Eine junge Mutter im salbeigrünen Mantel steht am Busbahnhof, auf der Bank vor ihr spielen lachend ihre kleinen Töchter, von Kopf bis Fuß in Rosa gekleidet. Die kleine Familie ist an diesem Nachmittag ein Farbtupfer im Grau des Bahnhofs Dornbirn. Doch kurz einmal weggeschaut sind die drei fort, ein junger Mann mit Jogginghose und Energy-Drink hat ihren Platz eingenommen. Aus Salbeigrün und Rosa wird wieder Schwarz und Grau.
Der Dornbirner Bahnhof hat keinen guten Ruf und das nicht erst seit dem Messerangriff dreier 15-Jähriger auf einen 32-jährigen Mann Anfang April (WANN & WO berichtete). Viel wird seitdem wieder über den Bahnhof und seine Menschen diskutiert. Doch was dabei oft vergessen wird, sind jene Menschen, für die die Gegend ihr Zuhause, ihr täglicher Arbeitsweg oder gar ihr Arbeitsort selbst ist. WANN & WO sprach mit diesen Menschen: mit Pendlern, Sozialarbeitern, Café-Mitarbeitern und Anwohnern.
Als Anwohner direkt betroffen
Einer von ihnen ist Carsten Spei. Er wohnt seit fünf Jahren in dem Hochhaus am Bahnhof, vom Balkon aus hat er die Lage täglich im Blick. „Es war einmal ein schöner Bahnhof“, erzählt er. Doch diese Zeiten seien vorbei. „Bei gutem Wetter hängen manche, vor allem junge Leute, den ganzen Tag hier herum.“ Dabei würden sie Alkohol trinken und irgendwann komme es schließlich zu Konflikten – auch handfesten. Dabei gilt auf dem Bahnhofsgelände Alkoholverbot, Security-Mitarbeiter sind im Einsatz und auch die neue Polizeiwache wurde neben dem Bahnhof errichtet, mit dem Ziel, dort für mehr Sicherheit zu sorgen. Geholfen habe all das aber nicht, wie Anwohner Carsten kritisiert. „Man muss nur ein paar Minuten von meinem Balkon schauen, dann hat man genug gesehen.“
Knackpunkt WLAN-Hotspots?
Durch seine Erfahrungen als Anwohner hat der Dornbirner, der sein Bild nicht in der Zeitung sehen möchte, Ursachen für die konfliktreiche Situation ausgemacht: „Es gibt drei WLAN-Hotspots am Bahnhof.“ Diese würden viele Menschen – und eben jene sozial schwachen, die auf den öffentlichen Internetzugang angewiesen seien – anziehen. Und einmal da, würden sie praktisch „den ganzen Tag“ bleiben und zu Konflikten führen. Seine Lösung: „An vielen deutschen Bahnhöfen ist nach einer Stunde WLAN-Nutzung für den restlichen Tag Schluss. Warum führt man das nicht auch in Dornbirn ein?“ Darüber hinaus sollten seiner Meinung nach zivile Polizisten eingesetzt werden – und eine weitere, kleinere Polizeiwache eingerichtet werden. Diese habe vor allem symbolischen Charakter, „da die große Wache ja eh 100 Meter weiter ist. Aber ein Polizeischild, das vom Bahnhofsplatz gut zu sehen ist, würde allein schon Wunder bewirken.“
„Explosive Mischung“
Gleich um die Ecke von Carsten Speis Hauseingang steht Hüsnü vor dem Café seiner Frau und plaudert mit den Stammgästen. Das freundliche Lächeln fällt ihm aus dem Gesicht, als das Gespräch auf die Situation am Bahnhof zu sprechen kommt. „Die Lage hier ist sehr schlecht. Und sie wird immer schlechter“, bekräftigt er im Gespräch mit WANN & WO. Hüsnü kam selbst aus der Türkei nach Vorarlberg, aber findet trotzdem deutliche Worte für das aktuelle Problem: „Früher gab es hier – vereinfacht gesagt – Österreicher, Türken und Kroaten. Man wusste, wer zu welcher Gruppe gehört und konnte sich entsprechend verhalten. Heute aber treffen hier sehr viele unterschiedliche Kulturen aufeinander, die sich teilweise untereinander auch nicht verstehen oder sich gar feindlich gesinnt sind. Das ist eine explosive Mischung.“
Kein ruhiger Abend
Mittlerweile ist es dunkel geworden am Bahnhof Dornbirn. Mit dem Tageslicht ist auch das Sicherheitsgefühl gegangen. Wo Menschenmengen und anonymes Desinteresse tagsüber noch Sicherheit gaben, rufen direkte Blicke und vereinzelte Gruppen nun ein mulmiges Gefühl hervor. An einigen ist zudem der Tag voller Trinken nicht spurlos vorüber gegangen: Männer streiten sich, wenn auch mit vom Alkohol lahmer Zunge, eine Frau mischt sich ein, auch sie ist sichtlich betrunken. Carsten Spei und seine Nachbaren werden auch heute wieder keinen ruhigen Abend haben.

