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Gewalt jederzeit zu erwarten

Götzis - Am Ende eines langen Tages zieht der Koblacher Türsteher den Kragen hoch und pustet etwas Wärme an die klammen Finger. Einen Stock höher späht Hassan angestrengt in die Nacht.

Die Fenster des mesopotamischen Kulturzentrums beschlagen. Aber das macht nichts. Heute Nacht kommen sie nicht mehr, die jungen Türken aus Bludenz, Feldkirch und Bregenz. Sie haben gedroht, kurdische Häuser in Brand zu stecken. Sie belagern Wohnungen. Männer wie der junge Erdig trauen sich nicht mehr heim. Und die Polizei? Schiebt Sonderschicht, seit Tagen schon.

Um Haaresbreite

Das wird vorerst auch so bleiben. Das fast friedliche Ende des kurdischen Hungerstreiks am Sonntag täuscht. Montagnacht sammelten sich Dutzende Wagen gegen 21 Uhr im mittleren Rheintal. Die Polizei erhielt einen Tipp. Daraufhin „haben wir sie alle kontrolliert“, so Sicherheitsdirektor Elmar Marent. Gerade noch rechtzeitig. Fast wären die jungen nationalistischen Türken bis zum Kurdenzentrum im Koblacher Herrenried vorgedrungen. Und dann? Kaum auszudenken.

Für dieses Wochenende haben sie ihre Rückkehr angedroht. „Wir wissen das“, sagt Marent, und: „Schreiben Sie auch, dass wir null Toleranz gewähren.“ Dann fügt er an: „Wir haben da mittlerweile echt ein Problem.“

Konfliktpotenzial

Während im Nordirak erste Bomben fallen, herrscht in Vorarlberg kalter Krieg. Mit deutlichem Potenzial zur Erwärmung: Es stehen 15.000 Türken 5000 Kurden gegenüber.

Und wer sind die Hitzköpfe? „Ein loser Haufen von etwa 100 jungen Männern.“ Die dreitürkisch-nationalistischen Vereine in Bregenz, Feldkirch und Bludenz distanzieren sich mittlerweile. „Aber sie haben ihre Jungen nicht mehr im Griff“, sagt Marent.

Noch fehlt den jungen Türken ein Kopf, eine Ideologie. „Graue Wölfe“ sind darunter. Auch Vertreter der Ülkücü „Idealisten-Bewegung“. Einpeitscher aus dem Mutterland gibt es keine. Sie organisieren sich per Handy. Blitzschnell. Fast alle haben österreichische Pässe. „Je stärker die Konflikte im Herkunftsland, desto mehr Effekte zeitigen sie im Zuzugsland.“ Der Sozialwissenschaftler Kenan Güngör hat schon in den 90 er-Jahren davor gewarnt. Damals „trennten sich kurdische und türkische Vereine“, so wie die Aleviten sich eigene Räume suchten, nachdem mehr als 1000 Glaubensbrüder Ende Dezember 1978 im Maras einem Pogrom zum Opfer fielen. Indem sich die Szene teilte, blieb sie friedlich. Jetzt aber „wird der Dönerladen um die Ecke zum Ort der Vergeltung“. Warum?

Kenan hat türkische Tageszeitungen gelesen. „Wir haben da fast so eine Art Generalmobilmachung.“ Diese Stimmung überträgt sich auch auf Migranten in Vorarlberg.

Und die Folgen? Während des Jugoslawienkriegs mussten hiesige Firmen Serben und Bosnier trennen, damit kein Unglück geschieht. Güngör ist zuversichtlich: „So schlimm wird’s nicht werden.“ Marent ist vorsichtig: „Bei uns jagt eine Sitzung die andere.“

Der 21-jährige Mehmet aber, der den Kurden die Pest an den Hals wünscht, lässt mit sichtbarem Stolz den Griff eines Revolvers aus dem Handschuhfach blitzen, ehe er weit nach Mitternacht durchs Bregenzer Vorkloster davonbraust. War die nun echt? Oder nur eine Gaspistole? Wie der ganze Konflikt ist das leider schwer einzuschätzen.

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