Ex-Spielsüchtiger berichtet: „Das Glück verlässt einen schnell"
Begonnen hat alles im Jahr 1991. Rainer erhält eine größere Summe Geld aus Sachsen, von wo aus er zwei Jahr zuvor nach Westdeutschland geflüchtet war. Der Mann geht ins Casino in seiner neuen Heimat Lindau, setzt sich an den Roulettetisch. Er gewinnt und gewinnt. Drei Tage später hat er bereits 16.000 DM gewonnen. „Das war der Anfang vom Ende”, meint er im Rückblick.
„Hab geglaubt, ich sei Mathematiker”
Sieben Jahre tingelt Rainer von Casino zu Casino. Er nimmt zum Teil weite Wege auf sich, nur um seine Spiellust zu befriedigen. Auch ein wenig Selbstüberschätzung ist mit dabei: „Ich hab’ gemeint, ich sei Mathematiker, habe nur auf ganze Zahlen gesetzt – und das mit hohen Beträgen.” Irgendwann überwiegen die Verluste die Gewinne. Rainer, bis dahin ein erfolgreicher Geschäftsmann, muss seine Mitarbeiter entlassen. Schließlich verliert er sein Geschäft, und auch seine damalige Freundin hat irgendwann genug.
Vom Roulette zum Spielautomaten
Rainer muss eine neue Arbeit annehmen. Er zieht sich immer mehr zurück, trinkt viel. Nur die Kinder bleiben ihm noch. Das Spielen kann er dennoch nicht lassen. Roulette übersteigt irgendwann seine Mittel. Dafür üben Spielautomaten eine immer stärkere Anziehungskraft auf ihn aus: „Das hat dann noch schlimmere Auswirkungen gehabt, weil es jeden Tag machbar war – auch unter Alkoholeinfluss.” Oft hat Rainer am fünften oder sechsten Tag des Monats kein Geld mehr, muss seinen Chef um einen Vorschuss anpumpen. Seine Familie und seine Freunde sieht er in dieser Zeit kaum mehr.
2009 der Einschnitt
Knapp zehn Jahre lebt Rainer auf diese Art. 2009 dann der Einschnitt: Er muss sich vor Gericht verantworten. Der damals 50-Jährige wird zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, von denen er eines absitzt. Diese Erfahrung stärkt seinen Entschluss, Schluss zu machen mit dem Spielen. 2010 zieht er nach Österreich, beginnt eine Therapie im Beratungszentrum Clean in Feldkirch. Dort hat er im wöchentlichen Wechsel Einzelgespräche mit seiner Therapeutin und Gruppentherapie mit anderen Suchtkranken.
„Gewinnen, gewinnen, gewinnen”
„Gewinnen, gewinnen, gewinnen” – so beschreibt Rainer die Anziehungskraft, die das Glücksspiel 20 Jahre auf ihn ausgeübt hat. „Man denkt jeden Tag, jede Sekunde nur noch an diesen Moment, als man gewonnen hat. An die Verlustmomente denkt man überhaupt nicht mehr.” Auch die Tatsache, dass man im Casino ausschließlich mit Jetons hantiert, habe seinen Teil beigetragen. „Man legt gar keinen Wert darauf, was das für Summen sind”, schildert Rainer seine Erfahrung. „Am Anfang hat man Glück, aber das Glück verlässt einen schnell.” Die 400.000 Euro Schulden, die er in vielen Jahren Spielsucht angehäuft hat, muss Rainer immer noch abbezahlen.
Mehr als 60.000 Süchtige
Rainer ist mittlerweile kein Einzelfall mehr. Rund 64.000 Menschen in Österreich sind spielsüchtig. Oft ist es ein komplexes Netz aus Faktoren, das die Menschen in die Sucht treibt, erklärt Christine Köhlmeier von Clean Feldkirch. Am stärksten betroffen sind junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren. Clean hilft diesen Menschen bei der Rückkehr ins Leben. In ambulanter Therapie lernen Betroffene und ihre Angehörigen Strategien kennen, um Alternativen zur Sucht zu entwickeln. Für besonders schwere Fälle gibt es seit 2012 zudem die Möglichkeit einer ambulanten Therapie in der Stiftung Maria Ebene. Acht Wochen dauert diese Therapie und besteht aus Einzel- und Gruppengesprächen. „Es ist ein sehr geschützter Bereich, in dem die Menschen einen Anfang setzen können”, erklärt Köhlmeier.
„Geht nie aus dem Kopf raus”
Rainer geht es heute besser als noch vor ein paar Jahren. Dass er seinen Eltern und seinen Freunden wieder in die Augen schauen kann, gibt ihm Zuversicht. Gleichzeitig weiß er, dass er noch lange kämpfen müssen wird: „Das ist ein Prozess, der nie endet, der für mich bis zu meinem Lebensende weitergeht. Diese Spielsucht wird aus dem Kopf nie rausgehen.” (MST)
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