EU-Parlament vs. Nationalrat: Das sind die Unterschiede

Für beide gilt ein ähnliches Wahlrecht mit Listen, Vorzugsstimmen und einer Sperrklausel. In ihrer Zusammensetzung und Arbeitsweise unterscheiden sich die beiden Volksvertretungen aber wesentlich. Ein Überblick:
Unterschiede zwischen EU-Parlament und Nationalrat: Ein Überblick
ABGEORDNETENZAHL: Der Nationalrat hat 183 Abgeordnete, das Europaparlament 720, davon 20 aus Österreich. Während die Nationalratsmandate proportional verteilt werden, gibt es im Europaparlament eine überproportionale Vertretung kleinerer Staaten. So repräsentiert ein EU-Abgeordneter aus Malta gut 86.000 Einwohner, während es bei einem seiner deutschen Kollegen etwa zehn Mal so viele sind.
ORGANISATION: Beide Parlamente haben eine Amtszeit von fünf Jahren. Anders als in Österreich hat es auf EU-Ebene aber noch keine vorgezogenen Neuwahlen gegeben. In beiden Parlamenten wird nach der Wahl zunächst die Führung gewählt. Der Nationalrat hat drei Vorsitzende, die entsprechend der langjährigen Übung den drei stärksten Fraktionen zustehen. Im Europaparlament ist die Besetzung des Präsidentenposten dagegen Gegenstand von politischen Verhandlungen nach der Wahl und auch Teil des größeren Kuhhandels um die EU-Topjobs. Zur Hälfte der Legislaturperiode werden alle Spitzenposten neu besetzt. Dies sind auch die 14 Vizepräsidentenposten, deren Nominierungsrecht proportional auf die Fraktionen verteilt wird, die mit Verwaltungsaufgaben betrauten fünf Quästoren sowie die Ausschussvorsitzenden.
FRAKTIONEN: Im Nationalrat sind fünf Parteien (ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne, NEOS) vertreten, womit das österreichische Parlament zu den am wenigsten zersplitterten Europas gehört. Das Europaparlament hat sieben Fraktionen (Sozialdemokraten, Volkspartei, Liberale, Grüne, Rechtskonservative, Rechtspopulisten und Linke). Dass es nicht noch mehr sind, liegt an den hohen Hürden für die Fraktionsbildung. Für eine EP-Fraktion braucht es nämlich mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedsländern. Daher sind aktuell 46 EU-Abgeordnete fraktionslos. Im Nationalrat gibt es derzeit eine fraktionslose Abgeordnete. Ein Klub im Nationalrat muss mindestens fünf Abgeordnete haben und kann nur zu Beginn der Legislaturperiode gebildet werden.

Klubzwang gibt es im Europaparlament nicht
KLUBZWANG: Diesen gibt es im Europaparlament nicht. Seine Fraktionen sind nämlich lose Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die sich in nationalen Delegationen gruppieren. So bilden etwa die sieben ÖVP-Abgeordneten eine eigene Delegation innerhalb der 177 Mandatare zählenden Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Praktisch bei jeder Abstimmung gibt es mehrere "Abweichler" von der Fraktionslinie. Im Nationalrat ist es umgekehrt, dort votieren die einzelnen Abgeordneten nur selten gegen die Linie des eigenen Klubs. Formell gibt es weder dort noch da einen Klubzwang, die Freiheit des Mandats gehört zu den wesentlichen Grundlagen des Parlamentarismus.
REGIERUNG UND OPPOSITION: Im Nationalrat gibt es eine politische Zwei-Klassen-Gesellschaft aus Regierungs- und Oppositionsparteien, die sich nach jeder Wahl neu ordnen. Die Abgeordneten der Regierungsparteien setzen ein in Koalitionsverhandlungen vereinbartes Regierungsprogramm um. Dieses enthält in der Regel auch die Bestimmung, dass die jeweiligen Parteien einander nicht überstimmen dürfen. Die Oppositionsparteien haben damit praktisch keine Aussicht auf Erfolg mit eigenen Vorstößen. Im Europaparlament gibt es nur eine lose Koalition, die für die Wahl von Spitzenposten gebildet wird.
GESETZGEBER: Das Europaparlament hat durch verschiedene EU-Vertragsänderungen sukzessive Befugnisse bekommen und kann mittlerweile in fast allen Politikbereichen gesetzgeberisch tätig sein. Große Ausnahmen sind etwa die Außen- und Verteidigungspolitik sowie das EU-Vertragsrecht, bei dem die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erforderlich ist. Dagegen sind die Befugnisse des österreichischen Parlaments praktisch unbeschränkt. Lediglich eine Gesamtänderung der Bundesverfassung kann es nicht allein beschließen - dafür braucht es eine Volksabstimmung.
Nationalrat und Europaparlament können nicht alleine als Gesetzgeber tätig werden
ZWEITE KAMMER: Weder Nationalrat noch Europaparlament können alleine als Gesetzgeber tätig werden. Während es aber auf EU-Ebene ein gleichberechtigtes Zwei-Kammern-System gibt und sich das Europaparlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren mit dem Rat der Europäischen Union bestehend aus nationalen Regierungsmitgliedern einigen muss, hat Österreich einen sogenannten asymmetrischen Bikameralismus: Der Bundesrat als Länderkammer des Parlaments kann Gesetzesbeschlüsse zwar beeinspruchen, doch hat dies in den allermeisten Fällen nur aufschiebende Wirkung.
