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Gewessler ist keine Politikerin

©APA/EVA MANHART
Gastkommentar von Johannes Huber. Eine Mehrheit misstraut der Klimaschutzministerin. Mit ihrer Ermunterung, sich für ein Klimaticket tätowieren zu lassen, hat sie eine Erklärung dafür geliefert.

Bei der jüngsten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts OGM für eine Wertung, die es gemeinsam mit der Austria Presseagentur APA führt, erklärten 57 Prozent der Befragten, Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) zu misstrauen. Das ist eine klare Mehrheit. Gerade einmal 33 Prozent teilten mit, ihr zu vertrauen. Natürlich: Gewessler könnte sich damit trösten, dass zum Beispiel die Werte von FPÖ-Chef Herbert Kickl noch viel übler sind. Diesem misstrauen ganze 70 und vertrauen nur 27 Prozent. Aber das wäre kein Trost.

Genauswenig es die Behauptung wäre, dass man mit Klimaschutz nicht nur populär sein könne. Zumal es dabei auch um Dinge gehe, die zunächst möglicherweise unangenehm sind. Allein: Wie der Eurobarometer, der im Auftrag der Europäischen Kommission geführt wird, zuletzt gezeigt hat, finden über 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher nicht, dass die Regierung zu viel, sondern dass sie zu wenig tut, um die Krise einzudämmen. Das könnte ganz im Sinne von Gewessler sein, die mehr möchte, bei der ÖVP, dem größeren Regierungspartner, aber ansteht.

Vielleicht ist die Grünen-Ministerin bei so vielen Menschen unten durch, weil sie sich zu sehr darauf beschränkt, die relativ wenigen Wählerinnen und Wähler anzusprechen, die mit ihr übereinstimmen. Möglicherweise vernachlässigt sie eine Masse, die am Land lebt, aufs Auto angewiesen ist und schäumt, wenn die Spritpreise steigen; oder wenn ein ein paar Klimaaktivisten irgendwo den Verkehr blockieren.

Wenn aber eben über 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sagen, dass die Regierung zu wenig tue, kann das nicht die ganze Erklärung sein. Gewessler hat demnach sogar Leute gegen sich, die gewinnbar wären für sie. Kein Wunder: Sie hat gerade eindrucksvoll gezeigt, warum sie mit so viel Gegenwind konfrontiert ist.

Gewessler hat Musik-Festival-Besucher eingeladen, sich tätowieren zu lassen. Die ersten drei erhielten ein Klimaticket im Wert von 1095 Euro gratis. Hinterher ließ sie wissen, dass es sich um Erwachsene gehandelt habe, die das selbst entscheiden konnten. Besser macht das die Sache nicht: Es geht ums Signal. Bürgerinnen und Bürger erhalten etwas, was ihnen unter Umständen zu teuer ist, wenn sie sich auf Absurdes einlassen bzw. einen zweifelhaften Preis dafür bezahlen; im konkreten Fall, wenn sie sich stechen lassen. Man mag nicht daran denken, was einem Finanzminister und einem Sozialminister einfallen könnte, wenn sie sich ebenfalls auf ein solches Niveau begeben würden. Es ist unsäglich.

Leonore Gewessler ist vor bald vier Jahren von einer Umweltschutzorganisation kommend als Quereinsteigerin in die Politik gegangen. Wirklich angekommen ist sie dort jedoch nie, wie sie mit dieser Aktion gezeigt hat. Anders ausgedrückt: Wäre sie Vollblutpolitikerin mit Gespür, hätte sie von vornherein die Finger davon gelassen. Und zwar auch im Wissen, welche Schlagzeilen sie sich damit einhandelt. Im linksliberalen „Standard“ etwa war von einem „nachhaltig dämlichen Werbegag“ die Rede.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analyse und Hintergründe zur Politik

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