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„Eines Morgens sah ich zwei Einschusslöcher im Büro!“

©Sams
Autor Sigi Schwärzler veröffentlichte kürzlich das Buch „Rotlicht – blutiges Milieu in Vorarlberg“. WANN & WO sprach mit Zeitzeuge Dr. Elmar Marent über diese gewalttätige Zeit und über Drohungen gegen seine Person.

WANN & WO: Herr Marent, Sie haben 1977 die Leitung der Kriminalpolizei in Bregenz übernommen. Zu jener Zeit war die Zuhälterszene in Vorarlberg bereits sehr aktiv. Wie kann man sich die Situation damals vorstellen?

Dr. Elmar Marent: Zunächst muss man wissen, wie die Zeit davor war. Bereits in den 60er-Jahren gab es Prostitution und Zuhälterei im Kleinen, etwa beim Weiherplatz in Bregenz oder beim Schlachthof am See. Es gab allerdings weniger Prostituierte, keine Bandenkriminalität und kaum Gewalt. Als ich 1965 zum Studium nach Innsbruck aufbrach, hielt sich alles im Rahmen. Nach meiner Rückkehr im Jahr 1977 dachte ich mir: Was ist denn hier passiert? 1975 war der Landstreicherei-Paragraph ge­­fallen und der Prostitution wurden als Konsequenz Tür und Tor geöffnet. Die Zuhälterei ist damals explodiert.

WANN & WO: Wie konnte es derart eskalieren?

Dr. Elmar Marent: Im Land gab es ein, zwei Akteure, welche den „heimischen Markt“ im Ländle kontrolliert hatten. Zu dieser Zeit entwickelte sich rasant eine mafiöse Gesellschaft. Damals im „subara Ländle“ un­­vorstellbar. Natürlich war auch viel Geld im Spiel. Das weckte bei anderen Zuhältern Begehrlichkeiten, die von außerhalb nach Vorarlberg drängten. Daraus entwickelte sich ein heftiger Revierkampf.

WANN & WO: Unter den Zuhältern ging es nicht zimperlich zu.

Dr. Elmar Marent: Es war eine wilde Zeit, die von Gewalt und Morden geprägt war. Ich erinnere mich konkret an einen Fall, bei dem ein Mann von einem Konkurrenten aus dem Auto heraus mit einer Schrotflinte erschossen wurde. Aber auch an den Vorfall im Gasthaus „Helvetia“ in Lustenau, bei dem drei „Gesinnungsgenossen“ aneinander gerieten. Das Ergebnis: ein Toter und zwei Schwerverletzte. Als ich zu jener Zeit zum Tatort kam, hing einer von ihnen halb aus dem Fenster, erschossen aus kurzer Distanz.

WANN & WO: Was waren aus Ihrer persönlichen Sicht die grausamsten Fälle während der Zeit?

Dr. Elmar Marent: Es gab leider viele, aber speziell in Erinnerung geblieben ist mir der heimtückische Mordanschlag auf dem Campingplatz des Gasthauses „Lamm“ in Bregenz, wo der Wohnwagen eines „kleinen“ Zuhälters in die Luft gesprengt wurde. Damals kamen er und seine siebenjährige Ziehtochter ums Leben. Der Fall wurde nie aufgeklärt. Auch die vielen Prostituiertenmorde muss man an dieser Stelle erwähnen. Dafür waren nicht nur Freier verantwortlich, sondern auch Zuhälter, die im Konkurrenzkampf Prostituierte der gegnerischen Seite ermordet hatten. Leider konnten einige dieser bestialischen Gräueltaten nicht aufgeklärt werden.

WANN & WO: Wurde die normale Bevölkerung auch terrorisiert, oder blieb man unter sich?

Dr. Elmar Marent: Das Milieu blieb weitgehend unter sich. Frauen durften allerdings zu dieser Zeit nächtens nicht alleine die sogenannten Hotspots frequentieren (unter anderem Weiherstraße in Bregenz, „Betonstraße“ in Bregenz/Hard/Fußach, einige Straßen in Lustenau oder Feldkirch). Freier, aber vor allem auch Zuhälter hätten sie fälschlicherweise als Prostituierte wahrnehmen können.

WANN & WO: Sie haben es eben angesprochen: Die berüchtigte „Betonstraße“ in Bregenz/Hard/Fußach war der größte Straßenstrich in Vorarlberg?

Dr. Elmar Marent: Das stimmt. Es sind dort oft 20 bis 30 Prostituierte gestanden. Zu Spitzenzeiten waren es bis zu 50.

WANN & WO: Wurden Sie damals auch bedroht bzw. hatten Sie nicht selbst Angst um das eigene Leben?

Dr. Elmar Marent: Es gab immer wieder Drohungen. Man hat natürlich versucht, uns unter Druck zu setzen. Ich persönlich bin auch einmal zum Handkuss gekommen. Als ich eines Morgens ins Büro kam, sah ich zwei Einschusslöcher im Fenster. Das war natürlich eine klare Botschaft.

WANN & WO: Wie bekam man die Zuhälter-Szene schlussendlich in den Griff?

Dr. Elmar Marent: Auf Druck des Landes gab es wöchentliche Sitzungen. Mit dabei waren die be­­teiligenden Bezirkshauptmannschaften, die Staatsanwaltschaft, die Polizei- und Kriminalabteilung. Eine der ersten Maßnahmen war die Installation der „SOKO Sitte“. Der neue Prostituierten-Paragraph mit strengeren Gesetzen wurde eingeführt und es gab Schnellrichter, die den Prostituierten vor Ort ein Verfahren machten. Im Zuge dessen wurden empfindlich hohe Strafen verhängt. Über zehn Beamte haben damals ausschließlich „Dirnenkontrollen“ durchgeführt – jede Nacht. Das alles setzte die Zuhälter unter Druck. Es war aber ein langwieriger Prozess. Erst viele Jahre später führten diese Maßnahmen zu einer Entspannung.

Zur Person: Hofrat Dr. Elmar Marent

Geboren am: 10. Februar 1947 in Bregenz
Beruflicher Werdegang: Polizeijurist. Nach dem Studium war Marent zunächst in der Bundespolizeidirektion Innsbruck tätig. 1977 wechselte er in die Sicherheitsdirektion Vorarlberg. Dort war er als Leiter der Kriminal­polizei und Verwaltungspolizei tätig. Von 1990 bis 2009 Sicherheits­direktor von Vorarlberg.

Die gesamte Ausgabe der Wann & Wo lesen Sie hier.

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