INITIATIVRECHT: Eines der wesentlichen parlamentarischen Rechte ist den EU-Abgeordneten bisher verwehrt geblieben: Sie können nicht selbst Gesetze vorschlagen. Das Initiativrecht liegt fast ausschließlich bei der EU-Kommission, die seit dem EU-Vertrag von Lissabon auf Ersuchen der Parlamentarier tätig werden muss. Ein direktes Initiativrecht hat das Europaparlament nur in Bezug auf die Regeln für seine eigene Zusammensetzung, die Europawahl und die Aufgaben der Europaabgeordneten. Im Nationalrat gibt es zwar sogenannte Initiativanträge von (mindestens fünf) Abgeordneten, doch spielen sie im Vergleich zu Regierungsvorlagen eine untergeordnete Rolle. Die Nationalratsabgeordneten haben nämlich oft zu wenig Ressourcen, um selbst Gesetzesanträge ausarbeiten zu können.
INTERPELLATIONSRECHT: Das Fragerecht der Abgeordneten wird im Europaparlament großzügiger gehandhabt als im Nationalrat. Jeder EU-Abgeordnete darf schriftliche Anfragen an die EU-Kommission stellen, im Nationalrat sind einzelnen Mandataren nur mündliche Anfragen an Regierungsmitglieder erlaubt. Für schriftliche Anfragen an Minister braucht es die Unterstützung von mindestens fünf Nationalratsabgeordneten.
Europaparlament und Nationalrat organisieren Arbeit in Ausschüssen
AUSSCHUSSARBEIT: Europaparlament und Nationalrat organisieren ihre Arbeit in Ausschüssen, in denen Gesetzesvorschläge beraten und ausgearbeitet werden, ehe sie im Plenum beschlossen werden. Eigens gewählten Berichterstattern obliegt es, die Arbeit zu koordinieren und dann auch - unterstützt durch einen entsprechenden Bericht - im Plenum zu präsentieren.
PLENUM: Bindende Beschlüsse erfolgen in beiden Parlamenten im Plenum, der Versammlung aller Abgeordneten. Der Tagungskalender des Europaparlaments ist rigide: Es findet pro Monat eine Plenarsitzung von vier Tagen am Parlamentssitz in Straßburg statt, darüber hinaus gibt es die Möglichkeit von kürzeren Plenarsitzungen am Zweitsitz in Brüssel, wo auch die Ausschusssitzungen stattfinden. Auffällig sind die zahlreichen Abänderungsanträge im Plenum vor der Schlussabstimmung. Sie dienen Abgeordneten dazu, ihre (abweichenden) Standpunkte öffentlich noch einmal klar zu machen. Der Nationalrat tritt pro Monat für zwei bis drei Tage zu Plenarsitzungen zusammen, auf Antrag von mindestens 20 Abgeordneten können auch Sondersitzungen stattfinden.
UNTERSUCHUNGSAUSSCHÜSSE: Eine wichtige Rolle des Parlaments ist die Kontrolle. Das öffentlichkeitswirksamste Mittel in diesem Zusammenhang ist die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. In beiden Parlamenten handelt es sich dabei um ein Minderheitenrecht. Es reicht jeweils der Antrag von einem Viertel der Abgeordneten, damit ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird.
Europaparlament liegt mit Transparenz vor dem Nationalrat
TRANSPARENZ: Diesbezüglich liegt das Europaparlament meilenweit vor dem Nationalrat. In der EU-Volksvertretung sind die für die Gesetzgebung relevanten Dokumente wie Anträge oder Berichte öffentlich zugänglich, neben dem Plenum tagen auch alle Ausschüsse öffentlich. Im Nationalrat tagen die Ausschüsse in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Anträge sind oft nur auf Anfrage und mit Verzögerung zu erhalten. Ähnlich ist die Situation beim Abstimmungsverhalten: Im Nationalrat gibt es keine Abstimmungsmaschine, namentliche Abstimmungen nur in Ausnahmefällen und auf Antrag. Dagegen lässt sich im EU-Parlament genau nachvollziehen, welcher Mandatar wie abgestimmt hat.
WAHLFUNKTION: Das Europaparlament hat dem Nationalrat eine weitere Befugnis voraus: Es wählt die Exekutive, und das gleich mehrfach. Das Europaparlament wählt die - von den EU-Staats- und Regierungschefs nominierte - EU-Kommissionspräsidentin und muss danach auch ihrem Team aus 27 Kommissaren (einer pro Mitgliedsland) die Zustimmung erteilen. Die designierten Kommissare müssen sich davor in den zuständigen Parlamentsausschüssen Hearings stellen. Immer wieder fallen Kandidaten bei den harten Befragungen durch die Abgeordneten durch. Nichts dergleichen gibt es im Nationalrat: Weder Bundeskanzler noch Minister müssen sich der Wahl durch die Abgeordneten stellen, sie werden einfach vom Bundespräsidenten ernannt. Freilich kann der Nationalrat eine Regierung oder einzelne Minister jederzeit per Misstrauensvotum stürzen. Dieses Recht hat das Europaparlament in Bezug auf die EU-Kommission auch.
(APA/Red)
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