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Feuerstein

Die Fassade ist mit kupfernen Trapezblechen verkleidet, die im unteren Bereich gelocht sind.
Die Fassade ist mit kupfernen Trapezblechen verkleidet, die im unteren Bereich gelocht sind. ©Christian Grass
Bludenz - Ganz weit weg und doch sehr nah – die Erfahrung des Todes. Wie alle Erfahrung findet sie in Räumen statt – das sind mitunter ganz besondere.
Bestattungshaus Bludenz

In unserer rationellen, säkularen Welt ist er aus dem Alltag weitgehend verschwunden. Am nächsten kommt er uns im Todesfall von Verwandten, Nahestehenden, Verehrten. Dann kann die Begegnung mit dem Gestorbenen auch zur Frage nach dem eigenen Tod werden, nach dem vorangegangenen und kommenden Leben. Was lediglich als Einschnitt im Lauf der Zeit erscheint, kann ein Spektrum an Bezügen aufreißen, das durchaus beunruhigend werden kann.

Es kann also gar nicht verwundern, dass sich ein Bau, der dem letzten Weg gewidmet ist, als vielgestaltig entpuppt. Wie wenig man selbst mit der Sache vertraut ist, merkt man freilich erst, wenn man sich einem solchen Gebäude als Ganzem zuwendet. Man staunt, was da alles gefragt ist. Man wird dankbar, dass es eine Zunft gibt, die sich all den damit zusammenhängenden Fragen widmet. Und versteht langsam, was ein Bestattungshaus ist.

Zugang durch eine schmale Zufahrt, dann ein weiter Hof, gefasst durch rückwärtige Bauten und zwei entschiedene Wände – die eine in dunklem Kupfer, die andere, überragend, bei rechtem Licht fast honigfarben gelb aus gestampftem Lehm. Die dunkle bietet einen gedeckten Gang, der im Eingang am Schnittpunkt der beiden bestimmenden Wände liegt. Ein geordneter Hof, der Ruhe bewirkt.

Betritt man das Gebäude, so entpuppt sich die honiggoldene Wand als Rückgrat der Anlage. Vor einem liegt der große Verabschiedungsraum, weiter rechts hinten liegen zwei kleine. Man geht der Wand entlang und hat über sich, hinter Glas, den offenen Himmel, der die belebte Wand ins Licht setzt. Der eigentliche Versammlungsraum ist geschlossen gedeckt, tieferliegend. Gegenüber wiederholt sich der Raumabschluss: eine gestampfte Lehmwand mit Oberlicht, honiggelb. Die Decke und die übrigen Wände sind in hellem Taubengrau gehalten, der Boden ist Travertin. Die Schattigkeit der Mittelzone wird durch Raumteiler aus Mooreiche begleitet, dunkles Mobiliar schafft Kontrast. Akustische Maßnahmen unterstützen eine Stimmung gedämpfter Helligkeit.

Raum der Ruhe und Besinnung – für eine Trauergemeinschaft oder in kleiner privater Runde. Platz für die Zeremonie, ob Erd-, ob Feuerbestattung, ob begleitet durch einen Priester, gleich welcher Konfession, oder – auf Wunsch durch den Hausherrn geleitet – ganz formlos.

Das ist die eine Seite. Doch wie wünschen wir uns das Gegenüber, dem wir auf seiner letzten Reise begegnen, was ist – im Dialekt gesprochen – „a schöne Liich“? So authentisch wie möglich? Weit gefehlt! Was ist mit Unfallopfern, mit durch Leiden Entstellten, den einfach entglittenen Zügen Normalsterblicher? Man lernt in einem solchen Haus: Selbst als Toter ist der Mensch nie nur Naturgeschöpf. Also wird in Form gebracht – bei allen! Und weil das mal mehr, mal weniger sein kann, bedarf es besonderer Räume.

