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Fassungslosigkeit nach Anti-Ivanschitz-Chören

Im ÖFB-Lager herrscht auf Grund der Hasstiraden gegen Kapitän Andreas Ivanschitz während der 0:1- Niederlage im Fußball-EM-Testspiel gegen Schottland Fassungslosigkeit.

Der Panathinaikos-Legionär, dem der Weggang aus Wien-Hütteldorf nach Salzburg im Jänner 2006 noch immer nicht verziehen wurde, wurde am Mittwoch von rund 200 Personen bei jeder Ballberührung mit gellenden Pfiffen bedacht.

Bei von Ivanschitz ausgeführten Eckbällen stürmten Dutzende Richtung Eckfahne, ihre Wurfgegestände blieben im Fangnetz hängen. Außerdem musste der Mittelfeldspieler zahlreiche beleidigende Sprechchöre über sich ergehen lassen. Selbst der im Stadion anwesende Bundespräsident Heinz Fischer verurteilte die Handlungen jener Menschen, die mit diversen Spruchbändern auch ihre Total-Opposition gegenüber dem ÖFB und der EURO 2008 hervorhoben.

Teamchef Josef Hickersberger, der in seiner Zeit in Wien- Hütteldorf Liebling der Rapid-„Ultras“ gewesen war, zeigte sich vom Ivanschitz-Schicksal tief betroffen. „Dass der Kapitän von den eigenen Fans nicht nur beschimpft, sondern auch bespuckt wird, dass seine Mutter diskreditiert wird, tut mir persönlich weh. In solchen Augenblicken bereue ich es, Rapid-Trainer gewesen zu sein“, so Hickersberger.

Das Verhalten jener Unverbesserlichen bezeichnete Hickersberger als „beschämend“. Wegen körperlicher Probleme wollte der 59-Jährigen seinen Kapitän eigentlich vorzeitig vom Feld nehmen, „aber ich habe ihn dann bewusst nicht ausgewechselt, weil das ein Sieg für diese Idioten gewesen wäre.“

Am gelassensten reagierte noch der Betroffene selbst. „Ich habe es einfach ignoriert. Die übrigen Fans haben mir applaudiert und sind hinter Österreich gestanden“, sagte Ivanschitz.

„In mir viel zerstört“

Am Tag nach den Hasstiraden eines kleinen Teils der Rapid-Fans gegen Österreichs Fußball-Teamkapitän Andreas Ivanschitz im Hanappi-Stadion hat Teamchef Josef Hickersberger das Verhalten jener Personen neuerlich scharf kritisiert. „Es sind Grenzen des Anstands und des Geschmacks überschritten worden“, sagte der Niederösterreicher, der Rapid 2005 zum Meistertitel und in die Champions League geführt hat, nach dem 0:1 gegen Schottland.

„Das tut mir persönlich mehr weh, als jeder glaubt, weil ich fünfeinhalb Jahre bei diesem Klub als Spieler und Trainer gearbeitet habe. Dieser Verein, dieses Stadion waren etwas Besonderes für mich. Gestern wurde in mir sehr viel zerstört“, sagte Hickersberger am Donnerstag im Teamcamp in Lindabrunn.

„Hicke“ betonte aber auch, dass die Aktionen einiger hundert Menschen nicht gleichzeitig Rückschlüsse auf Fußball-Fans im Allgemeinen und Rapid-Fans im Besonderen erlauben. „Man muss feststellen, dass es sich hier um reine Fanatiker handelt. Wohin der Fanatismus führt, sieht man überall auf der Welt. Ich habe in den arabischen Ländern religiösen Fanatismus hautnah miterlebt.“

Laut Hickersberger geht es bei den Vorfällen am Mittwoch nicht um einen „Fall Ivanschitz“. „Da geht es um gesellschaftliche Probleme, Andis Transfer zu Salzburg wird als Aufhänger benützt“, vermutete der 59-Jährige.

Eine ähnliche Ansicht vertrat ÖFB-Mentalcoach Günter Amesberger. „Dieses Phänomen hat nicht ausschließlich mit Sport zu tun, sondern mit der Tendenz zur Radikalisierung“, sagte Amesberger und führt das Verhalten jener Menschen auf massive Beziehungsprobleme zurück. „Das zeigt, dass man nicht mit Menschen umgehen kann. Das ist etwas, was uns als Gesellschaft insgesamt herausfordert.“

Da bereits am Samstag im Länderspiel gegen Paraguay eine Wiederholung dieser Vorkommnisse im Hanappi-Stadion droht, meinte Hickersberger sogar: „Es wäre besser, die West-Tribüne zu sperren.“ Der Wunsch des Teamchefs dürfte aber nicht in Erfüllung gehen, wie Reinhard Nachbagauer, der ÖFB-Organisator für das Länderspiel-Doppel, erklärte. „Das Thema wurde angesprochen, aber wir gehen nicht davon aus, dass die Tribüne gesperrt wird, weil sich dann die Schwerpunkte nur woanders hinverlagern würden.“

Nachbagauer führte am Donnerstag Gespräche mit Verantwortlichen der Exekutive und der Sicherheitsdienste, um eine neuerliche Eskalation am Samstag zu vermeiden. „Wir werden schauen, dass solchen Transparente nicht mehr ins Stadion kommen und wir werden auch andere Aktivitäten unterbinden. Es werden Maßnahmen gesetzt werden, damit das, was passiert ist, nicht mehr passiert.“

Ivanschitz wird am Samstag gegen Paraguay wieder von Beginn an dabei sein, daran ließ Hickersberger keinen Zweifel. „Wie sich Andi gegen Schottland verhalten hat, war in Anbetracht dieser Aktionen großartig. Er hat eine sehr gute Leistung gebracht.“

Ivanschitz selbst ließ sich von den zahlreichen Beleidigungen nach außen hin wenig anmerken. „Ich war positiv vom Rest der Zuschauer angetan. 95 Prozent haben mich und Österreich unterstützt, das hat sehr gut getan. Der Rest war eine Enttäuschung.“ Er habe versucht, cool zu bleiben und sich auf das Spiel zu konzentrieren, „und ich glaube, das ist mir gut gelungen.“

Zeugen der Ivanschitz-Schmähungen wurden unter anderem dessen Eltern, die im Stadion saßen. Die Mutter des Burgenländers bekommt demnächst vom ÖFB einen Blumenstrauß und ein begleitendes Schreiben zugeschickt, in dem der Verband sein Bedauern über die Vorfälle zum Ausdruck bringt.

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