EU-Wahl: So werden die Jungen trotz TikTok-Verbots erreicht

Nur eine Woche nachdem die EU-Kommission im Februar ihren Mitarbeitern die Nutzung der TikTok-App auf ihren Diensthandys verboten hatte, zog auch das EU-Parlament für seine parlamentseigenen Geräte nach. Die Gründe sind dieselben: Bedenken in Hinblick auf die Cybersicherheit. TikTok ist besonders in der jüngeren Generation beliebt und daher auch ein Faktor bei der bevorstehenden Europawahl.
Die zum chinesischen Bytedance-Konzern gehörende Videoplattform hat weltweit rund eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer. TikTok wird schon lange unzureichende Datensicherheit und ein Mangel an Schutz junger Nutzerinnen und Nutzer vorgeworfen. Befürchtet wird etwa, dass der chinesische Staat Zugriff auf TikTok-Daten haben könnte. TikTok weist das zurück.
Die EU ist mit ihren Bedenken nicht alleine: In Österreich nutzen nach Angaben des Unternehmens 2,1 Millionen Menschen die Kurzvideo-App zumindest monatlich und damit beinahe jede vierte Person. Auch Österreich setzte TikTok mittlerweile auf die Liste der verbotenen Apps auf Diensthandys des Bundes, ebenso eine Reihe west- und nordeuropäischer Staaten sowie die USA und Australien.
Seit Inkrafttreten des "Digital Services Act" im August drohen Social-Media-Plattformen künftig auch saftige Geldstrafen, wenn sie nicht stärker gegen illegale Inhalte wie Hass und Terrorpropaganda vorgehen. TikTok hat nach eigenen Angaben im September in der EU rund vier Millionen als "schädlich" gemeldete Videos gelöscht.
Influencer als politische Waffe: Wie Europaabgeordnete TikTok trotz Verbot nutzen
Europaabgeordnete versuchen nichtsdestotrotz, auch auf TikTok vorzukommen, um Jungwähler so zu erreichen. Ein Weg dazu ist die Zusammenarbeit mit Influencern ("Content Creators"), die auf der Plattform vertreten sind.
"Ganze 68 Prozent der 11- bis 17-Jährigen in Österreich nutzen TikTok, ein Großteil davon sogar täglich - das kann man als Politikerin selbstverständlich nicht ignorieren, wenn man diese Menschen erreichen will", erklärt die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyn Regner (SPÖ), gegenüber der APA. Anders als für Parlamentsmitarbeiter gilt für die Europaabgeordneten kein Verbot, aber die Empfehlung, den chinesischen Dienst nicht auf ihre Handys zu installieren. Außerdem wird TikTok über das hausinterne Netzwerk geblockt. "Einige Abgeordnete haben daher den Umweg gewählt, TikTok auf einem Gerät zu installieren, das nicht mit dem Netzwerk des EU-Parlaments verbunden ist, um trotzdem die jüngeren Wählerinnen und Wähler auf diesem Weg zu erreichen", so Regner.
Formate mit Influencern seien eine interessante Möglichkeit, "die wir laufend nutzen, um junge Menschen über ihre Vorbilder ansprechen zu können und somit auch Personen erreichen, die vielleicht sonst wenig Bezug zur Politik oder den besprochenen Themen haben", erläutert die Vizepräsidentin des EU-Parlaments weiter. "Dieser Schritt aus der eigenen 'Bubble' hinaus ist immer eine Bereicherung für beide Seiten." Gleichzeitig erhielten die Parlamentarier durch Influencer oft einen Vertrauensvorschuss - in Zeiten, in denen das Vertrauen in die Politik abnehme.
Als Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation nennt Regner eine Live-Diskussion auf Instagram ("Insta-Live") mit dem polnischen Topmodel Anja Rubik während der "European Gender Equality Week". Diese sei "ein voller Erfolg" gewesen. Live-Diskussionen in den Sozialen Medien würden "gut und gerne, insbesondere von jüngeren Menschen angenommen".
Soziale Medien als Wahlkampfarena: Herausforderungen und Chancen
Für Regner ist der virtuelle Raum aber kein Ersatz für den "echten" Austausch mit jungen Menschen, etwa in Schulen oder auf der Straße. "Meiner Meinung nach erhält man nur so ein echtes und von Algorithmen unverzerrtes Bild, was die Menschen wirklich bewegt. Insbesondere da Desinformation und Fake News gerade leider überall im Internet zu finden sind", sagt die Europaabgeordnete.
Jungwähler primär über soziale Medien erreichbar
Wer im Zuge der EU-Wahl Jungwähler erreichen will, muss auf soziale Medien setzen. Denn diese informieren sich überdurchschnittlich stark dort, stellten Digital-Expertin Ingrid Brodnig und Markus Zimmer, Geschäftsführer der Social Media Marktforschungsagentur Buzzvalue, im Gespräch mit der APA fest. Dass Instagram, Youtube, TikTok und Co. eine große Rolle spielen, bringt Herausforderungen wie Fake News und Social-Media-"Bubbles" mit sich.
