Faktencheck: Statistikpapier enthält Klima-Desinfo

Aufgemacht ist das Papier mit der Frage, ob vom Menschen verursachte CO2-Emissionen überhaupt Einfluss auf die Temperaturen der vergangenen 200 Jahre hatten. Die Antwort darauf widerspricht dem wissenschaftlichen Konsens und wurde deshalb vor allem von Klimawandelskeptikern aufgegriffen und auch in sozialen Medien geteilt.
Faktencheck: Statistikpapier aus Norwegen enthält Klima-Desinfo
Einschätzung: Der menschliche Einfluss auf das Weltklima gilt als wissenschaftlich gesichert und wird von nahezu allen Ländern dieser Welt als gegeben angesehen. Das veröffentlichte Papier ist nicht wie von manchen Verbreitenden behauptet eine Studie, sondern lediglich ein Diskussionspapier, das Experten zufolge aufgrund fehlender belastbarer Aussagen einem wissenschaftlichen Diskurs nicht standhalten würde.
Überprüfung: Das Papier und seine Methoden wurden seit der Veröffentlichung nicht nur von Klimawandel-Skeptikern verbreitet, sondern auch mit Kritik überhäuft. Für das Papier wurden Temperaturen von 95 Wetterstationen analysiert. Diese mehrheitlich in Europa und Nordamerika befindlichen Stationen würden nur etwa 20 Prozent der Landfläche der Erde repräsentieren und die Temperaturen in und über den Ozeanen komplett ignorieren, kritisiert etwa der pensionierte Meereswissenschafter Svein Sundby.
Zudem bedienten sich die Autoren John K. Dagsvik und Sigmund Hov Moen hauptsächlich an einem bereits 2020 von ihnen veröffentlichten Paper , das sie etwa um aktuellere Daten erweiterten. Kurz nach Publikation des Diskussionspapiers und den ersten medialen Reaktionen darauf bezog SSB dazu Stellung und rechtfertigte die Veröffentlichung des wie bei Diskussionsnotizen in der sozialwissenschaftlichen Forschung üblichen "nicht von Experten begutachteten" Papiers .
Kritik an Inhalt und Veröffentlichung
Der Österreicher Edgar Hertwich, Professor für Industrieökologie an der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) in Trondheim, übte bereits kurz darauf in mehreren Blogbeiträgen nicht nur an dem Papier, sondern auch am Umgang seitens der Statistikbehörde scharfe Kritik . Dass Statistics Norway ein solches Schriftstück veröffentlicht, hält er gegenüber der APA für "problematisch". "Leute fassen das als offiziell begutachtete Information auf, nicht als Arbeitsnotiz", schreibt Hertwich in einer Anfragebeantwortung.
Er sei zwar selbst kein Experte der Klimaforschung ("Ich arbeite am Klimaschutz, nicht der naturwissenschaftlichen Klimaforschung"), findet es jedoch "etwas fragwürdig, dass das immer wieder in Zweifel gezogen wird, von Leuten, die sich mit der primären wissenschaftlichen Literatur gar nicht auseinandergesetzt haben." Seines Wissens hätten Dagsvik und Moen "keine Ausbildung oder frühere Forschung" auf diesem Gebiet.
Dagsvik ist pensionierter Wirtschaftswissenschafter am SSB , der zahlreiche Publikationen vor allem zu sozioökonomischen Themen veröffentlicht hatte . Der Informatikexperte Moen ist ehemaliger Sportler (14) und Universitätsdozent für Datenverarbeitung an der norwegischen Informationstechnologie-Universität (NITH) in Oslo .
Das von ihnen veröffentlichte Papier basiert laut Hertwichin mehreren Punkten auf einem Buch des deutschen Ex-Politikers und damaligen Managers des Energiekonzerns RWE, Fritz Vahrenholt, das in einem Artikel des renommierten deutschen Klimawissenschafters Stefan Rahmstorf als "mangelnd glaubwürdig" und in einer Analyse als "unredlich" bezeichnet wurde.
Autoren keine Experten, Aussagen nicht belastbar
Dass die beiden Norweger zu dieser komplexen Thematik publizieren, sehen auch weitere von der APA kontaktierte Wissenschafter problematisch. Laut dem Ökologen und österreichischen Wissenschafter des Jahres 2022, Franz Essl, sind Dagsvik und Moen "keine Klimaforscher", zudem lieferten sie in ihrem Diskussionspapier "keine belastbaren Aussagen".
