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Flüchtlinge: Menschenrechtsexperte Nowak schlägt EU-Asylbehörde vor

Menschenrechtsexperte Nowak beim 9. Europäischen Mediengipfel in Lech am Arlberg.
Menschenrechtsexperte Nowak beim 9. Europäischen Mediengipfel in Lech am Arlberg. ©OTS
Lech. Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak wirft den europäischen Regierungen menschenrechtswidrige Strategien bei der Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise vor. Nowak forderte beim 9. Europäischen Mediengipfel in Lech am Arlberg das Aussetzen der Dublin-Verordnung und sprach sich für eine europäische Asylbehörde aus.

Einem gemeinsamen europäischen Asylrecht mit geschützten Schengen-Außengrenzen und einer Kontingentierung konnte in Lech auch ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald einiges abgewinnen. “Wenn man das europäisch lösen würde, hätten wir ein Problem weniger”, meinte McDonald. Die Sicherung der Außengrenzen sei dabei “natürlich auch militärisch sicherzustellen”. Dies ist laut McDonald auch im Rahmen einer europäischen Armee mit Beteiligung österreichischer Soldaten denkbar.

Kritik an Asyl auf Zeit-Debatte

Nowak kritisierte unterdessen die laufende Asyl auf Zeit-Debatte. “Um eine dauerhafte Lösung für die Betroffenen zu vermeiden, wird vielen Kriegsflüchtlingen nur mehr subsidiärer Schutz, also Asyl auf Zeit, gewährt”, so der Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte. Dies widerspreche den Prinzipien der Flüchtlingskonvention. Die Dublin-Verordnung, die regelt, dass Asylverfahren in jenen Ländern abzuwickeln sind, wo ein Flüchtling erstmals europäischen Boden betritt, sei unmenschlich und sinnlos. “Ist Dublin tot? Ich kann nur hoffen. Dublin ist nichts anderes als Florianiprinzip, ein extrem unfaires System, nicht nur den Staaten an den Außengrenzen, sondern auch den Flüchtlingen gegenüber”, so Nowak, der von einer “Krise der europäischen Flüchtlingspolitik” sprach.

Das derzeit existierende EU-Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) sollte zu einer gemeinsamen EU-Asylbehörde ausgebaut werden, schlug der Menschenrechtsexperte vor. Zugleich sollte Aylanträge auch in Drittstaaten wie der Türkei ermöglicht werden. “Das würde auch Schleppern den Wind aus den Segeln nehmen und Flüchtlinge davon abbringen, für viel Geld die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer zu wagen.” Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik übte auch Ulrike Guérot, Direktorin des European Democracy Labs in Berlin: “Wir erleben derzeit eine komplette Erosion der Genfer Flüchtlingskonvention. In nationalen Containern werden keine europäischen Lösungen geschaffen.”

Grenzschutz ja, Zäune nein

Das Dublin-Abkommen aussetzen will auch der Grüne Nationalratsabgeordnete Werner Kogler. Schengen-Grenzschutz sei sinnvoll, Zäune brauche es dafür aber nicht. “Es ist keine Tragödie, wenn ein Kontinent mit 500 Millionen Menschen ein paar Millionen Flüchtlinge aufnimmt”, sagte Kogler. Der Grüne forderte darüber hinaus mehr Hilfe an Ort und Stelle. “Man muss vor Ort viel mehr tun. Nur wenige Milliarden würden helfen. Da hat Österreich eine scheinheilige und schändliche Haltung eingenommen.”

Weltweit 60 Millionen Vertriebene

15 größere Konflikte sind laut Boltzmann-Leiter Nowak in den vergangenen fünf Jahren ausgebrochen. Weltweit gibt es derzeit 60 Millionen Vertriebene. “Das sind mehr, als wir seit dem Zweiten Weltkrieg je hatten. Eine von 122 Personen weltweit ist Flüchtling, mehr als 50 Prozent davon sind unter 18 Jahre.” Syrien ist derzeit das Land mit den meisten Flüchtlingen, rund vier Millionen Menschen haben sich wegen des Bürgerkriegs auf den Weg gemacht. “Wir bekommen durch bestimmte Parteien und Medien den Eindruck vermittelt, dass alle zu uns kommen, aber es ist immer noch ein sehr kleiner Prozentsatz. Weltweit sind es die armen, südlichen Länder, die die Hauptlast der Flüchtlingsbewegungen tragen. 86 Prozent aller Flüchtlinge werden im Süden aufgenommen, nur 14 Prozent im reichen industrialisierten Norden”, berichtete der Menschenrechtsexperte.

Ganze Generation junger Flüchtlinge kann nicht zur Schule

ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary, der in Lech gemeinsam mit seiner Kollegin Mathilde Schwabeneder das Buch “Auf der Flucht” präsentierte, warnte davor, dass derzeit eine ganze Generation junger Flüchtlinge nicht zur Schule gehen kann. “Das ist eine Zeitbombe. Das ist eine Gruppe, die leicht manipulierbar und radikalisierbar ist. Ich fürchte, dass wir dafür noch die Rechnung präsentiert bekommen.” Ängste in der Bevölkerung kann Gawhary nachvollziehen, “womit ich ein Problem habe, ist dieser rassistische Unterton”.

“Es war nicht mein Plan, Flüchtling zu werden”

Emotionale Einblicke in das Leben eines Flüchtlings lieferte bei der vom Verband der Auslandspresse, der Kommunikationsagentur pro.media sowie der Lech Zürs Tourismus Gesellschaft organisierten Veranstaltung Muhammad Kasem. Er flüchtete vor eineinhalb Jahren selbst aus Syrien und lebt heute mit seiner Familie in Innsbruck. “Es war nicht mein Plan, Flüchtling zu werden. Ich hatte mein Leben, ich hatte meine Arbeit. Niemand ist glücklich, wenn er sein Land verlassen muss”, so Kasem. “Ich hatte zwei Möglichkeiten: entweder zum Militär zu gehen und zu töten oder getötet zu werden, wenn ich das Militär verweigert hätte. Ich wollte nicht auf meine eigenen Leute schießen.” Für seine Flucht musste Kasem 8.000 Euro bezahlen und mehrere hundert Meter im Mittelmeer schwimmen. (APA)

Manfred Nowak und Muhammad Kasem

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