicksal dieser Kriegsgefangenen zurück: „Letzter Tage kamen die ersten Nachrichten der Anfang Nov[ember] in ital[ienische] Gefangenschaft geratenen Soldaten und befinden sich selber teils in Südtirol, in Italien: Verona, Rom, Sizilien etc., die Verpflegung soll gut sein!“ Wie ein Bericht eines damals gefangengenommenen Lustenauers zu verdeutlichen vermag, war jedoch die anfängliche Versorgungslage und Behandlung der dieser Gefangenen zumeist alles andere als gut:

„Als Trinkwasser mussten wir das Wasser aus dem Bache benützen. Dass es höchst unappetitlich war, geht daraus hervor, da entlang des Baches in der Entfernung einiger Meter eine Latrine gemacht war. Bevor das Wasser geschöpft war, musste man einen dicken Pelz beseitig[en. …] Man konnte weiters sehen, wie die Gefangenen auf Misthäufen gleich den Hühnern Speiseabfälle und Überreste suchten, um ihren Löwenhunger zu stillen. […] Jeder der in die Zukunft blicken wollte, sah die grausige Knochenhand des fürchterlichsten Hungertodes.“

Quelle: Marktgemeinde Lustenau/Winter

 

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