Daniel Huppmann ist Senior Research Scholar am International Institute for Applied Systems Analysis. Ihm zufolge habe die von rund 150 Regierungen dieser Welt anerkannte Aussage von "Tausenden von Wissenschafter·innen", dass der menschliche Einfluss auf den weltweiten Temperaturanstieg "unzweifelhaft" sei, "mehr Gewicht als Zeitreihenökonometrie-Fingerübungen von zwei pensionierten Statistikern".
"An den Ursachen des Klimawandels, an den zu Grunde liegenden physikalischen und übrigen wissenschaftlichen Prinzipien" gebe es Essl zufolge keinerlei Zweifel. Die Physik dahinter sei relativ einfach. Daher sei "im Grunde auch ohne Klimamodelle" offensichtlich, dass der menschliche Einfluss "massive Auswirkungen auf den Energiehaushalt der Atmosphäre haben muss." Ein Diskussionspapier dazu hält er für "definitiv unangebracht" und vergleichbar mit einem "Diskussionspapier zur Existenz der Schwerkraft".
Auch Hertwich nennt die Physik hinter der Klimakrise relativ einfach: "Es ist empirisch belegt, dass CO2 und andere Treibhausgase die Infrarotstrahlung, die von der Erde ausgeht, absorbieren und dorthin zurücksenden." Kritiker würden hingegen oftmals "den ersten Hauptsatz der Thermodynamik in Frage stellen, der besagt, das Energie erhalten bleibt und nicht zerstört werden kann".
CO2-Konzentration auf neuem Rekordhoch
Die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre lag 2022 laut aktuellem Bericht der Weltwetterorganisation WMO rund 50 Prozent über dem vorindustriellen Niveau und damit so hoch wie zuletzt vor drei bis fünf Millionen Jahren . Erst heuer wurde ein neuer Rekordwert von fast 425 ppm (Volumenanteil von Kohlenstoffdioxid an der Erdatmosphäre in Millionstelteilen) gemessen. Da CO2 eine lange Lebensdauer hat, werde sich der menschliche Einfluss laut dem WMO-Bericht selbst bei einer totalen Reduktion der Emissionen noch jahrzehntelang auswirken.
Seriöse Forschung zur Klimakrise wird etwa in den regelmäßig erscheinenden Sachstandsberichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen veröffentlicht, auf die sich auch die angefragten Experten beziehen. Laut Hertwich ist dieser "sehr gründlich und wertet tausende von wissenschaftlichen Studien aus."
Huppmann, einer der Co-Autoren des 2018 veröffentlichten IPCC-Sonderberichts über 1,5°C globale Erwärmung , versichert gegenüber der APA die penible Arbeitsweise: "Natürlich werden auch historische Daten regelmäßig überprüft und gegebenenfalls aktualisiert, um ein möglichst konsistentes wissenschaftliches Fundament sicherzustellen."
Menschlicher Einfluss nicht zu leugnen
Kapitel 3 der Arbeitsgruppe I im sechsten IPCC-Sachstandsbericht widmet sich dem menschlichen Einfluss auf das Weltklima . Demnach lassen sich vor allem seit Veröffentlichung des zweiten Sachstandsberichts im Jahr 1995 immer deutlichere Belege dafür finden.
Selbst Klimaskeptiker finden solch Belege, sobald sie sich ausführlicher mit der Materie beschäftigen. Hertwich verweist dazu gegenüber der APA, aber auch in seinem Blogeintrag, auf "Berkeley Earth": Eine Gruppe klimakrisenskeptischer Physiker analysierte vor mehr als zehn Jahren Ergebnisse aus der Klimaforschung und kam zu dem Schluss, dass der CO2-Anstieg der jüngsten Erdgeschichte vor allem menschengemacht ist. Die wesentlichen Eckpunkte fasste das Kollektiv in einem Info-Folder für Skeptiker zusammen.
Die menschliche Verursachung der Klimakrise in Zweifel zu ziehen, ist ein gängiges Narrativ der Klimaskeptiker-Szene. Weitere Charakteristiken klimabezogener Desinformation lassen sich beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), sowie in einer aktuellen Publikation zu Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nachlesen.
(APA/Red)
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