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Ein Ort steht unter Schock

Drei Tage nach der Brandkatastrophe mit elf Toten wirkt Egg wie gelähmt. Walter Gasser, Egger Vizebürgermeister und Sozialreferent, muss vor seinen Emotionen kapitulieren.

Im ersten Stock des völlig verkohlten Vinzenzheimes, das den penetranten Brandgeruch noch voll gespeichert hat, wird er plötzlich von einem Weinkrampf geschüttelt. Er eilt nach draußen, lehnt sich an eine Ecke und schluchzt still vor sich hin. Erst ein paar Sekunden später spricht er mit nassen Augen. „Wir haben dieses Haus alle gemocht. Warum nur musste das passieren?“ Bei ihm stehen vier Mitglieder des Pflegeteams. Elke, Ute, Alexander und Gerhard. Ihre Mienen sind steinern. Gerhard erzählt von seiner fünfjährigen Tochter Pia. „Sie hat alle alten Leute des Hauses gekannt und gemocht. Sie hat mich gefragt, ob wir sie nicht in unserem Garten vergraben können. Dann seien sie ihr ganz nah.“

Alles anders

Vielen Eggern ist nicht nach Reden zumute. „Es ist, als ob diese Tragödie sich erst jetzt so richtig gesetzt hat. Der Schock lähmt“, wird Bürgermeister Norbert Fink später sagen. Im Sutterlüty-Markt schildert Fleischverkäuferin Martina Winder das Schweigen. „Seit Samstag ist hier alles anders. Die Leute kaufen ein und sagen nichts. Aber was soll man auch dazu sagen? Ich bin selber tief betroffen.“ Es sei, als ob diese Tragödie mit einer Schwere behaftet sei. Eine Schwere, die den Mund versiegelt. „Es ist fast angenehmer, wenn du Urlauber bedienst. Da kommt dieses Gefühl nicht so hoch“, sagt Winder. Gesprächig werden einige Dorfbewohner nur, wenn sie sich an die Toten erinnern.

Fröhliche Paulina

„Nie vergessen werde ich Paulina Nussbaumer“, erzählt Renate Amann. „Die war im Heim so glücklich. Begeistert von ihrer Pflegerin Elke. Und so lebenslustig. Als man sie einmal mit in ein Restaurant nahm, hatte eine ihrer Begleiterinnen eine goldene Kette. Daraufhin eilte Paulina noch einmal in ihr Zimmer im dritten Stock und holte sich ebenfalls eine goldene Kette. Sie wolle schließlich auch schön sein, meinte sie. Mit 90 Jahren.“ Einen Steinwurf vom Sutterlüty entfernt, in der Ochsenstopp-Bar. Dort schaut sich Stammgast Robert Schedler die Fotos der Toten an und zeigt auf jene, die er gekannt hat. Besonders Hans Heidegger bleibt ihm unvergessen. „Immer war er in der Sennerei. Dort hat man ihm einen verdünnten Most und ein Stück Lebkuchen gegeben. Alle kannten ihn.“

Viel Persönliches

Gespenstische Ruhe herrscht im frisch renovierten Gemeindeamt. Standesbeamter Klaus Willi sitzt traurig vor seinem Tisch, der mit Blättern übersät ist. Es sind die Todesurkunden der Brandopfer, die er zu beglaubigen hat. Schnell räumt er sie auf, als wir eintreten. „Das ist sehr privat. Bitte um Verständnis.“ Willi hat sie natürlich auch gekannt, die Heimbewohner. Vor allem jene, die bei ihm immer wieder vorbeikamen, um etwas zu erledigen. „Sie haben mir viel Persönliches erzählt. Wir waren, mit den Pflegern zusammen, eine große Familie.“ Gemeindesekretär Norbert Greussing ringt im Zimmer vis-à-vis um Fassung. Eine Anruferin will mangelnde Pflege als Grund für die Tragödie ausmachen. „Es ist so schwer für uns in diesen Tagen. Man ist selbst tief betroffen und muss doch funktionieren.“

Größte Katastrophe

Bei Bürgermeister Norbert Fink führt in seinem Amtszimmer ein kurzes Innehalten fast zu einem emotionalen Ausbruch. Sein Mund beginnt leicht zu zittern, die Augen werden feucht. Doch die Fassung kehrt zurück. „Es ist mit Abstand die größte Katastrophe, die diesem Ort je passiert ist. Ich weiß nicht, wann hier wieder Normalität einkehrt.“ Egg trauert tief und schmerzvoll. Egg wird noch lange trauern.

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