Brodnig hob vor allem die Bedeutung von Youtube und Instagram für das junge Publikum hervor. So nutzen laut Digital News Report 2023 des Reuters Institutes 61 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Österreich, die Internet haben, Youtube, 59 Prozent Instagram, 31 Prozent TikTok - laut Brodnig ein "ganz besonders junger Kanal" - und nur 25 Prozent Facebook. Zimmer nennt Instagram und TikTok als jene Kanäle, über die Jungwähler gut erreichbar seien. Facebook hingegen sei zwar immer noch eine vielgenutzte Plattform, junge User würden dort aber kaum nachkommen. Auch X (vormals Twitter) habe Relevanz - was dort passiere, könne sich am nächsten Tag in den Zeitungen wiederfinden.
Heimische Parteien sowie Spitzenkandidaten würden nun vermehrt TikTok nutzen, "Facebook und Instagram sowieso", meinte Zimmer. Er geht davon aus, dass Andreas Schieder und Harald Vilimsky, die wohl für SPÖ bzw. FPÖ als Spitzenkandidaten antreten, auf alle Kanäle setzen werden. Traditionellerweise bespiele die FPÖ die sozialen Medien am umfangreichsten und mitunter auch am professionellsten, meinte Zimmer. Auch Brodnig räumt der FPÖ vor allem auf Youtube einen Startvorteil ein, wo diese den Kanal "FPÖ TV" aufgebaut hat, der derzeit bei rund 200.000 Abonnentinnen und Abonnenten hält. Bei der Jugend können Parteien online außerdem mit für sie relevanten Themen punkten - etwa der Klimakrise.
Jungwähler stoßen in den sozialen Medien auf eine andere Art der politischen Kommunikation als in klassischen Medien. Diese sei typischerweise weder witzig, noch kurz - zwei Aspekte, die aber auf TikTok besonders gefragt seien, meinte Brodnig. Auch auf Instagram müsse man sich kurz halten, außerdem erlaube die Plattform wenig Text und sei sehr bildlastig. Das erfordere einen Fokus auf die Kernthemen, die am besten häufig wiederholt werden, um die Anliegen der Partei zu verdeutlichen. In den sozialen Medien werde außerdem auf Personalisierung gesetzt. Auch durch Investitionen können Wahlwerbende in sozialen Medien besonders sichtbar werden.
Fake News und 'Bubbles'
Zimmer sieht für Kandidaten und Parteien einige Vorteile von sozialen Medien. Sie können dort etwa einseitig - ohne journalistische Fragen oder Einordnung - Botschaften verbreiten. Auch können sie entscheiden, welche Gruppen welche Botschaften sehen. Zielgruppengerechte und auf die jeweilige Plattform zugeschnittene Postings seien denn auch ein Erfolgsrezept. Andererseits würden sich auch Fehler schnell verbreiten, weist Zimmer etwa auf das "Burger-Video" von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hin.
Grundsätzlich seien soziale Medien dennoch keine schlechte Quelle für Informationen, meinte Brodnig. Wer sich hier informiert, ist allerdings auch vor Falschmeldungen nicht gefeit. Fake News, die die EU in ein schlechtes Licht rücken, die Brüsseler Bürokratie etwa als volksfern oder korrupt darstellen, würden etwa von EU-skeptischen Accounts kommen. Auch hält es Brodnig für wichtig, darauf zu achten, ob mittels Falschmeldungen eine Beeinflussung aus Russland im Wahlkampf stattfindet. Zimmer warnt indes vor der durch Algorithmen gestützten "Bubble", in der man sich auf Social Media befindet. Folge man auf Dauer nur einem Spitzenkandidaten oder einer Partei, so sehe man mehr und mehr Inhalte davon, andere Ansichten finden den Weg in die Timeline nicht.
Während Zimmer mutmaßt, dass junge Menschen vor allem das wahrnehmen, was in ihre Timeline gespült werde, spricht Brodnig ihnen eine im Vergleich zu anderen Altersgruppen höhere, aber nicht bei allen gleich stark ausgeprägte digitale Kompetenz zu. Bei ihnen sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie im Internet überprüfen, ob eine Behauptung stimme. Sie rät Jungwählern, auch online möglichst hochwertige Quellen wie etablierte Medien heranzuziehen und Quellen kritisch zu betrachten.
Doch wie bedeutsam sind "Likes" für das Wahlergebnis? Ein Vernachlässigen sozialer Medien könne einen deutlich negativen Effekt auf das Wahlergebnis haben, meinte Zimmer. Nicht jedes "Like" sei aber eine Wählerstimme. Allerdings befördere jede Interaktion den Algorithmus und sei ein Zeichen von Relevanz des geposteten Inhalts, meinte er. Soziale Medien könnten ein "zusätzlicher Boost" sein, indem Wähler nochmals mit Inhalten und Kandidaten in Kontakt kommen, erklärte Brodnig, fügte aber hinzu, dass ihre Bedeutung für den Ausgang einer Wahl auch überschätzt werden könne.
(APA/Red)
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