„Man wird angebettelt und angeschrien“
Wir kommen aus Lustenau und gehen in Dornbirn zur Schule, sind also regelmäßig am Bahnhof. Die Situation hier hängt unserer Erfahrung nach stark von der Tageszeit ab: Tagsüber geht es, aber spätabends würden wir uns weniger sicher fühlen und uns mehr umschauen. Ein Kollege von uns ist hier auch schon unvermittelt geschlagen worden. So etwas ist uns selbst noch nicht passiert, aber wir wurden schon mehrfach aggressiv angebettelt. Wenn man dann kein Geld gibt, wird man auch schon mal angeschrien.
Niklas (16), Leyt (17) und Ada (16)

„Mulmiges Gefühl“
Der Dornbirner Bahnhof hatte ja schon vor dem Messerangriff keinen guten Ruf, aber jetzt ist es noch einmal schlimmer geworden. Ich selbst versuche ihn zu meiden, so gut es geht. Wenn ich dann aber doch einmal hierher muss, schaue ich immer hinter mich oder achte darauf, eine Wand im Rücken zu haben. Abends würde ich allein nicht herkommen, ich habe ja schon tagsüber ein mulmiges Gefühl.
Emma, 18 Jahre

„Werden angeschaut“
Wir wohnen in Hohenems und sind hin und wieder am Bahnhof, wenn wir nach Dornbirn fahren. Probleme hatten wir selbst hier noch nie und haben auch kein ungutes Gefühl. Dass wir als Ausländer aber auch mal schräg angeschaut werden, bekommen wir schon mit.
Ali (19), Zaid (21) und Mustafa (25)

„Habe dicke Haut“
Ich bin Sozialarbeiterin. Wahrscheinlich habe ich dadurch eine „dickere Haut“, denn ich muss sagen, ich fühle mich sicher. Ich kann aber sehr gut verstehen, wenn sich Menschen am Bahnhof unwohl fühlen und Angst haben. Als Sozialarbeiterin verstehe ich auch, warum gerade der Bahnhof so ein Treffpunkt ist: Viele sozial schwache Menschen können sich kein Auto leisten und sind auf Öffis angewiesen. Die laufen hier zusammen, das ist ideal. Außerdem gibt es Einkaufsmöglichkeiten, Cafés, Bäckereien und Gesellschaft. Lisa, 29 Jahre

„Geht bergab“
Ich arbeite in einem Café am Bahnhof und bekomme die Lage hier täglich mit. Es ist schlimm und es geht stetig bergab. Vor allem das Aufeinandertreffen von so vielen verschiedenen Kulturen birgt Konfliktpotential. Und die aggressive Bettelei wird immer schlimmer. Die Bettler kommen sogar schon zu uns ins Geschäft.
Hüsnü, 65 Jahre
(WANN & WO)
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