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Es mangelt im Land Vorarlberg – oder nicht?

In diesem Jahr fehlten so viele Zivildiener, dass das Rote Kreuz zusätzliches Personal für den Krankentransport anstellen musste.
In diesem Jahr fehlten so viele Zivildiener, dass das Rote Kreuz zusätzliches Personal für den Krankentransport anstellen musste. ©RKV
Tourismus, Zivis, Bildung, Soziales: WANN & WO hat sich umgehört, wie schwerwiegend der Personalmangel in Vorarlberg wirklich ist.

Von Anja Förtsch / Wann & Wo

Es gibt nicht genügend Zivildiener, die Lehrer fehlen, niemand will mehr eine traditionelle Ausbildung machen, die Hotels finden keine Mitarbeiter – Beschwerden über den vermeintlichen Personalmangel gibt es aktuell mehr als genügend. Aber sind diese Klagen auch berechtigt? Oder wird ein Teufel an die Wand gemalt, den es – zumindest derzeit – gar nicht gibt? Diese Fragen sind nicht eindeutig zu beantworten, denn: Für beide Seiten gibt es Argumente.

Alle Lehrerstellen besetzt – nur wie?

„Die nackten Zahlen sagen, dass alle Stellen für Pflichtschullehrer in Vorarlberg besetzt sind. Die Frage ist aber: mit welchem Personal?“, sagt Willi Witzemann, Personalvertreter der Vorarlberger Pflichtschullehrer, gegenüber WANN & WO. Und meint damit die Stütz- und Begleitlehrer. Dabei handelt es sich um Fachleute, etwa um ausgebildete Biologen oder Techniker, die als Quereinsteiger an Schulen lehren. „Die sind gut und notwendig und haben eine hervorragende fachliche Ausbildung, keine Frage“, so Witzemann. „Aber sie haben eben keinerlei pädagogische Ausbildung.

Sie sind gute Hilfskräfte. Aber eben Hilfskräfte.“ Diese Stützlehrer könnten zwar Fachunterricht halten, aber keine Klassenleitung übernehmen. „In anderen Bundesländern werden diese Stellen nicht zu den Landeslehrern gezählt, hier schon“, kritisiert Witzemann weiter. Das gleiche einer Zahlenspielerei, wodurch der Lehrermangel nur verschleiert werde. „Man muss sich fragen, warum leugnet die ÖVP den Lehrermangel?

Im Schulbereich sorgen solche Aussagen für Kopfschütteln – denn dort spüren alle den Mangel“, bekräftigt Witzemann gegenüber WANN & WO. Bereits jetzt müssten viele Fachlehrer wöchentlich sechs bis zehn Überstunden machen, wodurch sie weniger Regenerations- und Unterrichtsvorbereitungszeit hätten und es so zu mehr Ausfällen käme, die wiederum durch Überstunden ausgeglichen werden müssten. „Ein Teufelskreis“, findet Witzemann. Er geht davon aus, dass sich die Situation noch verschärfen wird. Einerseits, weil mehr fertig ausgebildete Primarlehrer noch den Masterabschluss anhängen, statt direkt an die Schulen zu gehen, andererseits weil künftig noch mehr ältere Lehrer in Pension gehen werden. „Man wusste schon vor zwei, drei Jahren, dass der Engpass kommt“, mahnt Witzemann. „Jetzt ist er da.“

Fehlende Zivildiener plagen Rotes Kreuz

Auch die aktuellen Schwierigkeiten beim Roten Kreuz Vorarlberg (RKV) kommen nicht überraschend. „Uns treffen gerade die geburtenschwachen Jahrgänge. Und das wird noch sechs, sieben Jahre so weitergehen“, sagt Marcus Gantschacher WANN & WO. Gantschacher ist Zivildienst-Ansprechperson beim RKV, einer der bedeutendsten Organisationen für den Zivildienst. „Gleichzeitig wurden zuletzt immer mehr Zivildienststellen freigegeben.“

So gab es 2008 noch 172 Zivildienststellen beim RKV, zehn Jahre später waren es bereits 230. Beide Entwicklungen haben nun ernste Folgen: „In diesem Jahr konnten wir zum ersten Mal überhaupt nicht alle Stellen besetzen, 15 blieben frei.“ Betroffen sei dabei vor allem der Krankentransport. Um die Arbeit trotzdem abdecken zu können, mussten zusätzliche Kräfte eingestellt werden.

