AA
©Wes Hicks, unsplash.com/@sickhews

„Es muss nicht jeder an die Uni, um Programmieren zu können“

Lösungen für knifflige wissenschaftliche Fragen – Markus Diem findet sie. Der 35-jährige Dornbirner entwickelt unter anderem Software für die Krebsforschung und half mit, geheime Stasi-Akten zu rekonstruieren.
Kindheit gestalten
Digitales Nomadenleben
Digital Campus V

Dass Markus Diem als Software-Entwickler an der Technischen Universität in Wien Karriere machen würde, hätte er sich nach seiner Matura selbst nicht vorstellen können. Ursprünglich wollte der Dornbirner Grafikdesigner werden und landete eher zufällig im Bereich der Informatik. Heute ist Markus Diem auf internationalen Konferenzen unterwegs, unterrichtet an der TU Wien und entwickelt bahnbrechende Softwares. Was man als Spezialist für Dokumentenanalyse mit zerrissenen Stasi-Akten, alten Schriftzeichen und leukämiekranken Kindern zu tun hat, erzählt er im Interview.

Sie wollten nach der Matura einen künstlerischen Weg einschlagen, sind dann aber in der Informatik gelandet. Wie kam das?

Ich bin gerne kreativ, male und zeichne sehr gerne, deshalb war mein Plan, nach der Matura an der Universität für Angewandte Kunst in Wien Grafikdesign zu studieren. Nachdem ich aber die Aufnahmeprüfung nicht geschafft und keinen Plan B hatte, musste ich mich innerhalb einer Woche nach einer anderen Studienrichtung umsehen, denn ich wollte unbedingt nach Wien.

Geworden ist es Informatik an der TU Wien. Hatten Sie entsprechende Vorkenntnisse?

Nein, überhaupt keine. Ich hatte die AHS-Matura am Dornbirner Stadtgymnasium gemacht und mit Programmieren nichts am Hut. Die ersten drei Semester waren dann richtig hart, im ersten Semester bin ich gleich hochgradig durchgefallen.

Den ganzen Tag am Computer sitzen, ist Ihnen das Kreative nicht abgegangen?

Programmieren ist irre kreativ, man sieht es halt nicht, weil es nichts Bildendes ist oder etwas das man hören kann, wie Musik. Es hat natürlich schon sehr viel mit Logik zu tun, aber ich kann meine kreative Ader genauso ausleben wie im bildnerischen Bereich, nur das Handwerk ist eben nicht dabei.

Geheime Stasi-Akten, alte Schriftzeichen, krebskranke Kinder: Wie hängt das zusammen?

Es geht immer um maschinelles Lernen. Am Beginn eines Projektes sammeln wir Daten und erstellen Datensätze, die dem entsprechen, was wir eigentlich machen wollen, damit wir wissen, wie etwas theoretisch sein soll. Wir, das sind meine Kollegen Florian Kleber und Michael Reiter, der übrigens einer meiner Dozenten war und jetzt mein Arbeitskollege ist – was ich sehr cool finde. Dann fangen wir an zu implementieren und designen Algorithmen, die das Problem lösen. Wie bei unserem derzeitigen Projekt AutoFLOW. Da geht es um die Erkennung von Leukämie.

Man spürt, dass dieses Projekt eine Herzensangelegenheit für Sie ist.

Ja, das Projekt ist mir extrem wichtig. Seit 2014 gibt es eine Kooperation mit Prof. Michael Dworzak vom St. Anna Kinderspital. AutoFLOW ist eine Software, die Krebszellen erkennt und analysiert. Anhand dieser Ergebnisse kann die Therapie angepasst und Folgeschäden durch eine zu hoch dosierte Chemotherapie können vermieden werden. Das ist gerade bei Kindern unheimlich wichtig. Bisher stellt noch der Mensch fest, wie stark der Krebs ist, indem er händisch die kranken Zellen markiert. Die Krebszellen zu finden ist sehr zeitaufwändig und erfordert viel Fachwissen und Erfahrung. Wir haben eine Software entwickelt, die das genauso gut kann. Das Ergebnis liegt nach zehn Sekunden vor und ist dabei natürlich viel objektiver. Jetzt gehen wir in die nächste Phase, vorausgesetzt, wir bekommen die entsprechenden finanziellen Mittel genehmigt.