Die liegen auf der Rückseite der Kreuzungslinien des Hofes. Während vorn eine Atmosphäre der Besinnung gesucht wird, herrscht hier technische Nüchternheit und Hygiene wie in einem Krankenhaus. Tatsächlich ist der Raum für Thanatopraxie – hier wird der Körper hergerichtet – ein vollwertiger OP-Saal. Da immer mit Zeitbedarf zu rechnen ist, muss der Tote richtig verwahrt werden – dafür ist ein Kühlraum nötig. Hinzu kommen diverse Lager, Vorbereitungsräume, ein Anlieferungshof, Sozialräume für die Beschäftigten. Und weiter geht es im Untergeschoß mit Sarglager, Werkstatt für Sargausstattung, Räume für Haus- und Medizintechnik, eine Tiefgarage für die Spezialfahrzeuge (darunter das Feuerwehrauto des Hausherrn, der zusätzlich oberster Inspektor der Feuerwehr ist), Wagen-Waschanlage und Rampe der Tiefgarage.

Ein regelrechter Dienstleistungs- und Handwerksbetrieb, der ein Rundumpaket anbietet, inklusive Beratung für den Umgang mit Behörden und Öffentlichkeit in eigenen Räumen und unmittelbarer Nähe, doch beides im Gebiet der Altstadt. Ein empfindlicher Punkt: Nachdem der letzte Weg bis zur Bestattung anspruchsvoller wird, schaffen sich viele Unternehmen neue Räume und in der Regel heißt das: hinaus aus der Stadt, in die Vorstadt, ins Gewerbegebiet. Der Entschluss des Hausherrn, dem Tod am angestammten Platz im Leben der Stadt Platz zu bieten, ist so außergewöhnlich, dass der Neubau bei einem Wettbewerb unter Einschluss Deutschlands den ersten Preis davontrug.

„Ein ungewöhnliche Aufgabe“, so Architekt Eckhard Amann, „die nüchterne Lösungen erfordert für viele Funktionen, die sich nicht kreuzen dürfen. Und Gespür für das Bedürfnis nach Ruhe und Besinnung – Klarheit der Gestaltung, Licht, Akustik, die richtigen Baustoffe: Das waren unsere Mittel.“

Daten & Fakten

Objekt: Bestattungshaus, Bludenz

Bauherr: Christoph Feuerstein

Architekt: Atelier rainer + amann, Feldkirch

Statik: Frick & Schöch, Rankweil

Bauphysik: Ing. Karlheinz Wille, Frastanz

Planung: August 2009–Juli 2010

Bau: Mai 2010–März 2011

Nutzfläche: 930 m², davon beheizt 350 m²

Bauweise: Außenwände: Sichtbetonwände und gestampfte Lehmwand; Metallfassade: Kupfer; Innenwände: Stahlbeton und Leichtbau mit Lehmspachtelung, Lehmwände und mobile Trennwände; Dachkonstruktion: Flachdach aus Stahlbeton, Dämmung mit Bitumenabdichtung und Bekiesung; Fenster: Alu-Holz und Alu; Fußböden beschichtet, im Verabschiedungsbereich: Travertin; Heizung mit Wärmepumpe und Solaranlage

Ausführung: Baumeister: Tomaselli Gabriel Bau, Nenzing; Lehmbau: Glück, Lauterbach (D); Fassade und Spengler: Fritz, Bludenz; Tischler: Thomas Feuerstein, Bludenz; Glasoberlichte und Brandschutztüren: Manahl, Bludenz; Naturstein: Bad 2000, Nüziders; Beschichtungen: Walo Bertschinger, Wittenbach (CH), Trockenbau: Markus Rudigier, Silbertal; Elektro: Arge Stolz, Bludenz und E-Werk, Frastanz; Heizung, Sanitär: Dorfinstallateur, Bludenz; Lüftung: Stolz, Bludenz

Auszeichnung: 1. Preis im Wettbewerb „Trauer braucht Raum“ 2012, Kuratorium Deutsche Bestattungskultur, Berlin

(VN/ Leben & Wohnen)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

Architektur vor Ort und Preview
Das Bestattungshaus wurde im Jänner bei der Architekturführungsreihe des vai vorgestellt. Nächste Woche, am 1. Februar 2013 gibt es die Besonderheit einer Preview: Das vorarlberg museum am Kornmarktplatz in Bregenz ist noch vor der Eröffnung Schauplatz für Architekturinteressierte. Eintritt frei, keine Anmeldung, 16 Uhr. Info und Folder unter Architektur vor Ort.

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