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Facebook: Eingezäunte Gärten und Schwarmintelligenz

Via Facebook blicken jeden Tag Millionen Nutzer in die virtuellen Wohnzimmer von Familie, Freunden und entfernten Bekannten: Vom gerade verspeisten Frühstück (inklusive Foto) bis zum aktuellen Lieblingssong oder dem Aufenthaltsort reichen dabei die geteilten Infos. Und doch ist das nicht alles. "Es gibt blinde Flecken", erklärt Jürgen Musil und verweist damit auf die Algorithmen der Plattform.

“Wenn Sie auf Ihre Wall schauen, sehen Sie Likes und Kommentare Ihrer Freunde – allerdings nur einen Ausschnitt.” Mittels komplexer Analysemethoden werden die einzelnen Beiträge für den jeweiligen Nutzer priorisiert. “Wie das passiert, wissen Sie nicht und Sie wissen entsprechend auch nicht, was Sie verpassen”, betont Musil im APA-Gespräch. Zwar passen sich die Algorithmen immer besser an, allerdings werde nie alles weitergegeben.

“Jede Person hat ja auch nur eine gewisse Zeitspanne pro Tag, die sie diesem System widmen kann”, ergänzt wiederum Stefan Biffl. Entsprechend müsse Facebook für jeden User “das Spannendste daraus machen. Und deshalb sind diese Filter notwendig.” Wie diese funktionieren, könne man von außen nicht erkennen – was aus der Sicht von Facebook erwünscht sei. Letztlich könne so “das Weltbild von völlig unbedarften Facebook-Usern auch ein bisschen verbogen werden”.

Forschung zu kollektiver Intelligenz

An der Technischen Universität Wien arbeiten Musil und Biffl derzeit in einem Projekt zu “Collective Intelligence”-Systemen. Ziel dabei sei, die Leistungsfähigkeit von soziotechnischen Systemen mit menschlichen Fähigkeiten und Kompetenzen zu verknüpfen, im konkreten Fall für den Bereich des Engineerings. Netzwerke im Stile von Facebook werden zusehends auch für nicht sozial geprägte Anwendungen von Bedeutung. Ein Stichwort lautet in diesem Zusammenhang “Schwarmintelligenz”. “Eine nicht koordinierte Menschenmenge bringt nicht viel weiter und Computern fehlen wiederum kognitive Fähigkeiten”, fasst es Biffl zusammen.

Mittels “Collective Intelligence”-Systemen könne man eine große Menge von Leuten organisieren. “Das passiert dabei nicht topdown, sondern bottomup durch Möglichkeiten und Funktionen, die angeboten werden”, so Biffl. “Die Leute organisieren sich selber oder haben zumindest den Eindruck, dass sie selbstbestimmt arbeiten.” Letzteres treffe auch auf Facebook-User zu, die eben nur einen Ausschnitt des Gesamtbildes erhalten.

Der Netzwerkeffekt

Warum aber hat sich diese Plattform im virtuellen, sozialen Austausch durchgesetzt? Aus Sicht der Techniker spielt besonders der Netzwerkeffekt eine Rolle. “Wer die meisten Leute hat, kann auch entsprechend viele weitere Personen anziehen”, betont Biffl. Der Erfolg liegt dabei auch im Zufall begründet, zum richtigen Zeitpunkt das richtige Angebot zu stellen. “Es kann durchaus passieren, dass ein Start-up-Gründer plötzlich Millionär wird und niemand wirklich erklären kann warum.”

Wie ein Datensilo

Der Wechsel von einem sozialen Netzwerk zum nächsten wird dem User durch den geschlossenen Charakter erschwert. “Tim Berners-Lee spricht bei sozialen Netzwerken gerne von sogenannten ‘walled gardens’, also eingezäunten Gärten”, erläutert Musil. “Es ist aber ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es nicht gut, wenn das System Wände aufzieht und wie ein Datensilo alles einsaugt, andererseits ermöglicht diese strukturierte Einsammlung erst die effektive Verteilung der Information.”

Dass man als Facebook-User einfach in ein anderes soziales Netzwerk kommunizieren bzw. seine Daten bei einem Wechsel dorthin mitnehmen kann, glauben die Experten nicht. “Facebook hat kein Interesse an einer Öffnung”, unterstreicht Biffl. “Facebook punktet weniger durch Funktionen mit Alleinstellungsmerkmal, sondern vor allem durch die große Menge existierender Nutzer.”

Die Größe macht es

Wenn ein System rennt und eine gewisse Größe erreiche, “wird es wirklich ‘sticky'”, ergänzt Musil. “Die Investitionen, die jemand in seine Daten gemacht hat, hält ihn im Netzwerk”, meint Biffl hinsichtlich der Trägheit eines möglichen Umstiegs. Ein neues Netzwerk müsste entsprechend mit “einem noch spannenderem Angebot” die notwendigen Zeitkosten für eine Migration der Daten kompensieren. Sofern dies überhaupt zur Gänze möglich ist.

Die Zukunft von Facebook sehen die Experten nicht zuletzt in einem weiteren Angebot. “Sie werden versuchen, ihr Terrain weiter auszubauen. Entweder mit einer eigenen, neuen Plattform, oder einem Zukauf”, so Musil. Biffl zufolge könnte man sich damit “an Facebook-Verweigerer richten und ihnen eine zweite Marke anbieten”. Die Plattform selbst laufe aber stabil. “Sie agieren global und es gibt im Prinzip keine Autorität, die ihnen effektiv eine Änderung der Geschäftspraktiken vorgibt. Wenn sie keinen extremen Fehler machen, werden sie die Märkte auch behalten.”

(APA)

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