Was hat es mit den Stasi-Akten auf sich?

Das war ein Projekt, zu dem ich meine Diplomarbeit und Dissertation gemacht habe. Es ging darum, geheime Stasi-Akten, die nach dem Fall der Berliner Mauer säckeweise zerrissen wurden, zu rekonstruieren. Wir haben für die renommierte Berliner Fraunhofer Gesellschaft eine Software entwickelt, die dabei half, die Schnipsel wie ein Puzzle wieder zusammenzusetzen. Um die Analyse von Dokumenten geht es auch bei READ, einem spannenden EU-weiten Projekt zur Handschriftenerkennung, an dem wir derzeit dran sind.

Sie arbeiten auch als Dozent und sind als Vortragender auf der ganzen Welt unterwegs.

Ja, das ist das Schöne an unserem Job. Du fährst zu einer Konferenz und kannst das gleich mit Urlaub verbinden. In den USA sind wir immer wieder, wir waren in Japan und China, Australien war ganz cool. Da kommen mir übrigens die guten Englischkenntnisse aus der AHS zugute. Für READ sind wir immer wieder in Valencia und anderen europäischen Städten, oft auch in Innsbruck. Das Dozieren an der Uni beschränkt sich derzeit auf eine Vorlesung in Dokumentenanalyse.

Können Sie nachvollziehen, dass viele Menschen Angst vor der Digitalisierung haben?

Viele Menschen haben Angst, dass es nicht mehr um den Menschen, sondern nur noch um Maschinen geht. Aber gerade in unserem Kernbereich tut sich im Moment wahnsinnig viel. Das maschinelle Lernen geht jetzt um vieles besser als noch vor fünf, sechs Jahren und entwickelt sich extrem schnell, ganz vieles kann zum Nutzen der Menschen umgesetzt werden. Schlussendlich muss Technik für den Menschen da sein und nicht umgekehrt. Aber ich denke, dass wir das unbedingt kontrollieren und regulieren müssen.

Arbeiterkammer, Land Vorarlberg und Wirtschaftskammer haben gerade den Digital Campus Vorarlberg ins Leben gerufen. Unter anderem kann man dort innerhalb von fünf Monaten das Programmieren lernen. Wie geht das in dieser kurzen Zeit?

Der Coding Campus ist auf jeden Fall eine gute Basis, um anzufangen. Nach fünf Monaten kann man grundlegende Konzepte verstehen, muss dann allerdings dranbleiben, viel ausprobieren und üben. Und in der Gruppe lernt es sich viel leichter als allein. Eine sehr gute Wahl finde ich die Programmiersprache Python. Erstens ist die Sprache im Vergleich zu anderen einfach um einzusteigen, man kann schnell kleine Sachen machen. Zweitens kann man live coden, man tippt das Programm ein und gleichzeitig wird es ausgeführt. Das ist gerade für Einsteiger wichtig, weil man sich damit spielen kann. Ich sage auch nicht, dass jeder an die Uni muss, um programmieren zu können. Es geht darum, möglichst viele Erfahrungen zu sammeln und zu üben.

„As goht alls“ – diesen Spruch haben Sie an den Anfang Ihrer Dissertation gesetzt. Ist das auch Ihr Lebensmotto?

Ja, auf jeden Fall. Oft denkt man sich, das geht nicht oder das kann ich nicht. Und wenn man dann drüber schaut, geht’s meistens doch. Mein Studium hat am Anfang auch nicht danach ausgeschaut, als ob es was wird (lacht). Und heute bin ich sehr glücklich, wie alles gelaufen ist.

Nähere Informationen zum Coding Campus, zu möglichen Förderungen und Stipendien sowie zu anderen Bildungsangeboten unter digitalcampusvorarlberg.at

Weitere Kontaktmöglichkeiten:

Digital Campus Vorarlberg
Widnau 2 – 4
A-6800 Feldkirch
+43 50 258 8600
info@digitalcampusvorarlberg.at

(CS)

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Vorarlberg
  • „Es muss nicht jeder an die Uni, um Programmieren zu können“