Auch für das kommende Jahr seien aktuell noch Stellen unbesetzt. „Wir sehen bereits jetzt, dass im April und Mai wahrscheinlich wieder Zivildienerstellen freibleiben werden“, so Gantschacher. Besonders im Frühjahr sei es schwierig, junge Männer für den Zivildienst zu bekommen. „Die Schüler höherer Schulen sind dann noch nicht mit der Matura fertig. Und diejenigen, die eine Lehrausbildung machen und diese im Frühjahr abschließen, leisten seltener Zivildienst“, erklärt Gantschacher. Diese jungen Männer zu erreichen, sei für das RKV jetzt das Mittel, um dem Mangel entgegenzuwirken.

Fast jede vierte Lehrstelle bleibt unbesetzt

Noch eklatanter ist der Mangel bei den klassischen Lehrausbildungen. 553 der insgesamt 2457 offenen Ausbildungsstellen in Vor-arlberg blieben 2018 unbesetzt, teilte der Arbeitsmarktservice (AMS) auf Anfrage von WANN & WO mit. Das entspricht 22,5 Prozent und damit knapp jeder vierten Stelle. Sechs Berufe sind laut AMS-Sprecher Thomas Metzler besonders betroffen: Maurer, Bäcker, Köche, Restaurantfachmann/-frau, Assistent im Hotel- und Gastgewerbe und Metalltechniker. Dabei zeigt gerade Letzteres das Kuriosum in Vorarlberg: Metalltechniker steht bei der Beliebtheit der Jugendlichen hierzulande nämlich an zweiter Stelle.

Warum fehlen dann aber Bewerber? „Die Nachfrage an Lehrlingen ist aufgrund der vielen Betriebe in dieser Branche noch größer“, schildert Christoph Jenny, Direktor Wirtschaftskammer Vorarlberg. Grund ist praktisch Glück im Unglück: Die Vorarlberger Wirtschaft habe sich laut Jenny seit der globalen Krise um 2007 bis 2010 sehr positiv entwickelt. Damit seien mehr Unternehmen und Arbeitsplätze entstanden – für die es nun eben Personal brauche, was durch die demografische Entwicklung, die zu weniger Jugendlichen führt, erschwert werde.

„Dennoch schaffen wir es in Vorarlberg, den Anteil der Jugendlichen, die sich für eine Lehre entscheiden, stabil bei etwas über 50 Prozent zu halten“, so Jenny zu WANN & WO. Kopfzerbrechen bereitet ihm viel eher der Fachkräftemangel. Dieser werde „zunehmend zu einer Wachstumsbremse“, sagt Jenny. „Erschwerend kommt hinzu, dass die Situation in unseren Nachbarländern Deutschland und der Schweiz durchaus vergleichbar ist.“ Die Antwort darauf könne nur eine mehrdimensionale sein. So müssten Bildungserfolge verbessert, Berufsorientierung gestärkt und die Frauenerwerbsquote durch „attraktive Angebote in der Kinderbetreuung“ erhöht werden. „Darüber hinaus brauchen wir aber auch eine qualifizierte Zuwanderung, um die negativen Auswirkungen des zunehmenden Fachkräftemangels abzufedern.“

Tourismus wächst schneller als Lehrlinge nachkommen

Laut Harald Furtner von der Fachgruppe Gastronomie der Wirtschaftskammer Vorarlberg (WKV) habe die Tourismusbranche in Vorarlberg keinen Grund zu klagen. „Wir haben aktuell so viele Lehrlinge und Saisonarbeiter wie noch nie.“ Warum blieben aber Lehrstellen im Tourismusgeschäft offen? „Der Tourismus wächst und damit entstehen mehr Lehrstellen, als es Auszubildende gibt“, sagt Furtner. Herrmann Fercher, Chef der Lech Zürs Tourismus GmbH, sieht hingegen „definitiv einen Mangel“, sagt er WANN & WO. „Das spüren wir hier in Lech ganz deutlich.“ Betroffen seien besonders Häuser, die saisonal und nicht ganzjährig öffnen. Zwar seien fast alle Stellen besetzt. „Es gibt aber keinen Überfluss an Bewerbern. Eine passende Fachkraft zu finden, dauert dadurch deutlich länger.“

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